Weihnachten mit renitenten Verwandten «Dann laden Sie den Onkel halt nicht ein»

Von Anna Kappeler

24.12.2021

Soll dieser Bub geimpft werden oder nicht? Diese Frage könnte eine hitzige Diskussion nach sich ziehen und das Ende der besinnlichen Stimmung bedeuten.
Soll dieser Bub geimpft werden oder nicht? Diese Frage könnte eine hitzige Diskussion nach sich ziehen und das Ende der besinnlichen Stimmung bedeuten.
Bild: KEYSTONE

Wie klappen besinnliche Weihnachten, wenn zum alljährlichen Verwandten-Stress noch rekordhohe Corona-Zahlen und Impf-Dispute dazukommen? Eine Psychologin ordnet ein.

Von Anna Kappeler

24.12.2021

Ausgerechnet auf die Festtage explodieren die Corona-Zahlen. Auch die neue Omikron-Variante stimmt einen nicht gerade besinnlich. Viele Menschen sind gestresst und dünnhäutig.

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Zum Jahresende bringt blue News die Lieblingsstücke des ablaufenden Jahres noch einmal. Dieser Text erschien zum ersten Mal am 19. Dezember 2021.

Wie kann man sich mental auf dennoch entspannte Weihnachten vorbereiten? Birgit Kleim, Professorin für Experimentelle Psychopathologie und Psychotherapie an der Uni Zürich, sagt dazu: «Vor Weihnachten ist die Erwartungshaltung hoch, und die Hoffnung auf ein besinnliches Fest stirbt zuletzt.» Der Stress sei meistens hoch, weil viele Dinge Ende Jahr noch abgeschlossen werden sollen.

«Corona erhöht diesen Druck, da viele Menschen pandemiebedingte Ängste und Unsicherheiten haben, was die Grundanspannung erhöht», sagt Kleim.

Familienzusammenkünfte bergen ohnehin oft schwierige Konstellationen. Die Schwierigkeit beginne bereits im Vorfeld bei der Frage, wie und mit welchen Vorsichtsmassnahmen man sich überhaupt im Kreis der Familie oder mit Freunden zur Weihnachtsfeier treffen soll.

Laut Kleim kann jeder Mensch einen Teil der Anspannung «selbst etwas entschärfen». Sie hat dafür folgende Tipps:

Empfehlungen für entspannte Weihnachten

  • Gut auf sich und den Körper achten.
  • Guter und genügend Schlaf. Wichtig, damit man die Emotionen besser regulieren kann. Zu wenig Schlaf kann zu Denk- und Entscheidungsschwierigkeiten führen und zu Gereiztheit.
  • Mehr im Moment leben. Sich keine schlimmen Familien-Streitgespräche vorstellen. Deadlines und Geschenke-Stress einfach einmal ausblenden.

Wir haben Psychologin Kleim drei fiktive Szenarien geschildert und sie gebeten, Tipps und Tricks zu verraten, wie das Weihnachtsfest trotzdem gelingen kann.

Szenario 1: Die Schwiegereltern laden zum Fest zu sich nach Hause ein, sie sind nicht geimpft. Ich habe Angst um die Gesundheit von mir und meiner Familie. Was tun?

Das ist für viele eine Herausforderung. Meine Lösung wäre hier das Gespräch bereits im Vorfeld. Lassen sich Familienmitglieder aus Überzeugung oder aus welchen Gründen auch immer nicht impfen, kann ich versuchen, sie durch gute Argumente zum Umdenken zu bringen. 

Zur Person
ZvG

Birgit Kleim ist Professorin für Experimentelle Psychopathologie und Psychotherapie an der Universität Zürich.

Hier sollten die Gefühle und Ängste ehrlich angesprochen werden. Ein offenes Gespräch ist einen Versuch wert, um den allfälligen Konflikt im Vorfeld zu entschärfen.

Funktioniert das nicht, plädiere ich für Pragmatismus. Hat es Risikopersonen in der Gruppe, müssen die geschützt werden. Vielleicht lässt sich das Fest aufteilen? Und es kann in kleineren Kreisen an verschiedenen Daten gefeiert werden? Also zum Beispiel immer nur zwei Haushalte.

Ein weiterer Kompromiss wäre, dass sich alle testen lassen.

Kann ich mich notfalls weigern, zu kommen? Auch wenn es das war mit «O du fröhliche» …

Können Sie, auf jeden Fall. Es steht Ihnen immer frei, zu sagen, dass Sie sich mit einer Situation nicht wohlfühlen. Stehen Sie für sich selber ein.

«Es steht Ihnen immer frei, zu sagen, dass Sie sich mit einer Situation nicht wohlfühlen. Stehen Sie für sich selber ein.»

Birgit Kleim

Professorin für Psychotherapie an der Uni Zürich

Szenario 2: Ich bin Gastgeberin. Wie gehe ich mit dem ungeimpften Onkel um? Kann ich ihm den Zutritt zu meiner Wohnung verweigern oder ist das gar kleinlich?

Aus psychologischer Perspektive ist der Fall klar: Die Gastgeberin steht meist ohnehin unter Stress, weil sie alles organisiert und den Gästen ein schönes und entspanntes Fest bieten möchte. Sie muss sich selber schon auch noch wohlfühlen. Sonst macht es ihr selbst sowie allen anderen keine Freude.

Eine Familie feiert am 24. Dezember Heiligabend zu Hause. Der Elefant im Raum ist auch dieses Jahr die Pandemie.
Eine Familie feiert am 24. Dezember Heiligabend zu Hause. Der Elefant im Raum ist auch dieses Jahr die Pandemie.
Bild: KEYSTONE

Als Gastgeberin habe ich das Recht, dafür einzustehen, dass ich ein sicheres Weihnachtsfest für alle ermöglichen möchte. Dann muss ich in den sauren Apfel beissen und lade den Onkel nicht ein.

«Wichtig: Bleiben Sie freundlich und bei den Fakten.»

Aber: Sagen Sie dem Onkel nicht erst an Heiligabend, dass Sie Mühe haben mit Nicht-Geimpften in Ihrer Wohnung. Suchen Sie vorab das Gespräch mit ihm und erklären Sie ihm Ihre Bedenken. Vielleicht fruchtet das ja mehr als manche der öffentlichen Kampagnen, wenn es ganz konkret um Familie oder enge Freunde geht, die jemand dann nicht persönlich treffen kann – und er ändert seine Haltung.

Wichtig: Bleiben Sie freundlich und bei den Fakten.

Kann eine Lösung sein, dass die Gastgeberin Tests für alle bereithält?

Absolut. Das wäre die andere Option, um den Familienfrieden in dieser Situation zu wahren. Es ist ja vor allem im Sinne auch der möglicherweise Ungeimpften, dass sie sich bei der Feier nicht anstecken und in deren eigenem Interesse, dass alle getestet sind.

Szenario 3: Der Weihnachtsabend ist fortgeschritten, die Stimmung gut. Plötzlich geraten sich die Schwester und der Cousin in die Haare. Thema: Lassen wir die Kinder im Januar impfen? Für die Schwester eine klare Sache, für den Cousin grenzt das an Misshandlung. Die Stimmung kippt. Wie den Abend retten?

Mit solchen Momenten müssen Sie rechnen. Dazu trägt unter anderem die Erwartungshaltung bei. Erwarten alle, dass der Abend harmonisch verlaufen muss, ruiniert eine solche Diskussion das Fest sofort.

Arbeiten Sie an Ihrer Einstellung: Wenn Sie mental vorbereitet sind, dass solche Dispute vorkommen können, empfinden Sie diese gleich als weniger schlimm.

Und: Bei einem offenen Austausch ist es in Ordnung, wenn man nicht gleicher Meinung ist. Das kann man dann auch einfach so stehen lassen. Versuchen Sie, locker zu bleiben.

«Bei einem offenen Austausch ist es in Ordnung, wenn man nicht gleicher Meinung ist. Das kann man dann auch einfach so stehen lassen.»

Überlegen Sie sich zudem bereits vorab, was Reizthemen sein könnten. Klären Sie diese wenn möglich früh genug. Kommen solche gleichwohl zur Sprache, wechseln Sie das Thema. Servieren Sie das Dessert. Oder sagen Sie, diese Feier empfänden Sie nicht als richtigen Zeitpunkt für die Diskussion. Das kann ja gut auf später verschoben und nach der Weihnachtsfeier geklärt werden.

Zu guter Letzt: Humor hilft. Auch wenn dieser hier schwierig ist, weil das Thema wirklich nicht lustig ist. Aber vielleicht fällt Ihnen trotzdem ein guter Spruch ein, um die Situation zu retten.