Bundespräsidentin Sommaruga reitet die grüne Welle in ihr Präsidialjahr

SDA/tjb

7.12.2019

Simonetta Sommaruga, die neben dem Politisieren auch das Klavierspiel beherrscht, präsidiert im kommenden Jahr die Schweizer Landesregierung.
Simonetta Sommaruga, die neben dem Politisieren auch das Klavierspiel beherrscht, präsidiert im kommenden Jahr die Schweizer Landesregierung.
Bild: Keystone/Peter Schneider

Simonetta Sommaruga dürfte die nächste Bundespräsidentin werden. In ihrer zweiten Amtszeit wartet mit der Europafrage ein harter Brocken auf sie – und der wird kaum helfen, sie bei der SVP beliebter zu machen.

Am 11. Dezember wird Simonetta Sommaruga voraussichtlich zur Bundespräsidentin gewählt – bereits zum zweiten Mal. Erneut stehen schwierige Gespräche mit der EU an. In den eigenen Dossiers aber hat Sommaruga dieses Mal gute Karten.

Das erste Präsidialjahr absolvierte sie 2015, im Jahr der Flüchtlingskrise. Als Asylministerin im Justizdepartement sah sich Sommaruga mit starkem Gegenwind konfrontiert. Als Umweltministerin im Departement für Umwelt, Energie und Verkehr (Uvek) hat sie derzeit Rückenwind: Mit der Klimabewegung sind Umweltthemen auf der politischen Agenda weit nach oben gerückt.

Sommaruga bei einem Besuch in Tunesien – ein Land, das vor allem für das Asyldossier, das sie lange betreut hat, wichtig ist.
Sommaruga bei einem Besuch in Tunesien – ein Land, das vor allem für das Asyldossier, das sie lange betreut hat, wichtig ist.
Bild: Keystone/Anthony Anex

Sommaruga liess in den vergangenen Monaten keinen Zweifel daran, dass sie die Chance zu nutzen weiss. Im Sommer beschloss der Bundesrat auf ihren Antrag, dass die Schweiz bis 2050 klimaneutral sein soll. Wie sie das Ziel zu erreichen gedenkt, will die Umweltministerin nächstes Jahr aufzeigen.

CO2-Gesetz verschärft

Im Herbst – noch vor den Wahlen – stimmte der Ständerat einem CO2-Gesetz zu, das über die ursprünglichen Vorschläge des Bundesrates hinausgeht. Sommaruga hatte in der Kommission darauf hingewirkt. In der Ratsdebatte nahm sie die Autoimporteure ins Visier – und machte damit deutlich, dass sie die Konfrontation nicht scheut.

Nach dem Wahlsieg der Grünen ist die Ausgangslage für weitere Schritte zugunsten von Umwelt und Klima besser denn je. Manche hat Sommaruga bereits aufgegleist, darunter Massnahmen zur Förderung erneuerbarer Energien und zur Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene. Eine Kurskorrektur nahm sie auch in anderen Dossiers vor, namentlich in der Medienpolitik.

Asylsystem geändert

Als Justizministerin war Sommaruga für die schwierigen Themen verantwortlich gewesen, von Asyl bis Zuwanderung. Das hielt sie freilich nicht davon ab, Lösungen zu suchen – und zu finden. Sie war erst ein halbes Jahr im Amt, als sie ankündigte, das Asylsystem neu gestalten zu wollen. Fünf Jahre später sagten 67 Prozent der Stimmenden Ja zur Asylreform, auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise, gegen den Willen der SVP.

Die Asylministerin hat sie sich auch immer wieder selbst Eindrücke in Unterkünften für Geflüchtete verschafft.
Die Asylministerin hat sie sich auch immer wieder selbst Eindrücke in Unterkünften für Geflüchtete verschafft.
Bild: Keystone/Peter Klaunzer

Die breite Zustimmung hatte mit dem austarierten Inhalt zu tun: Die Reform sah raschere Verfahren und gleichzeitig einen besseren Rechtsschutz für Asylsuchende vor. Zum Erfolg trug aber auch Sommarugas Vorgehen bei. Sie hatte zuerst Informationen über Asylsysteme in anderen Ländern gesammelt und von Beginn weg die Kantone und Gemeinden einbezogen.

Linke Anliegen durchgebracht

Die Methode bewährte sich. Inzwischen ist die SP-Bundesrätin dafür bekannt, Projekte sorgfältig aufzugleisen, sich gut abzusichern und die relevanten Akteure frühzeitig einzubinden. Hat sie einmal entschieden, verfolgt sie den eingeschlagenen Weg beharrlich.

Auf diese Weise brachte sie trotz bürgerlicher Mehrheit linke Anliegen wie den Geschlechterrichtwert für grosse Unternehmen und Massnahmen gegen Lohndiskriminierung durch den Bundesrat und das Parlament. Ist die Situation verfahren, bereitet sie das Terrain für den ersten kleinen Schritt.

Geld für Verdingkinder

Für ehemalige Verdingkinder holte sie zunächst eine Soforthilfe heraus, später einen Solidaritätsbeitrag. Vor ihr hatte sich niemand an das Thema gewagt. Die Sache galt als heikel, man fürchtete Entschädigungsforderungen.

Auch im Familienrecht gelangen Sommaruga mehrere Reformen. Das Engagement für die eigenen Projekte hindert sie nicht daran, im Bundesrat Einfluss auf die Geschäfte anderer zu nehmen. In der Öffentlichkeit überzeugt sie mit souveränen Auftritten, im Parlament mit Dossierkenntnis.

Lieblingsgegnerin der SVP

Respekt geniesst Sommaruga sowohl im linken als auch im bürgerlichen Lager. Für die SVP allerdings ist und bleibt sie die Lieblingsgegnerin. «Diese Frau» müsse gestoppt werden, schrieb die Partei einst in einem Inserat.

Dieses Bild war Wasser auf die Mühlen der SVP: Der damalige EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker bei einer etwas gar enthusiastischen Begrüssung von Sommaruga im Februar 2012.
Dieses Bild war Wasser auf die Mühlen der SVP: Der damalige EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker bei einer etwas gar enthusiastischen Begrüssung von Sommaruga im Februar 2012.
Bild: EPA/Olivier Hoslet

Sommaruga lässt sich jedoch nicht stoppen. Auf Kritik und Anfeindungen reagiert sie besonnen und betont sachlich. Dass sie sich einmal von einem SVP-Nationalrat dazu provozieren liess, den Saal zu verlassen, sorgte auch deshalb für Wirbel: Es passte nicht ins Bild, das sich viele von ihr gemacht hatten.

Kampf gegen Volksinitiativen

Zur Lieblingsgegnerin der SVP wurde Sommaruga nicht nur wegen des Asyldossiers. In den acht Jahren als Justizministerin musste sie diverse Volksinitiativen aus dem rechten Lager bekämpfen. Die Abstimmung zur Ausschaffungsinitiative verlor sie ebenso wie jene zur Pädophileninitiative.

Simonetta Sommaruga nach der ersten Wahl zur Bundespräsidentin am 3. Dezember 2014. Links ihr Stiefsohn Jonas Lehmann, recht Ehemann Lukas Hartmann.
Simonetta Sommaruga nach der ersten Wahl zur Bundespräsidentin am 3. Dezember 2014. Links ihr Stiefsohn Jonas Lehmann, recht Ehemann Lukas Hartmann.
Bild: Keystone/Peter Schneider

Die Kehrtwende gelang mit der Durchsetzungsinitiative, welche das Stimmvolk nach einem heftigen Abstimmungskampf deutlich ablehnte. In der Bilanz zu ihrem ersten Präsidialjahr hatte Sommaruga an die Mitteparteien appelliert, klare Grenzen gegen «rechts aussen» zu setzen und in Abstimmungskämpfen für Rechtsstaatlichkeit und Völkerrecht einzustehen.

Schwierige Beziehungen zur EU

Sommarugas bisher grösste Niederlage ist das Ja zur Masseneinwanderungsinitiative, das allerdings eher dem Gesamtbundesrat als ihr angelastet wurde. Sie hatte versucht, die negativen Folgen der Zuwanderung offen anzusprechen. Die Annahme der Initiative führte zu Problemen mit der EU, die Sommarugas erstes Präsidialjahr prägten.

Lange wurde um eine Lösung gerungen, doch liess sich der Konflikt zwischen Bundesverfassung und Personenfreizügigkeitsabkommen nicht auflösen. Das Parlament entschied schliesslich zugunsten des Abkommens. Im zweiten Präsidialjahr dürfte es nicht einfacher werden: Erhofft wird von Sommaruga nichts Geringeres als ein Durchbruch beim blockierten Rahmenabkommen, gegen das auch ihre Partei grosse Vorbehalte hat.

Begonnenes zu Ende führen

Sommaruga war am 22. September 2010 im Alter von 50 Jahren in den Bundesrat gewählt worden, als Nachfolgerin von Moritz Leuenberger. Das Engagement bei der Stiftung für Konsumentenschutz hatte der Pianistin 1999 den Sprung von der Exekutive der Berner Vorortsgemeinde Köniz in den Nationalrat ermöglicht. 2003 gelang es ihr, Berns bürgerliches Bollwerk im Ständerat zu sprengen.

In der Landesregierung musste Sommaruga zunächst gegen ihren Willen das Justiz- und Polizeidepartement übernehmen. Dennoch versuchte sie nicht, es bei der ersten Gelegenheit wieder loszuwerden: Was sie aufgegleist hatte, wollte sie zu Ende führen. Im Umwelt- und Infrastrukturdepartement hat sie gerade erst angefangen.

Gewinner und Verlierer der eidgenössischen Wahlen
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