Landwirtschaft der Zukunft Umweltschützer enttäuscht – Bauern zufrieden

Von Alex Rudolf

23.6.2022

Bundesrat skizziert Weg von Landwirtschaft und Ernährung bis 2050

Bundesrat skizziert Weg von Landwirtschaft und Ernährung bis 2050

Vom Bauernbetrieb über Zwischenhandel und Verarbeitung bis auf den Teller: Der Bundesrat skizziert in einem Bericht den Weg der Land- und Ernährungswirtschaft in die Zukunft. Sie soll nachhaltig sein und mehr zur Ernährungssicherheit beitragen können als heute.

23.06.2022

Der Bundesrat erklärt, wo er die Landwirtschaft 2050 sieht. Damit reagiert er auf einen Rüffel aus dem Parlament – die Reaktionen fallen gemischt aus.

Von Alex Rudolf

23.6.2022

Darum geht es

Haben wir in Zukunft genug zu Essen? Und wie wird dieses produziert? Diese Fragen treiben die Politik um. Insbesondere der Aspekt Nachhaltigkeit rückte in den letzten Jahren in den Fokus. Mit der Nahrungsmittel-Krise, die durch den Ukraine-Krieg droht, stellt sich aber auch die Frage, woher künftig die Nahrung kommen soll.

Aktuell stellen Schweizer Landwirte rund 56 Prozent der Nahrungsmittel her, die hierzulande konsumiert werden. Kann dieser Wert gehalten werden angesichts der 10-Millionen-Schweiz, die für das Jahr 2050 vorausgesehen wird?

Der Bundesrat sagt ja: Mit besseren Technologien, mehr Effizienz und Innovation könne die Schweizer Landwirtschaft ihre Produktivität erhöhen. 

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Der holprige Weg zur Reform

Bereits 2021 präsentierte der Bundesrat eine Strategie, die eigentlich dieses Jahr in Kraft treten hätte sollen. Diese wies das Parlament jedoch zurück. Die Reform sah vor, dass die Bauern weniger Pauschalbeträge, dafür mehr Geld für ökologisches Verhalten erhalten. Es hätten weniger Tiere pro Fläche gehalten werden dürfen und dafür mehr Land für Biodiversität bereitgestellt werden sollen.

Die Kritik des Parlaments: Der Selbstversorgungsgrad sowie auch die Löhne würden mit diesen Massnahmen sinken. Weiter gehe wertvolles Kulturland verloren, die Importe würden zunehmen und der administrative Aufwand für Landwirt*innen stiege, hiess es damals. Alles in allem sei eine «kohärente Strategie» nicht ausreichend erkennbar. Der Bundesrat musste deshalb nochmals über die Bücher. 

Das will der Bundesrat

Nun legt der Bundesrat in seinem lang erwarteten Bericht vier Stossrichtungen fest, damit die Schweiz in Zukunft eine nachhaltige und sichere Landwirtschaft hat.

Erstens soll die Lebensmittelversorgung sichergestellt und zweitens eine klima- und tierfreundliche Lebensmittelproduktion durchgesetzt werden. Drittens soll die Wettbewerbsfähigkeit der Landwirtschaft verbessert werden und viertens ein nachhaltiger Konsum begünstigt werden.

Diese Ziele sollen bis 2050 in drei Etappen verfolgt werden. Erstens durch bereits beschlossene Initiativen zur Verringerung des ökologischen Fussabdrucks und zweitens durch den abgespeckten Bericht Agrarpolitik 22+. Durch diesen sollen nun die ökonomischen Bedingungen der Landwirte verbessert werden und drittens sollen Reformen folgen, die das gesamte Ernährungssystem unter die Lupe nehmen. Hier sollen die entsprechenden Branchen in die Verantwortung genommen werden.

So soll etwa eine Kostentransparenz ermöglicht werden. Die Konsument*innen sollen also besser darüber informiert werden, wie die Preise der Lebensmittel tatsächlich zustande kommen. Die Schweizer Branchen ihrerseits sollen zu einer nachhaltigen Entwicklung beitragen. Diese Strategie kommt nun in die eidgenössischen Räte, wo noch Anpassungen gemacht werden können.

Was sagen die Landschaftsschützer*innen?

Die Ausrichtung der neuen bundesrätlichen Strategie gehe zwar in die richtige Richtung, schreibt Pro Natura in einer Mitteilung: «Sie bleibt aber unscharf», heisst es. Es handle sich um einen Alibi-Umsetzungsplan, welcher die drängenden Probleme der Klima- und Biodiversitätskrise nicht angehen könne.

Der Bundesrat zeichne mit seinen Visionen einer gesünderen Ernährung und mehr Innovation ein verlockendes Bild davon, wie die Landwirtschaft der Zukunft aussehen könnte. Nun müsse das Parlament eingreifen und die Agrarstrategie 22+ überarbeiten: «Die gemachten Versprechungen müssen eingehalten und Massnahmen zum Schutz des Klimas und der Biodiversität umgesetzt werden.»

Ständerätin Maya Graf (Grüne /BL) will die soziale Absicherung der Bäuerinnen sicherstellen.
Ständerätin Maya Graf (Grüne /BL) will die soziale Absicherung der Bäuerinnen sicherstellen.
KEYSTONE/PETER KLAUNZER

Die Grüne Ständerätin Maya Graf (BL) ist optimistischer. Zu blue News sagt sie, dass die Regierung nun aufzeige, was die Grünen schon lange predigen. Nämlich, dass Ernährungssicherheit und  Nachhaltigkeit Hand in Hand gehen müssen.

«Der Bundesrat zeigt eine gute Basis, auf der man aufbauen kann.» Und sie weiss auch schon genau, wo anzusetzen ist. So müsse die soziale Absicherung der Bäuerinnen sowie griffige Massnahmen für die Biodiversität und für das Tierwohl in die Vorlage. 

Skeptisch ist Graf aber gegenüber dem Zeitplan. Dass die nachhaltige Weiterentwicklung des Ernährungssystems und die nächsten Reformschritte erst 2030 kommen, sei zu spät: «Wir müssen schon viel früher beginnen.»

Was sagen die Bauernvertreter*innen?

Der Schweizer Bauernverband reagiert sehr wohlwollend auf die Strategie des Bundesrates. Präsident und Mitte-Nationalrat Markus Ritter sagt zu blue News: «Der Bundesrat hat erkannt, dass die Landwirtschaft nicht weiterhin reguliert werden kann, ohne die ganze Wertschöpfungskette miteinzubeziehen.»

Bauernverbandspräsident Markus Ritter sieht viel Potenzial.
Bauernverbandspräsident Markus Ritter sieht viel Potenzial.
KEYSTONE/GAETAN BALLY

Damit meine er auch das Konsumverhalten. «80 Prozent unseres Umsatzes generieren wir aus dem Verkauf unserer Produkte», so Ritter. Daher sei die Gesamtschau, die der Bundesrat vorsehe, sehr bedeutend. Den grössten Einfluss darauf, was die Landwirtschaft wie produziert, hätten die Konsument*innen mit ihrem Einkauf.

Der Bundesrat nehme in seinem Bericht – üblicherweise hätten solche Berichte nicht mehr als 20 Seiten — sehr ausführlich Stellung zu den Fragen im Postulat des Ständerates. Dass er aber noch keine detaillierten Positionen, wie sie die Naturschützer*innen etwa verlangen, liefert, ist für Ritter verständlich. «Diese würden das Ergebnis von Diskussionen vorwegnehmen, die wir erst noch führen müssen.»