Das Parlament empfiehlt, die Initiative zum Verhüllungsverbot an der Urne abzulehnen. Als letzte parlamentarische Instanz fällte am Mittwoch auch der Nationalrat diesen Entscheid.
Diesem ging eine emotionale Debatte über Frauenrechte und Kleidervorschriften voraus. Der Entscheid fiel am Mittwochabend mit 114 zu 76 Stimmen bei drei Enthaltungen.
Obwohl die Volksinitiative ein grundsätzliches Verhüllungsverbot im öffentlichen Raum in der ganzen Schweiz verlangt – also auch etwa für Hooligans an Fussballspielen -, drehte sich die Diskussion hauptsächlich um den «Elefanten im Raum», wie es Jörg Mäder (GLP/ZH) nannte: die Frauen in der Schweiz, die eine Burka oder einen Niqab tragen.
«Die Vollverschleierung ist wie das Minarett ein Symbol für einen extremen Islam, der hier nichts zu suchen hat», sagte Walter Wobmann (SVP/SO). Er ist Präsident des überparteilichen Egerkinger Komitees, das hinter der Initiative steht.
Doch wie gross das Problem sei, das mit der Initiative zu lösen versucht wird, wurde mehrfach – eher rhetorisch – infrage gestellt. Sandra Locher Benguerel (SP/GR) hatte sich bei der Vorbereitung auf die Suche nach diesen Zahlen gemacht: Gemäss Angaben des Bundesrats gäbe es 95 bis 130 Burka- oder Niqab-Trägerinnen, sagte sie. Nur eine bis zwei Handvoll davon lebten in der Schweiz.
Emanzipation von den Rechten
Unter anderem Barbara Steinemann (SVP/ZH) setzte sich für eine Annahme der Initiative ein – auch, um die Rechte der Frauen zu stärken und ihre Gleichberechtigung zu erhöhen. «Körperverhüllungen sind ein Zeichen der Abschottung und der Minderwertigkeit der Frauen», sagte sie. Sie raubten Individualität und Bewegungsfreiheit und seien zutiefst menschenverachtend. «Sie führen Errungenschaften der Aufklärung und der Frauen ad absurdum und begraben alle Werte, welche in den letzten Jahrzehnten erkämpft worden sind.»
Monika Rüegger (SVP/OW) legte nach. Die SVP lasse keine Frauen hängen, auch wenn es nur wenige seien.
SP-Sprecherin Samira Marti (BL) wunderte sich darüber, dass sich die SVP «plötzlich zur grossen Emanzenkampftruppe» gemausert habe. Für die Befreiung der Frauen sei plötzlich «kein Weg zu weit und kein Berg zu gross». Die SVP instrumentalisiere die Gleichstellung der Frauen für ihren Zweck, pflichtete ihr Isabelle Pasquier-Eichenberger (Grüne/GE) bei.
Freiheit auf «Sicht auf Gesicht»
Für die Initiative setzte sich Niklaus-Samuel Gugger (EVP/ZH) ein. Es sei befremdlich, das Gesicht nicht zu sehen. Man müsse Gesichtszüge lesen und ein Augenzwinkern des andern ertappen können. Dies sei für den Umgang relevant. Die Frage sei: «Was gewichten wir mehr: die Freiheit, das Gesicht zu verhüllen, oder die Freiheit auf die Sicht auf das Gesicht?» Die EVP – ein Teil der Mitte-Fraktion – wähle die Freiheit auf die Sicht auf das Gesicht.
Auch der Bundesrat empfiehlt die Initiative zur Ablehnung. Die Verhüllung aus religiösen Gründen sei ein Zeichen des erzkonservativen radikalen Islam und dränge Frauen in eine bestimmte Rolle, sagte Justizministerin Karin Keller-Sutter. Das passe nicht in die Schweiz. Chancengleichheit sei für die Schweiz zentral.
Kantonale Kompetenzen nicht einschränken
Zentral sei für die Regierung aber auch, dass durch die Initiative die kantonalen Kompetenzen unnötig eingeschränkt würden. Der Bundesrat sei nicht grundsätzlich gegen ein Vermummungsverbot, sie selber habe im Kanton St. Gallen selber eines eingeführt, sagte Keller-Sutter. Es gehe aber darum, nicht in die Kompetenzen der Kantone einzugreifen.
Den liberalen Schweizer Werten entgegen stehen würde zudem, Kleidervorschriften in der Bundesverfassung festzulegen. Ein solches Verbot wäre zudem ein Zeichen von Schwäche. «Eine starke und liberale Gesellschaft braucht keine Verbote, um ihre Werte durchzusetzen.»
Es gebe für den Bundesrat über den indirekten Gegenvorschlag hinaus keinen Handlungsbedarf, sagte die Bundesrätin.
Die Volksinitiative verlangt, dass in der ganzen Schweiz niemand im öffentlichen Raum das Gesicht verhüllen darf. Ausnahmen wären ausschliesslich aus Gründen der Sicherheit, der Gesundheit, des Klimas und des einheimischen Brauchtums möglich. Ausserdem soll niemand eine Person zwingen dürfen, ihr Gesicht zu verhüllen.
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