Ausbildung im Fokus Tausende Lehrstellen sind noch unbesetzt - ist das ein Problem?

Nicolai Morawitz

17.7.2018

In vielen Branchen fehlt es an Lehrlingen: Das liegt an gestiegenen Anforderungen, aber auch an Defiziten der Kandidaten.
In vielen Branchen fehlt es an Lehrlingen: Das liegt an gestiegenen Anforderungen, aber auch an Defiziten der Kandidaten.
Keystone

Der Sommer ist nicht nur Badi- und Ferienzeit, sondern für viele junge Menschen der Moment, nach einem Ausbildungsplatz zu suchen. Mehr als 12'500 Lehrstellen sind derzeit noch unbesetzt - steuern wir geradewegs auf eine Ausbildungskrise zu oder funktioniert so einfach «der Markt»?

Das sagt der Arbeitsmarktexperte der ETH-Zürich, Michael Bolli:

Die Anzahl der unbesetzten Lehrstellen ist zwar in den vergangenen Jahren auf einem konstanten Niveau geblieben, doch wie gehen die Betriebe mit den Nachwuchssorgen im Alltag um?

«Wir haben sehr lange gebraucht, um einen geeigneten Lehrling zu finden», sagt Steffen Eiszner. Er ist Küchenchef im Restaurant Mürset in Aarau. Es seien überhaupt nur wenige Bewerbungen für den Ausbildungsberuf der Köchin oder des Kochs eingegangen, so Eiszner. «Und viele hatten keine ausreichend gute Schulnoten». 

Von «Lehrstellenkrise» weit entfernt

«Lena» weiss, wo man in der Schweiz einen Beruf erlernen kann. Hinter der Abkürzung verbirgt sich der Lehrstellen-Nachweis der Berufsberatung. Anfang Juli waren dort über 12'500 freie Lehrstellen in der Schweiz aufgeführt - es könnten aber noch weitaus mehr sein: «Viele kleinere Lehrbetriebe schalten ihre Annoncen nur lokal auf und sind deshalb gar nicht auf dem Portal erfasst», sagt Tommy Durrer, der beim Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) für Ausbildungsfragen zuständig ist.

427 Ausbildungsplätze als Koch oder Köchin führt «Lena» auf. Auch Küchenchef Eiszner und das Restaurant hatten dort ihr Gesuch platziert. Wer bei ihm eine Lehre absolviere, könne «Verantwortung vom ersten Tag an» übernehmen. «Nur zum Putzen und Gemüseanbraten» brauche er sicherlich keinen Lehrling, so Eiszner.

Für Theo Ninck vom Mittelschul- und Berufsbildungsamt des Kantons Bern zählt die Gastronomie zu einem Berufszweig mit vielen offenen Lehrstellen. Auch im Baugewerbe, dem Detailhandel und im Sanitärbereich seien die Unternehmen auf der Suche. Insgesamt seien derzeit 850 Lehrstellen unbesetzt. Von der Krise beim Lehrstellenangebot der 1990er Jahre ist man damit weit entfernt.

Keine «Frustrationstoleranz»

Ninck sieht mehrere Gründe für diese Entwicklung: Zum einen seien in den vergangenen Jahren eher geburtenschwächere Jahrgänge auf den Ausbildungsmarkt gekommen. Auch die gute Konjunktur in der Schweiz habe ihren Teil dazu beigetragen. 

Es liege aber auch an der Qualifikation der Kandidaten selbst - diese lasse teilweise zu Wünschen übrig, so Ninck. Und gleichzeitig seien die Anforderungen der Unternehmen gestiegen.

Er erlebe im Gespräch mit den Jugendlichen häufig, dass es sprachliche Defizite bei Kandidaten mit Migrationshintergrund gebe. Zudem sei tendenziell festzustellen, dass die Jugendlichen ihre eigenen Fähigkeiten überbewerten. «Vielen jungen Menschen fehlt ausserdem eine gewisse Frustrationstoleranz», findet Ninck. Bei Misserfolgen werde schnell gewechselt.

KV-Lehre weiter am beliebtesten

Auch Roman Krapf, Berufs- und Laufbahnberater bei der Stadt Zürich, sieht täglich die Schwierigkeiten, Ausbildungsbetrieb und Auszubildende zusammenzubringen. Dass Wunsch und Wirklichkeit auseinanderklaffen können, sieht auch er: Im beliebten Berufszweig der Informatik zum Beispiel seien weit weniger Lehrstellen verfügbar als die potentiellen Kandidaten glauben würden.

Doch es gibt auch Lichtblicke: Krapf hat erlebt, wie sich der vergleichsweise junge Ausbildungsberuf der Fachfrau oder Fachmanns Gesundheit etablierte. «Mittlerweile ist bei den Spitälern angekommen, dass es sich um wertvolle Mitarbeiter handelt.»  

Am beliebtesten sei bei Frauen und Männern weiterhin eine kaufmännische Lehre. Auffällig ist laut Krapf, dass bei den weiblichen Ausbildungssuchenden das Spektrum der Berufe kleiner ist als bei den Männern. Die Berufsberatern raten generell dazu, sich bei der Berufswahl nicht gleich von Beginn an zu stark festzulegen. 

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