Affäre Donzallaz Die Bundesrichter, ihre Unabhängigkeit und die SVP

Von Julia Käser

22.9.2020

Bundesrichter Yves Donzallaz wird von seiner SVP nicht zur Wiederwahl empfohlen.
Bundesrichter Yves Donzallaz wird von seiner SVP nicht zur Wiederwahl empfohlen.
Bild: Keystone

Die SVP empfiehlt ihren eigenen Bundesrichter Yves Donzallaz zur Abwahl. Dieses Vorgehen wirft altbekannte Fragen rund um die Unabhängigkeit der Richter auf. 

Am Mittwochmorgen stellen sich die Richterinnen und Richter des Bundesgerichts der Gesamterneuerungswahl. Die Wahl durch die Bundesversammlung hat im Vorfeld für aussergewöhnlich viel Diskussionsstoff gesorgt.

Gleich zu Beginn der Wahl sprach sich SP-Ständerat Daniel Jositsch im Namen seiner Partei für die Verschiebung der Wahl aus. Angesichts der jüngsten Ereignisse um den Bundesrichter Yves Donzallaz sei eine Wahl zum jetzigen Zeitpunkt nicht angebracht, begründete Jositsch seinen Rückweisungsantrag. Erst müsse die Unabhängigkeit sämtlicher Richterinnen und Richter überprüft werden. 

Im Fokus der Debatten: die SVP, Bundesrichter Yves Donzallaz und die immer wiederkehrende Frage nach der Unabhängigkeit der Schweizer Richter. «Bluewin» beantwortet die drängendsten Fragen rund um die  Affäre Donzallaz und die Wahl. 

Nach welchen Kriterien erfolgt die Wahl von Bundesrichtern?

Das Bundesgericht zählt 38 Mitglieder. Gewählt werden diese – unter Berücksichtigung regionaler, sprachlicher und fachlicher Kriterien – vom Parlament. Wählen lassen können sich theoretisch alle Bürgerinnen und Bürger der Schweiz. Eine Rechtsausbildung ist laut Gesetz nicht erforderlich, in der Praxis aber unerlässlich.

Um ein Richteramt zu bekleiden, muss man einer Partei zugehören – das ist auch im Falle des Bundesgerichts nichts anders. Die Wahl erfolgt nach Parteiproporz. Heisst: Die Vertretung der Bundesrichterinnen und Bundesrichter entspricht in etwa der Wählerstärke der grossen Parteien. Weiter zahlen die Richter ihrer Partei eine sogenannte Mandatssteuer. 

Müssen Richter in der Schweiz nicht unabhängig sein?

Doch. In der Bundesverfassung ist sowohl die Unabhängigkeit als auch die Unparteilichkeit der Gerichte festgehalten. Es ist also nicht die Aufgabe der Judikative, die Parteien zu vertreten. Die Rücksichtnahme auf die Proporzansprüche der Parteien erfolgt traditionsgemäss und auf freiwilliger Basis. 

Das sorgt immer wieder für Kritik. Vor allem dem Europarat ist die Schweizer Wahlpraxis für Bundesrichter ein Dorn im Auge. Mittlerweile gibt es aber auch ein Volksbegehren, das die heutige Praxis ändern will. Die 2019 eingereichte Justizinitiative fordert, dass Bundesrichter nicht mehr vom Parlament, sondern durch das Los und eine Fachkommission bestimmt werden. Nur auf diese Weise könne die Gewaltentrennung sichergestellt werden.

Wieso müssen Richter überhaupt einer Partei zugehören?

Es gibt es keine gesetzliche Pflicht, die besagt, dass Richterinnen und Richter Mitglied einer Partei sein müssen. Das Ganze ist historisch bedingt. So war man sich in der Schweiz – anders als etwa in Deutschland – einig darüber, dass die Rechtssprechung zu einem gewissen Teil auch politische Aufgaben erfüllt und deshalb eine demokratische Legitimation erfordert. Folglich wurden die Richter durchs Volk gewählt. 

Die Wahl nach Parteiproporz soll sicherstellen, dass die ideologische Vielfalt nach wie vor angemessen repräsentiert wird. Parteilose Personen sind deshalb meist chancenlos. 

Worum genau geht es in der Affäre Donzallaz? 

Die Bundesrichterinnen und Bundesrichter müssen sich alle sechs Jahre zur  Wiederwahl stellen. Vorgeschlagen werden sie durch ihre Parteien und die zuständige Gerichtskommission (GK). Viele Kritikerinnen und Kritiker der aktuellen Wahlpraxis sehen darin das Hauptproblem. Das Argument: Durch die Androhung der Nicht-Wiederwahl könnten Parteien Druck auf die richterliche Unabhängigkeit ausüben. 

So geschehen im Falle von SVP-Mitglied und Bundesrichter Yves Donzallaz. Die SVP-Fraktion forderte die GK dazu auf, Donzallaz nicht zur Wiederwahl zu empfehlen – aufgrund von «unterschiedlicher Werthaltungen in fundamentalen Punkten». Schon in den letzten Jahren hatte die Partei mehrmals den Versuch unternommen, Druck auf den Walliser Richter auszuüben. 

Stehen die Richter unter einem Druck, ihrer Partei zu entsprechen? 

Fraglich ist, mit welcher Häufigkeit solche Druckversuche vorkommen. Die bekannten Fälle sind überschaubar. In einem NZZ-Interview warf der betroffene Donzallaz seiner Partei vor, die Justiz zu instrumentalisieren. Von Druckversuchen anderer Parteien habe er keine Kenntnisse – das Problem sei seiner Meinung nach SVP-spezifisch. 

Auch Marianne Ryter, Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts, gab unlängst an, niemanden zu kennen, der oder die von der eigenen Partei angegangen worden sei. Der Versuch, politisch Einfluss auf die Schweizer Rechtssprechung zu nehmen, ist laut Ryter aber in jedem Fall ein absolutes No-Go. 

Hat das Vorgehen der SVP politische Konsequenzen? 

Auch in der Politik stösst das Vorgehen der SVP auf scharfe Kritik. In einer Mail an den neuen SVP-Chef Marco Chiesa gab CVP-Präsident Gerhard Pfister an, durch die Empfehlung Donzallaz zur Nicht-Wiederwahl habe die SVP «ihre Geringschätzung» für die Schweizer Institutionen ausgedrückt. Aus Sicht von SP, FDP und CVP sei der Respekt gegenüber der  Unabhängigkeit der Justiz nicht verhandelbar.

Die drei Parteien sagten deshalb kurzerhand die anstehende Runde der Konkordanzgespräche ab, bei denen über die künftige parteipolitische Zusammensetzung des Bundesrats diskutiert wird. Die SP wird zudem versuchen, die Gesamterneuerungswahlen auf die Wintersession 2020 zu verschieben. 

Und was sagt die SVP?

Die SVP hat in letzter Zeit kein Geheimnis daraus gemacht, dass sie über die in ihren Augen fehlende Linientreue von Donzallaz unzufrieden ist. Nach einer Anhörung Donzallaz vor der SVP-Bundeshausfraktion wurde beschlossen, den Walliser nicht zur Wiederwahl zu empfehlen – es sei denn, er trete aus der Partei aus. In diesem Falle hätte die Fraktion ihn als parteilosen Bundesrichter wiedergewählt.

In einer Mitteilung liess die Fraktion verlauten, sowohl die Gewaltentrennung als auch die richterliche Unabhängigkeit als eine Selbstverständlichkeit zu betrachten. Problematisch sei jedoch, dass die Judikative zunehmend zu einer Art «Über-Verfassungsgeber» verkomme, wodurch Volk und Parlament faktisch ausgeschaltet würden, so die SVP. 

Zurück zur Startseite