Digitale Verbrecherjagd So oft werden Menschen in der Schweiz überwacht

Von Jennifer Furer

18.8.2020

Die Erfolgsquote bei Telekommunikation-gestützten Fahndungseinsätzen sei hoch, sagt ein Fahnder der Kantonspolizei Bern.
Die Erfolgsquote bei Telekommunikation-gestützten Fahndungseinsätzen sei hoch, sagt ein Fahnder der Kantonspolizei Bern.
Keystone

Menschen in Echtzeit zu überwachen, ist in der Schweiz erlaubt – allerdings unter strengen Voraussetzungen. Die Dimension der hiesigen Überwachung wird jetzt in einem neu veröffentlichten Bericht ersichtlich. 

Die Zielperson fährt auf der A1 von Bern in Richtung Zürich. Im Aargau verlässt sie die Autobahn. Das Signal reisst ab, die Zielperson hat das Handy ausgeschaltet. Die Einsatzleitung der Kantonspolizei Bern meldet sich: Die Zielperson bewegt sich wieder. Die Route führt in Richtung Osten.

Dort, auf dem Autobahnring Zürich, herrscht dichter Verkehr. Die Fahnder machen sich mit Sirene und Blaulicht bemerkbar, um den Kontakt zur Zielperson sicherzustellen. Diese fährt in die Ostschweiz. Auf einem Restaurantparkplatz in Gams SG kommt das Auto schliesslich zum Stillstand.

Die Fahnder der Kantonspolizei Bern schlagen zu. «Er war verblüfft, uns zu sehen», meint einer der beiden.

Das geschilderte Ereignis ist real und wurde im neu erschienenen Jahresbericht des Dienst Überwachung Post- und Fernmeldeverkehr ÜPF veröffentlicht. Der Bericht gibt Einblicke, wie die Polizei in einer digitalen Gesellschaft Verbrecher jagt.

5000 rückwirkende Überwachungen

Anders als in Zeiten von Sherlock Holmes – der Archetyp des perfekten Detektivs – wird bei der Kriminalitätsbekämpfung heute nämlich nicht mehr nur auf analoge Spuren fokussiert. Heute spielen digitale Technologien eine wichtige Rolle bei der Ermittlung einer Täterschaft.

Laut dem Dienst Überwachung Post- und Fernmeldeverkehr ÜPF wurden letztes Jahr rund 1'500 Echtzeitüberwachungen, rund 5'000 rückwirkende Überwachungen und knapp 1'500 Antennensuchläufe durchgeführt. Das zeigen im Bericht neu veröffentlichte Zahlen. Zu beachten ist hierbei, dass Täter oft verschiedene Nummern und Geräte verwenden – pro Täter also mehrere Überwachungsanordnungen verfügt werden können.

Was ist ein Antennensuchlauf?

Bei einem Antennensuchlauf interessieren Mobilfunkzellen respektive öffentliche WLAN-Zugangspunkte. Dabei werden alle angefallenen Kommunikationen, Kommunikationsversuche und Netzzugänge innerhalb einer bestimmten Periode erfasst.

Überwachungsmassnahmen im Fernmeldewesen betreffen auch Notsuchen nach Menschen oder Fahndung. «Wenn wir die Nummer eines Flüchtigen kennen, finden wir ihn über kurz oder lang», sagt einer der Ermittler, der den Täter in Gams SG verhaften konnte, im ÜPF-Bericht. Die Erfolgsquote bei Telekommunikation-gestützten Fahndungseinsätzen sei hoch – sehr hoch sogar, meint er.

Der Einsatz von Echtzeitüberwachung ist streng reglementiert. So muss eine Katalogstraftat – dazu zählen Geiselnahme, Raub oder Gefährdung des Lebens – vorliegen, damit eine solche möglich ist. Auch bedarf es bei jeder Überwachung eine Bewilligung des zuständigen kantonalen Zwangsmassnahmengerichts.

Noch vor März 2018 sah das anders aus. Ausser in internationalen Rechtshilfeverfahren war es Strafbehörden nicht möglich, ausserhalb eines Strafverfahrens eine Überwachung des Fernmeldeverkehrs anzuordnen.

Im Kanton Waadt fanden im Jahr 2019 die meisten Überwachungen statt.
Im Kanton Waadt fanden im Jahr 2019 die meisten Überwachungen statt.
Jahresbericht ÜPF

Mit der Revision des Bundesgesetzes betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs änderte sich die Lage. Nun können auch Fernmeldeüberwachungen angeordnet werden, «um eine Person zu finden, gegen die in einem rechtskräftigen und vollstreckbaren Entscheid eine Freiheitsstrafe verhängt oder eine freiheitsentziehende Massnahme angeordnet worden ist.»

Bei der Kantonspolizei Bern sind laut dem Jahresbericht des ÜPF knapp 50 Fahndungen nach Entflohenen im Jahr 2019 durchgeführt worden. Davon wurden in vier Fällen Anschlüsse auf der neuen Gesetzesgrundlage überwacht.

Die Gründe für eine Überwachung sind vielschichtig. In 42 Prozent der Fälle bilden Vermögensdelikte die Grundlage der Ermittlung, in 26 Prozent sind es Betäubungsmitteldelikte. An dritter Stelle stehen Körperverletzungen und Tötungsdelikte, die in 10 Prozent Ursache für eine Überwachung darstellen.

Jahresbericht ÜPF

Nicht alle Kantone nutzen die Möglichkeit zur Überwachung gleich häufig. Am meisten findet eine solche im Kanton Waadt statt, gefolgt von Zürich und Genf. An vierter Stelle folgt der Kanton Bern.

Trotz Gesetzesrevision, nach wie vor sind die Hürden, um eine Person zu überwachen, hoch, wie Urs Hubmann, Leitender Staatsanwalt bei der Staatsanwaltschaft II des Kantons Zürich, im Interview mit «Bluewin» bestätigt.

Herr Hubmann, wann ist es erlaubt, die Fernmeldeverbindungen von jemandem zu überwachen? Das ist ja ein recht tiefer Einschnitt in die Persönlichkeitsrechte.

Weil dies tatsächlich einen erheblichen Einschnitt in die Persönlichkeitsrechte darstellt, hat der Gesetzgeber verschiedene Einschränkungen vorgesehen. Die Strafverfolgungsbehörden dürfen nur dann tätig werden, wenn ein dringender Tatverdacht auf ein schweres Delikt gemäss Deliktekatalog (zu finden unter Art. 269 in der Strafprozessordnung) vorliegt und wenn andere Ermittlungsmassnahmen nicht mehr zum Erfolg führen. Zudem muss die Überwachungsanordnung der Strafverfolgungsbehörden durch ein Gericht genehmigt werden.

Was offenbaren fernmeldetechnische Daten genau – und wie helfen diese der Strafverfolgung?

In der Kommunikationsüberwachung werden Gespräche und Textnachrichten aufgezeichnet. Dazu gehören auch die sogenannten Randdaten. Das sind Angaben zu den verwendeten Kommunikationsmitteln, wie beispielsweise die Telefonnummer und Standortdaten. In der Strafverfolgung sind diese Daten eines von vielen Puzzle-Teilen, die als Beweismittel verwendet werden und zur Ermittlung der Täterschaft führen können. Ausserhalb der Strafverfolgung hilft die Kommunikationsüberwachung etwa bei der Suche nach vermissten Personen – die sogenannte Notsuche, indem der Standort eines abgestürzten und verletzten Wanderers ermittelt und die Rettung rasch eingeleitet werden kann.

Wann gerät die Überwachung des Fernmeldeverkehrs an seine Grenzen?

Wenn gesetzlich erlaubte Massnahmen technisch nicht umsetzbar sind, zum Beispiel weil es Lücken in der Mobilfunkabdeckung beziehungsweise Schwierigkeiten mit der Entschlüsselung gibt.

Wird auch präventiv überwacht?

Eine Überwachung setzt gemäss Strafprozessordung einen dringenden Tatverdacht auf eine Straftat voraus. Im präventiven Bereich greifen die Massnahmen gemäss Nachrichtendienstgesetz.

Was passiert mit den Daten, die über eine Person gesammelt wird?

Die erhobenen Daten gelten als Beweismittel in einem Strafverfahren und der Umgang mit ihnen ist in der Strafprozessordnung geregelt. Wenn ein Strafverfahren abgeschlossen ist, greifen die einschlägigen Normen des Datenschutzgesetzes.

Bei wie vielen und welchen Delikten hat das System sich ausbezahlt?

Überwachungsmassnahmen leisten einen wichtigen Beitrag – manchmal sogar den entscheidenden –, um besonders verwerfliche Straftaten, etwa Tötungsdelikte, organisierte Kriminalität, schwere Bandendelikte (wie Menschenhandel, Betäubungsmittelhandel, Cyberdelikte) oder schwere Sexualdelikte (auch solche zum Nachteil von Minderjährigen) aufzuklären. Überwachungsmassnahmen sind ein wichtiges Instrument, das den Strafverfolgungsbehörden bei der Wahrheitsfindung dient. Das zeigt sich auch darin, dass Überwachungsmassnahmen auch schon dazu geführt haben, anfänglich verdächtige Personen von den Vorwürfen zu entlasten.

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