Trendwende in der SchweizTrendwende: Wieder mehr Schwangerschaftsabbrüche
tmxh / SDA
25.6.2020
Schwangerschaftsabbrüche nehmen zu: Nachdem sie zuvor gesunken war, steigt ihre Rate in den vergangenen Jahren in der Schweiz leicht an.
Die Kurve der Schwangerschaftsabbrüche in der Schweiz steigt in den letzten Jahren wieder leicht an – nachdem sie zuvor kontinuierlich abgenommen hatte. Zwar liegt die Rate im internationalen Vergleich noch immer im tiefen Bereich, wie das Bundesamt für Statistik (BFS) zu seinen jüngsten Erhebungen schreibt. Und doch rätselt man nun, warum die Zahl der Abtreibungen hierzulande wieder zunimmt.
War zuvor beim Anstieg der Zahlen im Jahr 2018 von einem Ausreisser ausgegangen, wie der «Tages-Anzeiger» berichtet, zeichnet sich nun eine Entwicklung ab. Die Rate stieg seit 2017 und bis 2019 von 6,2 auf 6,5 Abbrüche pro 1'000 Frauen, wie das BFS am Donnerstag mitteilte. Bei den 15- bis 19-jährigen Frauen nahm die Abbruch-Rate bis 2015 laufend ab und blieb danach konstant, bis sie von 2018 bis 2019 von 3,3 auf 3,5 Abbrüche pro 1'000 Frauen stieg.
In absoluten Zahlen wurden 2019 9'447 Schwangerschaften abgebrochen; davon 9'182 bei Frauen mit Wohnsitz in der Schweiz. 2018 waren es insgesamt 10'457 gewesen. Allerdings fehlten dem BFS wegen Covid-19 die Zahlen der Kantone Bern und Glarus. In der Altersgruppe der 15- bis 19-Jährigen gab es – ohne diese zwei Kantone – 642 Abbrüche.
Trend zu natürlicher Verhütung
Fieberhaft wird nun nach Erklärungen für den Anstieg gesucht. «Durchaus denkbar wäre, dass der Trend hin zu natürlichen Verhütungsmitteln zu mehr Abtreibungen führt», zitiert der «Tages-Anzeiger» Irène Dingeldein, die Präsidentin der Schweizerischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (SGGG). Es gebe immer mehr Frauen, die «bewusster und natürlicher verhüten wollen», also vor allem ohne Hormone. Diese Frauen würden laut Dingeldein «ihren Zyklus und somit ihren Körper wieder spüren» wollen.
Zudem würden negative Schlagzeilen über Nebenwirkungen wie Depressionen und Stimmungsschwankungen viele Frauen dazu gebracht, die Pille abzusetzen, so Dingeldein laut «Tages-Anzeiger». Die Zeitung zitiert dazu auch die Oberärztin Nina Manz von der Frauenklinik des Zürcher Stadtspitals Triemli: «Bei Frauen im mittleren Lebensalter zeigt sich gelegentlich eine Pillenmüdigkeit». Sie würden keine Hormone mehr nehmen wollen und befänden sich zudem in einem Lebensabschnitt, in der ein Kinderwunsch ins Spiel komme.
Unsichere Zyklus-Apps
Als weiteren Grund für die gestiegene Zahl der Abbrüche werden auch die verbreiteten Zyklus-Apps genannt. Frauen, die gar keine Hormone mehr nehmen wollten, verliessen sich oft auf diese Programme, zitiert der «Tages-Anzeiger» Dingeldein: «Das Problem: Diese funktionieren nur, wenn eine Frau einen regelmässigen Lebenswandel hat. Wenn sie die Basaltemperatur immer zur gleichen Zeit morgens misst. Genügend schläft, nicht zu viel Stress hat.» Eine Verhütung damit empfehle sich nicht.
Eine weitere Rolle könnte auch der Lebensstil spielen. So beschreibt die Gynäkologin Dingeldein laut «Tages-Anzeiger» das «Lifestyle-Phänomen»: «Die Frauen sind mit ihrer Ausbildung noch nicht ganz fertig, wenn sie schwanger werden. Oder haben bereits eine Karriere, die sie weiterverfolgen wollen – nicht unbedingt jahrelang, aber sechs Monate schon noch. Sie verhüten nicht mehr richtig, werden schwanger und treiben dann halt ab. Sie wollen nicht grundsätzlich kein Kind, sonst würden sie ja zuverlässiger verhüten, nur gerade jetzt passt es nicht.»
Teenager-Schwangerschaften selten
Abbrüche von Teenager-Schwangerschaften sind in der Schweiz laut BFS hingegen selten. Lediglich 0,8 Prozent der Frauen, die eine Schwangerschaft abbrachen, waren unter 16 Jahre alt. Demgegenüber waren 91 Frauen bei einem Schwangerschaftsabbruch 45-jährig oder älter, und 790 waren zwischen 40 und 44 Jahre alt.
95 Prozent aller Abbrüche fanden während der ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft statt. Rund drei von vier Schwangerschaften wurden mit Medikamenten abgebrochen, die übrigen chirurgisch.