Taskforce-Chef enttäuscht «Ich dachte, die Schweiz kriegt das besser hin»

dor/uri

23.3.2021

«Ich hatte hohe Erwartungen und bin enttäuscht worden»: Taskforce-Chef Martin Ackermann findet, dass die Schweiz im Umgang mit der Corona-Pandemie unter ihren Möglichkeiten bleibt. 

Ein Mitarbeiter der Stadt Bern sperrt die Bundesterrasse kurz nach Ausrufung des ersten Lockdowns im Frühling 2020 ab. (KEYSTONE/Peter Klaunzer)
Ein Mitarbeiter der Stadt Bern sperrt die Bundesterrasse kurz nach Ausrufung des ersten Lockdowns im Frühling 2020 ab. (KEYSTONE/Peter Klaunzer)
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Martin Ackermann, Leiter der Covid-19 Science Taskforce des Bundes, ist überrascht, wie schwer sich die Schweiz mit der Corona-Pandemie tut. Natürlich übertreffe diese Krise «schlicht alles, was ich mir vorstellen konnte – dennoch dachte ich, wir kriegen das besser hin», sagt Ackermann in einem Interview mit dem ETH-Magazin «Globe». Er habe erwartet, dass die Schweiz «evidenzbasiert handelt, viele Werkzeuge einsetzt, unsere technologischen Möglichkeiten nutzt – ich hatte hohe Erwartungen und bin enttäuscht worden», sagte Ackermann weiter.

Martin Ackermann, Präsident der Covid-19 Science Task Force des Bundes. (Archiv)
Martin Ackermann, Präsident der Covid-19 Science Task Force des Bundes. (Archiv)
Bild: Keystone

Die grösste Schwierigkeit ist nach seinem Dafürhalten die Tatsache, dass sich in der Schweiz sehr schnell die Auffassung verbreitet habe, man müsse sich zwischen Gesundheit und Wirtschaft entscheiden. Das habe die Diskussion sehr stark geprägt. «Deshalb fiel es uns schwer, früh beherzt einzugreifen», sagt der ETH-Professor, der am Wasserforschungsinstitut Eawag die Forschungsgruppe für Ökologie mikrobieller Systeme leitet.

Konsens in der Taskforce ist klar

Der Konsens der Taskforce sei aber klar, so Ackermann: Es sei auch ökonomisch besser, harte Massnahmen zu treffen, mit denen die Fallzahlen schnell gesenkt werden können, als «weiche Massnahmen zu ergreifen und lange Perioden mit hohen Fallzahlen in Kauf zu nehmen».

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Dass es in der Schweiz viele Menschen gibt, die Corona und die Massnahmen skeptisch beurteilen, führt Ackermann darauf zurück, dass die meisten Menschen in ihrem Alltag nichts oder nicht viel vom Coronavirus spüren würden, selbst wenn die Spitäler voll seien. «Du siehst es nicht, du spürst es nicht, aber alle sagen dir, da sei etwas ganz Schlimmes und du müsstest dich deshalb stark einschränken. Das ist eine schwierige Konstellation. Insofern erstaunt es mich nicht, dass viele Menschen skeptisch sind», sagte der Wissenschaftler. Deshalb sei es wichtig, dass Spitalmitarbeitende und Betroffene aus ihrem Alltag erzählten.

Trotz aller Kritik findet Ackermann auch lobende Worte. Er habe grossen Respekt vor den Leistungen der Politikerinnen und Politiker. Deren Arbeit sei «stark von den Rahmenbedingungen geprägt.» Das kenne er als Wissenschaftler so nicht. In der Forschung lege man den Standard, den man erreichen wolle, nämlich selbst fest und arbeite dann so lange, bis man ihn erreicht habe. Auch zeigte sich der Taskforce-Chef beeindruckt, wie gut manche Journalistinnen und Journalisten das Thema überblicken würden. «Ich lerne aus Gesprächen mit ihnen mindestens genauso viel wie sie».