Strengere Regeln ab 1. Mai Putins Invasion entfacht neue Debatte über Waffenexporte

toko

1.5.2022

Ein Flakpanzer vom Typ Gepard. Deutschland wollte der Ukraine auch Munition aus Schweizer Herstellung mitliefern — darf es aber nicht.
Ein Flakpanzer vom Typ Gepard. Deutschland wollte der Ukraine auch Munition aus Schweizer Herstellung mitliefern — darf es aber nicht.
Maurizio Gambarini/dpa

Ab sofort gelten in der Schweiz strengere Regeln für Waffenexporte. Durch Putins Invasion in der Ukraine flammt die Debatte jedoch neu auf.

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Die europäischen Diskussion um Waffenlieferungen an die Ukraine dreht sich längst nicht mehr um die Frage ob, sondern welche und wie viele Waffen in das Kriegsgebiet gebracht werden sollen. Sogar das lange zaudernde Deutschland liefert nun nicht mehr nur leichte Waffen, sondern auch Panzer.

Für die Schweiz stellen sich solche Fragen aufgrund der Neutralität zwar nicht. Dennoch standen die Eidgenoss*innen vergangene Woche in der Kritik vor allem aus Deutschland. Der Bund hatte die Ausfuhr von Munition aus deutschen Beständen, aber Schweizer Herstellung, untersagt.

Seit heute Sonntag gelten nunmehr noch strengere Regeln für Schweizer Waffenexporte. Zurück gehen diese auf einen überraschenden Entscheid des Parlaments im vergangenen Jahr — lange bevor Putin seine Truppen an der Grenze zur Ukraine zusammenzog.

Just in der Woche vor Inkrafttreten entflammt nun in der Schweiz eine neue Debatte im Spannungsfeld zwischen Solidarität und Neutralität. Ob die Exportgesetzgebung angepasst werden sollte, wird nun diskutiert — und sogar, ob die Ukraine auch die neutrale Schweiz verteidigt.

Parlament schränkt Bundesrat ein

In der Schweiz sorgt das Thema Rüstungsexporte immer wieder für teils heftige Diskussionen, zuletzt wies das Parlament den Bundesrat in die Schranken.

Im Oktober vergangen Jahres beschloss eine Mehrheit aus der Mitte sowie den Parteien des linken Spektrums, Exporte in Länder, die in bewaffnete Konflikte verwickelt sind, zu verbieten. Ausserdem nahm es dem Bundesrat bei den Bewilligungskritierien die alleinige Entscheidungsgewalt. Zuvor waren diese Kriterien in der Kriegsmaterialverordnung verankert und gehen nunmehr in das Kriegsmaterialgesetz über.

Dem Wunsch des Bundesrates, in besonderen Fällen weiterhin Ausnahmen gewähren zu können, kam das Parlament nicht nach.

Der Bundesrat verfügte zudem über das Recht, Ausnahmen für Kriegsmaterialexporte auf eigene Faust zu bewilligen — nämlich dann, wenn ein geringes Risiko besteht, dass das auszuführende Kriegsmaterial zur Begehung von schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen eingesetzt werden könnte.

Vor allem an der Ausnahmeregelung gab es von linken Parteien bis hinein ins bürgerliche Lager seit Jahren Anlass zur Kritik. Für die Armeegegner der «Gruppe für eine Schweiz ohne Armee» (Gsoa) ist die Schweiz wegen der Waffenexporte gar mitschuldig an schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen.

Warum das Seco die Weitergabe verbieten musste

Eine Woche vor Inkrafttreten verbot das Seco Deutschland, Munition für den Flugabwehrpanzer «Gepard» in die Ukraine mitzuliefern. «Die zwingenden Ablehnungskriterien der Kriegsmaterialgesetzgebung» erforderten dies, hiess es beim Schweizerischen Staatssekretariat für Wirtschaft.

Die Schweiz verlangt für Kriegsmaterialexporte an Staaten grundsätzlich eine Nichtwiederausfuhr-Erklärung. Das Empfängerland verpflichtet sich darin, das Material nicht ohne vorheriges Einverständnis der Schweiz weiterzugeben.

Wie das Seco gegenüber den Zeitungen der CH Media mitteilt, habe das Parlament somit «explizit denjenigen Sachverhalt geregelt, der jetzt auf den Konflikt zwischen Russland und der Ukraine zutrifft und wonach Kriegsmaterialexporte in die beiden Länder zwingend abzulehnen sind.»

Im Zentrum des Verbots steht das Neutralitätsrecht, welches der Weitergabe im Weg steht. Nach Angaben des Völkerrechtlers Marco Sassòli von der Universität Genf muss die Schweiz die Weitergabe von Munition aus Schweizer Herkunft an die Ukraine verweigern. Das Seco habe richtig entschieden, sagte Sassòli der «Neuen Zürcher Zeitung» (kostenpflichtiger Inhalt).

«Das Neutralitätsrecht verpflichtet die Schweiz, keine Waffen und keine Munition in ein kriegführendes Land zu liefern. Es handelt sich hier eindeutig um einen internationalen bewaffneten Konflikt, und ein Mandat des Uno-Sicherheitsrats besteht nicht. Würde die Schweiz heute der Weitergabe von Munition an die Ukraine zustimmen, würde sie deshalb das Neutralitätsrecht verletzen», erklärt er.

Die Schweiz habe sich vorbehalten, dass Deutschland im Falle einer Weitergabe ihre Zustimmung einholen müsse. «Die Schweiz darf diese in diesem Fall nicht geben, weil es darauf hinausliefe, das Neutralitätsrecht zu umgehen.» 

Auch das Schweizer Recht sei klar. Nach der Kriegsmaterialverordnung dürfe die Bewilligung für eine Weitergabe der Schweizer Munition nicht erteilt werden. Die Tatsache, dass die Munition bereits lange vor dem Beginn des Kriegs in der Ukraine geliefert worden war, ändere nichts daran.

Das Neutralitätsrecht ist Bestandteil des Völkerrechts und geht auf das Haager Abkommens von 1907 zurück. Danach muss ein neutraler Staat allenfalls eine Gleichbehandlung der Kriegführenden beim Rüstungsexport sicherstellen.

Wenn überhaupt, müsste die Schweiz also an beide Kriegsparteien, Russland und die Ukraine, gleich viele Waffen liefern. «Das macht keinen Sinn», erklärte SP-Nationalrat Roger Nordmann dem SRF.

Deshalb sei es bei der Reise einer Schweizer Delegation um Nationalratspräsidentin Irène Kälin, an der Nordmann teilnahm, auch nicht um Schweizer Waffenlieferungen gegangen.

Worüber nun diskutiert wird

«Ich habe in jedem Statement in der Ukraine darauf hingewiesen, dass die Schweiz keine Waffen liefern kann, will und wird», sagte Nationalratspräsidentin Irène Kälin am Donnerstag.

Diese Frage, ob die Gesetzgebung angepasst werden müsse, stelle sich derzeit nicht. Sollten man jedoch neue sicherheitspolitische Überlegungen für die Schweiz innerhalb von Europa machen müssen, «werden die Grünen Hand bieten für eine Diskussion», sagte sie dem SRF.

In dieselbe Kerbe schlägt SP-Nationalrat Roger Nordmann: «Man kann natürlich diskutieren über eine Änderung vom Waffenexportrecht, aber nur im Rahmen einer neuen Sicherheitsarchitektur, in der die Schweiz anerkennen würde, dass ihre Sicherheit nicht nur national gewährleistet, sondern in Kooperation mit den umliegenden Ländern».

Angestossen hatte die Debatte Mitte-Präsident Gerhard Pfister. Er hatte dem Bundesrat per Twitter bereits vergangenen Sonntag «unterlassene Hilfe» an die Ukraine vorgeworfen.

Gleichwohl klammerte Pfister das Kriegsmaterialgesetz gleich komplett aus. Um die Lieferungen dennoch zu ermöglichen, wollte Pfister stattdessen das Notrecht anwenden, um das Kriegsmaterialgesetz ging es ihm nicht.

Im Mittelpunkt steht dabei eine Klausel in der Bundesverfassung. Die Neutralität spielt für Pfister dabei keine Rolle. Vielmehr werde in der Ukraine auch das eigene Land (mit-)verteidigt.

Mit Material von sda.