Wölfe reissen Mutterkühe So soll beim Beverin-Rudel durchgegriffen werden

uri

15.7.2022

Der Leitwolf des Beverin-Rudels gerät im Jahr 2019 mit erlegtem Wild in eine Fotofalle. (Archiv)
Der Leitwolf des Beverin-Rudels gerät im Jahr 2019 mit erlegtem Wild in eine Fotofalle. (Archiv)
Bild: Amt für Jagd und Fischerei Graubünden

Das Beverin-Wolfsrudel hat fünf Tage nach einem Mutterkuh-Riss offenbar eine weitere Kuh angegriffen und schwer verletzt: Was bislang bekannt ist und wie die Bündner Behörden nun durchgreifen.

uri

15.7.2022

Worum geht es?

Am vergangenen Wochenende haben Wölfe eine sieben Jahre alte trächtige Kuh auf der Nurdagn am Schamserberg gerissen. Wenige Tage später haben Wölfe auch auf der benachbarten Alp Nera eine weitere Mutterkuh angegriffen und dabei so schwer verletzt, dass das Tier am Donnerstag getötet werden musste.

Schon nach dem ersten Fall sprach der Amtsleiter für Jagd und Fischerei des Kantons Graubünden, Adrian Arquint, von einer «neuen Dimension». Laut dem Amt handelt es sich bei der Tötung einer ausgewachsenen Mutterkuh – im Vergleich zu Schäden bei Schafen und Ziegen – um eine weitere, neue und schwerwiegendere «Eingriffstiefe».

Welche Wölfe kommen infrage?

Zuletzt standen Ergebnisse von DNA-Proben noch aus. Trotzdem gingen alle Seiten davon aus, dass es sich bei den Wölfen um Tiere des Beverin-Rudels handelt: Beide Fälle liegen im Streifgebiet dieses Rudels, zudem verhalten sich die Beverin-Wölfe seit mehreren Jahren «sehr problematisch», wie Behördenvertreter Arquint sagte.

Laut der Gruppe Wolf Schweiz hat sich das Rudel seit dem Jahr 2019 im Gebiet um den Piz Beverin gebildet. Die aus den italienisch-französischen Südwestalpen zugewanderten Elterntiere, die Fähe F37 und der Rüde M92, haben demnach bis zum letzten Jahr mindestens 22 Welpen bekommen.

Der Kanton Graubünden liess das Rudel bereits in der Vergangenheit nach verschiedenen Vorfällen dezimieren. Bis Dezember 2019 wurden drei Welpen abgeschossen, ein weiterer wurde von einem Zug überfahren.

Als besonderer Problemfall gilt nicht zuletzt der prägende Leitrüde M92. Er ist geübt darin, Herdenschutzmassnahmen zu umgehen und riss bereits im Jahr 2020 einen Esel und neben zig ungeschützten Schafen auch vielfach geschützte Tiere. Zudem scheint M92 mit seinem Rudel zusehends die Scheu vor Menschen zu verlieren: Eine Hirtin berichtete in der Vergangenheit von zwei Zusammentreffen mit den Wölfen und auch eine Touristin begegnete im Streifgebiet angeblich zwei ausgewachsenen Tieren und vier Welpen. 

Was fordern die Bündner Bauern?

Der Bündner Bauernverband und der Bündner ÄlplerInnen Verein machen sich laut einer gemeinsamen Mitteilung inzwischen nicht mehr nur Sorgen um die Nutztiere, sondern auch um «die Sicherheit der Älplerinnen und Älpler». Viele von ihnen könnten ihre harte Arbeit «nur noch unter grosser Anspannung» verrichten, teilen sie mit. 

Von Bund und Kanton fordern die Organisationen nun die unverzügliche Erklärung eines «Wolfs-Notstands». Dem Problem sei rasch zu begegnen – der Leitrüde M92 gemeinsam mit dem Rudel zu eliminieren. Die Wölfe seien «durch jahrelanges Ausbleiben geeigneter Massnahmen fehlgeprägt», begründen die Verbände die radikale Forderung.

Unterstützt werden sie dabei von der Bündner Mitte-Partei und der Bündner SVP, die ebenfalls die sofortige Entfernung des Beverin-Rudels anmahnen. Werde nichts unternommen, könne Selbstjustiz nicht ausgeschlossen werden, befürchtet dabei die SVP – die Situation sei den Landwirtinnen und Landwirten nicht länger zumutbar.

Was sagen die Naturschützer?

Handlungsbedarf beim Beverin-Rudel sehen auch die Naturschutzorganisationen WWF, Pro Natura und die Gruppe Wolf Schweiz, wie sie in einer gemeinsamen Mitteilung schreiben. Das Rudel trete «als besonders schadenstiftend in Erscheinung», indem es regelmässig geschützte Schafherden angreife und als bislang einziges Rudel der Schweiz auch ausgewachsene Kühe und einen Esel getötet habe. Es unterscheide sich insofern von anderen Wolfsrudeln in der Schweiz. Es sei eine «Ausnahmesituation, die besondere Massnahmen erfordert», halten die Naturschutzorganisationen fest.

Sie unterstützen deshalb ein «rasches und zielgerichtetes Handeln durch Abschüsse von Jungwölfen, um das Verhalten des Rudels rasch und nachhaltig zu ändern». Ebenfalls befürworten die Organisationen den Abschuss des Leitwolfes M92, da sich dessen Verhalten offensichtlich nicht mehr ändern lasse. Vor der Tötung des ganzen Rudels müssten allerdings erst diese Massnahmen ausgeschöpft werden, mahnen die Organisationen an. Zudem sei die komplette Entnahme des Rudels «rechtlich nicht zulässig».

Wie reagiert der Kanton?

Noch nach dem Riss der ersten Kuh teilte das Amt für Jagd und Fischerei des Kantons Graunbünden mit, man werde umgehend versuchen, am Rissort selbst einen Wolf des Rudels zu narkotisieren und auch mit einem GPS-Sender zu versehen. Von der Massnahme verspreche man sich eine «Vergrämungswirkung», also eine Vertreibung der Tiere durch diese Störung.

Auch wollte man durch einen Sender am Tier weitere Informationen über das Verhalten der Tiere sammeln. Das könne «unter anderem auch dem Vollzug von Regulationsabschüssen gemäss geltendem Bundesrecht dienlich sein.»

Ob ein solcher Peilsender inzwischen bei einem Wolf angebracht wurde, ist unbekannt. Sicher ist aber, dass der Kanton eine härtere Gangart gegen die Wölfe einlegt: Zwei Jungtiere aus dem Problemrudel werden zum Abschuss freigegeben, wie die Kantonsregierung am Freitag bekannt gab. Zuvor schien auch die rechtliche Vorgabe erfüllt, dass das Rudel «in diesem Jahr Nachwuchs erhalten hat».

Graubünden will sich zudem künftig für weitere zeitnahe Regulationsabschüsse einsetzen. Vor allem solle der Leitwolf M92 erlegt und letztendlich im Rahmen der Gesetze das gesamte Beverin-Rudel entfernt werden. Derzeit ist die kantonale Handlungsfreiheit hier durch verschiedene Gesetze, Richtlinien und Klauseln beschränkt.

Was meint der Bund?

Die Forderungen aus den Kantonen nach entsprechenden Regelungen oder Notverordnungen, die einen Abschuss der Wölfe erleichtern, stossen beim Bund auf taube Ohren. Der Bundesrat erinnerte zuletzt daran, dass er die Jagdverordnung bereits angepasst habe, womit die Schwelle für einen Abschuss «deutlich gesenkt» worden sei. Auch verweist die Landesregierung darauf, dass das Parlament einen neuen Entwurf zur Änderung des Jagdgesetzes ausarbeite, um präventive Abschüsse von Wölfen zu ermöglichen.

Wie der Bund erklärte, würden die meisten Nutztiere zudem auf ungeschützten Alpen angegriffen. Gerade für den Herdenschutz habe das Parlament auf den Alpsommer 2022 hin zusätzliche 5,7 Millionen Franken bewilligt. Damit stünden nun insgesamt 9,4 Millionen Franken zur Verfügung.

Wie viele Wölfe gibt es überhaupt in der Schweiz?

In der Schweiz leben aktuell rund 150 Wölfe in etwa 15 Rudeln, teilt das Bundesamt für Umwelt Bafu blue News auf Nachfrage mit. Der Bestand der Raubtiere nehme dabei zu. Gemäss der Zahlen für das Jahr 2020 wurden laut Bafu-Angaben schweizweit 842 Nutztiere von Wölfen gerissen.