Zurück an den Bundesrat Ständerat verschiebt Entscheid zu sexueller Belästigung im Job

sda/tgab

25.9.2023 - 20:33

Sexuelle Übergriffe in der US-Filmbranche gaben 2017 den Anstoss zur #MeToo-Bewegung. (Themenbild)
Sexuelle Übergriffe in der US-Filmbranche gaben 2017 den Anstoss zur #MeToo-Bewegung. (Themenbild)
Keystone

Die Schweiz ratifiziert das Abkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zur Beseitigung von Gewalt und Belästigung in der Arbeitswelt vorerst nicht. Der Ständerat trat am Montag zwar zunächst auf die Vorlage ein, wies sie aber danach an den Bundesrat zurück.

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  • Der Ständerat verschiebt den Entscheid über das ILO-Abkommen zur Beseitigung von Gewalt und Belästigung in der Arbeitswelt.
  • Der Ständerat hat am Montag einem Rückweisungsantrag von Benedikt Würth (Mitte/SG) stattgegeben.
  • Die Befürchtung: Würde das Abkommen nach der Vorlage angenommen, würde das Schweizer Arbeitsrecht möglicherweise wegen daraus resultierender Gesetzesanpassungen überladen.
  • Politiker*innen diverser Parteien reagieren unterschiedlich.

Mit 34 zu sechs Stimmen bei drei Enthaltungen hiess die kleine Kammer einen Rückweisungsantrag von Benedikt Würth (Mitte/SG) gut. Würth verlangt vom Bundesrat einen Zusatzbericht. Die Landesregierung solle darlegen, welche Bestimmungen des Übereinkommens direkt anwendbar seien und welche nicht. Zudem solle eine ordentliche Vernehmlassung durchgeführt werden.

Hintergrund der Rückweisung ist, dass dem ILO-Übereinkommen im Ständerat die Ablehnung drohte. Eine knappe Mehrheit der Kommission für Rechtsfragen des Ständerats (RK-S) fürchtete durch das Abkommen eine Überladung des Schweizer Arbeitsrechts.

Nicht-Ratifikation negatives Signal auf internationaler Ebene

Die Kommissionsmehrheit traute der Versicherung des Bundesrats nicht, dass durch die Ratifikation nach derzeitigem Kenntnisstand in der Schweiz keine Gesetzesanpassungen nötig würden. Es würden «Tür und Tor für die verschiedensten Anliegen» geöffnet, so die Befürchtung.

Eine Minderheit der Kommission vertrat ebenso wie die Sozialpartner und der Bundesrat die Ansicht, die Schweiz sende auf internationaler Ebene ein negatives Signal, falls sie das Abkommen nicht ratifiziere.

Minderheitssprecherin Heidi Z'graggen (Mitte/UR) sagte, die meisten der wichtigsten Handelspartner der Schweiz hätten das Übereinkommen bereits ratifiziert oder seien dabei, dies zu tun. Eine Nicht-Ratifikation würde die Schweiz schlecht aussehen lassen.

Bislang haben 32 Staaten das Übereinkommen ratifiziert. Carlo Sommaruga (SP/GE) sagte, auch Länder mit einem liberalen Arbeitsrecht wie Grossbritannien stünden hinter dem Abkommen. Er hob hervor, die Sozialpartner arbeiteten in der ILO zusammen. Es sei viel getan worden, damit das Übereinkommen sowohl den Bedürfnissen der Arbeitnehmer- als auch jenen der Arbeitgeberseite gerecht werde.

Warnung vor Eigentor

Eine Nicht-Ratifikation würde zudem das internationale Genf schwächen, warnte er. Und sie würde der Glaubwürdigkeit der Schweiz bei Verhandlungen über Freihandelsabkommen schaden, wenn es um Sozialklauseln gehe.

Wirtschaftsminister Guy Parmelin beteuerte vergeblich, das Übereinkommen habe keine direkte Wirkung auf die Schweizer Gesetzgebung. Niemand werde sich vor einem Schweizer Gericht darauf berufen können. Sommaruga habe recht, wenn er davor warne, die Schweiz drohe sich im Hinblick auf Gespräche über Handelsabkommen «selbst in den Fuss zu schiessen».

Zur Debatte stand das Übereinkommen Nummer 190 der ILO von 2019. Es ist laut des Botschaft des Bundesrats das erste Abkommen, das eine international vereinbarte Definition von Gewalt und Belästigung in der Arbeitswelt enthält.

Das Übereinkommen sieht ein gesetzliches Verbot von Gewalt und Belästigung am Arbeitsplatz vor. Weiter nennt es Massnahmen zur Prävention und Unterstützungs- und Abhilfemassnahmen für Opfer.

Appell des ILO-Direktors

Im vergangenen August hatte sich der Direktor der ILO, Gilbert Houngbo, in die Diskussion eingeschaltet. Die Schweiz verfüge zwar bereits über nationale Gesetze, räumte er im Interview mit der Westschweizer Zeitung «Le Temps» ein. Sie müsse aber mit gutem Beispiel vorangehen und ihre internationale Verantwortung wahrnehmen – besonders als Mitglied des UNO-Sicherheitsrates. Bisher habe kein Mitgliedstaat das Übereinkommen angelehnt.

Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) reagierte am Montag mit Kritik auf den Ständeratsentscheid. In einem Communiqué sprach er von einer falschen und fehlgeleiteten Verzögerungstaktik. Die Botschaft des Bundesrats sei extrem detailliert gewesen und habe alle Fragen geklärt.

Die Ratifikation der ILO-Konvention müsste eine Selbstverständlichkeit sein, schrieb der SGB. Sexuelle Belästigung betreffe zu viele Menschen auf dem Schweizer Arbeitsmarkt – und habe oft gravierende Folgen für die Gesundheit der Betroffenen und ihre weiteren Erwerbsverläufe.

Der Nationalrat hatte sich in der Wintersession klar für die Genehmigung des Übereinkommens ausgesprochen. Er muss nun über die Rückweisung befinden. Lehnt er sie ab, ist erneut der Ständerat am Zug. Votiert die kleine Kammer danach ein zweites Mal für die Rückweisung, setzt sie sich durch.