DiskriminierungSchweizer Witwerrente wird erneut zum Fall für Strassburg
zs, sda
9.3.2021 - 15:43
Ein Schweizer hat keinen Anspruch auf Witwerrente mehr, seit seine jüngste Tochter volljährig ist. Nun befasst sich die Grosse Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) mit dem Fall – auf Wunsch von Bern.
zs, sda
09.03.2021, 15:43
09.03.2021, 16:03
SDA
Ein Schweizer kümmerte sich nach dem Tod seiner Ehefrau 16 Jahre lang um seine Kinder. Ab Dezember 2010 – damals war er 57 Jahre alt – wurde ihm aber keine Witwerrente mehr ausbezahlt. Er gelangte deshalb an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Strassburg.
Das AHV-Gesetz sieht die Aufhebung der Rente bei Witwern bei der Volljährigkeit des jüngsten Kindes explizit vor. Bei Frauen besteht auch nach Erreichen der Volljährigkeit der Kinder ein Anspruch auf Witwenrente.
Die Schweiz verstosse mit ihrem Gesetz zur Witwenrente gegen das Diskriminierungsverbot von Artikel 14 der Europäischen Menschenrechtskonvention in Verbindung mit Artikel 8, das «Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens». Zu diesem Schluss kam der EGMR im Oktober vergangenen Jahres in erster Instanz.
Nun wird der Fall auch vor der grossen Kammer des Gerichtshofs behandelt. Das Gesuch dafür stellte die Schweizer Regierung.
Mann als Versorger
Der beschränkte Witwerrenten-Anspruch in der Schweiz basiert auf der Überlegung, dass der Ehemann für den Lebensunterhalt der Frau aufkommt. War diese über Jahre für die Versorgung der Kinder zuständig, wurde ihr nicht zugemutet, wieder Tritt in der Erwerbswelt finden zu müssen.
Diese Grundüberlegung entspricht gemäss der ersten Instanz des EGMR nicht mehr den heutigen Gegebenheiten. Die Konvention sei ein «lebendiges Instrument», mit dem die Umstände unter dem aktuellen Blickwinkel behandelt werden müssten, hielt sie in seinem Urteil fest.
Es gebe keine haltbaren Gründe, weshalb es einem 57-jährigen Mann, der über lange Zeit nicht mehr erwerbstätig war, leichter fallen sollte eine Stelle zu finden, als einer Frau.