Umweg über die USASo kamen Schweizer Flugzeuge in Afghanistan zum Einsatz
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23.2.2022
Flugzeuge der Schweizer Firma Pilatus flogen bei Angriffen der afghanischen Streitkräfte mit. Mindestens zwei Maschinen sind in die Hände der Taliban gelangt.
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23.02.2022, 17:59
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15. Juli 2021: Im Nordosten Afghanistans landen die afghanischen Streitkräfte einen Angriff gegen die Taliban. Mehrere Bomben werden auf dem Marktplatz abgeworfen: 15 Taliban sterben laut einem Tweet des afghanischen Verteidigungsministeriums. Agenturen berichten auch von zwölf zivilen Opfern.
15 #Taliban terrorists were killed and 8 others were wounded in an #airstrike conducted by #AAF at the outskirts of #Takhar provincial center, today morning.
Also, 2 vehicles, some amount of their weapons, amos & equipment were destroyed. pic.twitter.com/zeyxoRKeYv
— Ministry of Defense, Afghanistan (@MoDAfghanistan) July 15, 2021
Recherchen von SRF zeigen nun, dass an diesem Angriff Schweizer Flugzeuge beteiligt waren, genauer Maschinen des Typs PC-12 aus den Werkstätten von Pilatus. Die Maschinen kamen dabei als fliegende Kommandozentralen zum Einsatz, um die Angriffsziele auszukundschaften und die Einsätze zu filmen: Die Aufnahmen aus dem Tweet sind von einer PC-12-Maschine aus aufgenommen, wie SRF beweisen konnte.
Dieser Einsatz ist kein Einzelfall, wie «SRF Investigativ» in Kooperation mit RTS und dem Recherche-Netzwerk Lighthouse Reports herausfand. Laut Marc Garlasco, ehemaligem Pentagon-Strategen, spielten die Maschinen bei Luftangriffen eine wichtige Rolle, insbesondere, um neue Angriffsziele auszumachen.
Dabei dürften die Schweizer Flugzeuge in Kriegsgebieten gar nicht auftauchen. Das Schweizer Gesetz verbietet den Export von militärischen Gütern in Kriegsgebiete.
USA bauten die Pilatus-Geschäftsflugzeuge um
Wie gelangten die Flugzeuge also nach Afghanistan? Nicht auf direktem Weg, zeigt der Recherche-Verbund auf. Pilatus verkaufte im Jahr 2012 18 PC-12-Maschinen in die USA. Es habe sich dabei um Geschäftsflugzeuge gehandelt, betont die Firma Pilatus auf Anfrage. Darum sei der Handel auch nicht bewilligungspflichtig gewesen.
Dass sie militärisch zum Einsatz kommen sollen, scheint zu diesem Moment schon klar: Wie SRF berichtet, lieferte Pilatus der US-Armee modifizierte Typen an, die zwar noch als Geschäftsflugzeug gelten, jedoch viele Merkmale des militärischen Modells teilen und einfach für militärische Zwecke umgebaut werden können. Als Beispiel nennt «SRF Investigativ» eine im Modell vorgesehene Heckklappe, in der nachträglich eine Kamera ergänzt werden kann. Eine Kamera, wie sie in Afghanistan zum Auskundschaften zum Einsatz gekommen ist.
Diese nachträglichen Umbauten wurden erst in den USA vorgenommen, wie Luftfahrt- und Militärexperte Georg Mader bestätigt, und zwar von der Firma Sierra Nevada. Die Kooperation zwischen den USA und der Firma habe mindestens bis 2015 bestanden.
Über Umwege landen die Maschinen in Afghanistan
Im selben Jahr fanden die 18 PC-12-Maschinen ihren Weg nach Afghanistan. Die USA unterstützten die afghanischen Streitkräfte mit Personal, aber auch mit Material – darunter mit den umgebauten Flugzeugen von Pilatus.
Als 2013 die Pläne der USA, die Maschinen umzubauen und nach Afghanistan zu exportieren, öffentlich wurden, beschäftigte sich auch das Parlament mit dem Thema.
Dass die Maschinen in Kabul landeten, dürfe niemanden überraschen, sagt Lukas Hafner von Amnesty International. Ihn überrasche mehr, dass der Einsatz der PC-12 im Luftkrieg gegen die Taliban nicht für mehr Aufmerksamkeit in der Schweizer Bevölkerung sorgte, obwohl die Position des Bundesrats klar sei, «dass Schweizer Material in Bürgerkriegsorten nichts verloren hat».
Pilatus will sich zum Fall laut SRF nicht weiter im Detail äussern. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) beschwichtigt: Die 2012 exportierten Maschinen hätten keine militärischen Spezifikationen aufgewiesen, wird es im Artikel zitiert. Es habe sich um zivile Standardversionen gehandelt.
Amnesty International sieht die Firmen in der Pflicht
Braucht es eine Verschärfung des Gesetzes, um solche indirekten Exporte in Kriegsgebiete zu unterbinden? Hafner von Amnesty International sagt selbst, dass eine weitere Verschärfung des Gesetzes politisch schwierig durchzusetzen sei. Er sieht die Schweizer Firmen in der Pflicht, Eigeninitiative zu ergreifen und die Behörden in Kenntnis zu setzen, sobald sie erfahren, dass ihre eigenen Exporte nachträglich umgerüstet werden sollen.
Doch was passierte mit den aufgerüsteten Maschinen nach der Machtübernahme der Taliban? Der Rechercheverbund hat den Standort von 17 Maschinen nachvollziehen können: Die Analyse hochauflösender Satellitenbilder habe ergeben, dass 15 Maschinen nach Tadschikistan und Usbekistan in Sicherheit gebracht werden konnten. Zwei Flugzeuge befänden sich in den Händen der Taliban. Die letzte Maschine hingegen bleibt spurlos verschwunden.