«Akademische Lüge» Uni St. Gallen wehrt sich gegen Vorwürfe von US-Professor

smi

5.2.2023

Russische Suchmaschine mit Filiale in Zug: Laut Kritikern führt die Uni St. Gallen in ihrer Studie auch Yandex als internationales Unternehmen, welches Russland nicht verlassen hat.
Russische Suchmaschine mit Filiale in Zug: Laut Kritikern führt die Uni St. Gallen in ihrer Studie auch Yandex als internationales Unternehmen, welches Russland nicht verlassen hat.
KEYSTONE

Es hätten kaum internationale Firmen Russland verlassen, hat die Uni St. Gallen vor kurzem festgestellt. Die Schweizer Studie sei Putin-Propaganda, kritisiert ein US-Professor. Jetzt wehrt sich die Uni St. Gallen.

smi

5.2.2023

«Es sind irreführende Daten, eine akademische Lüge!» zitiert das Schweizer Radio SRF Jeffrey Sonnenfeld, Professor für Management der University of Yale. Adressaten seiner Tirade: die Universität St. Gallen und das International Institute for Management Development in Lausanne.

Die Wortwahl liegt wohl auch am brisanten Thema der Untersuchung: Die Anzahl internationaler Unternehmen, die Russland seit Beginn des Angriffskriegs gegen die Ukraine verlassen haben.

Professor Sonnenfeld und sein Team listen seit Februar 2022 auf, welche Unternehmen ihr Geschäft im Reich Putins stärker eingeschränkt haben, als die verschiedenen Sanktionspakete sie zwingen. Mehr als 1200 Firmennamen sind es inzwischen.

Haben 1200 Unternehmen Russland verlassen oder 120?

Fast ein Jahr lang war die Liste der Yale University eine Referenz, um die wirtschaftliche Isolation Russlands zu zeigen. Doch dann publizierte die Uni St. Gallen zusammen mit der Wirtschaftshochschule IMD in Lausanne eine gemeinsame Studie, die zu einem ganz anderen Schluss kommt: Nur gerade 120 Unternehnen, 8,5 Prozent aller in Russland tätigen internationalen Firmen hätten ihre Aktivitäten dort eingestellt. 

Er habe die Studienautoren aufgrund einer ersten Fassung der Untersuchung auf die Fehler aufmerksam gemacht, sagt Sonnenfeld. Geändert hätten sie nichts. 

Der Hauptvorwurf: In den Daten der Schweizer Studie seien viele Firmen, die Russen gehörten, auch wenn sie ihren Hauptsitz ausserhalb Russlands hätten. Es sei klar, dass diese Russland nicht verlassen würden, so der Yale-Professor. Zudem fehlten namhafte Konzerne wie Amazon, BP, Goldman Sachs, Exxon und diverse weitere. Ja selbst Schweizer Unternehmen, die Russland verlassen hätten, seien in der Schweizer Studie nicht berücksichtigt.

Wer hat recht?

Im Namen der Universität St. Gallen wehrt sich Sprecher Adrian Sulzer in «20 Minuten». Sie hätten sich auf Firmen aus der EU und den G7-Staaten (die nicht EU-Mitglieder sind Grossbritannien, USA, Japan, Kanada) beschränkt. Zusammengetragen haben sie die Firmendaten über die Datenbank Orbis, die festhalte, wo die Firma oder deren Inhaber (mindestens 50,1 Prozent der Firmenanteile) sein Domizil habe. Es seien keine Russen unter den Firmenbesitzern, betont Sulzer weiter. 

Das sieht der US-Professor beispielsweise in seiner Kolumne im US-Wirtschaftsmagazin «Fortune» anders. Es seien zahlreiche Unternehmen in der Schweizer Datenbasis, die ganz klar russisch seien, auch wenn sie Filialen ausserhalb Russlands besitzen, so zum Beispiel Yandex, die dominierende Internet-Suchmaschine in Russland, X5, ein Einzelhandelskonzern oder der Dünger-Hersteller Uralchem.

Die Beiträge von SRF und «Fortune» listen zudem eine Reihe russischer Oligarchen auf, deren Unternehmen als international gälten. Klar ist: Je mehr in Russland tätige Firmen den multinationalen zugerechnet werden, desto kleiner wird der Anteil derjenigen, die das Land nach Putins Angriff auf die Ukraine verlassen haben.

Rechtliche Schritte in Prüfung, auch gegen SRF

Die Uni St. Gallen kritisiert ihrerseits, Yale blase die Anzahl der Firmen auf, die Russland den Rücken gekehrt hätten. So finde sich dort auch eine Organisation, die russische Katzen von Wettbewerben ausschliesse oder die «International Skating Union», die russische Athlet*innen die Teilnahme an internationalen Wettkämpfen untersage.

Es wird vertiefte Recherchen brauchen, um festzustellen, welche Untersuchung der Realität näher kommt.

Vor allem aber will die Universität St. Gallen die Vorwürfe der «akademische Lüge» und des «akademischer Betrugs» nicht hinnehmen. Sie prüfe rechtliche Schritte. Auch gegen Schweizer Radio SRF behalte sich die Hochschule den Rechtsweg vor, sollte dieses gewisse Aussagen im Bericht nicht korrigieren. Sie seien mit dem Medienhaus im Gespräch, so Sulzer zu «20 Minuten».

Hinweis der Redaktion: In einer früheren Version dieses Artikel stand, die Kritik an der Studie der Universität St. Gallen komme von der Universität Yale. Dies entspricht nicht den Tatsachen: Die Kritik stammt von einem US-Professor, der an der Universität Yale unterrichtet.