80- bis 90-Stunden-Woche«Viele Ratsmitglieder laufen am Anschlag»
phi
19.5.2023
Das Milizsystem stösst an seine Grenzen, beklagen Politikerinnen und Politiker: Wegen der vielen Sitzungen fordern sie mehr Mittel für Mitarbeitende. Die SVP ist davon nicht begeistert.
phi
19.05.2023, 10:07
phi
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Durch viele Sessionen kommen Ratsmitglieder zwischen März und Juni auf 35 bis 40 Sitzungstage.
Die Vorbereitungen dafür kommen zu kurz, weil die Politiker*innen auch noch ihrem Beruf nachgehen müssen.
Eine GLP-Politikerin sagt, sie komme auf eine 80- bis 90-Stunden-Woche.
Durch eine Erhöhung des Pauschalbetrags von 33’000 Franken für Mitarbeitende könnten Betroffene entlastet werden.
Für die SVP riecht das nach einem Berufsparlament: Sie droht bei einer Erhöhung mit einem Referendum.
Wer im National- oder Ständerat sitzt, soll einen Beruf ausüben, um in diesem Umfeld zu erfahren, was das Volk fühlt und fordert. Doch das Milizsystem stösst an seine Grenzen, beklagen einige der Volksvertreter.
Mit den Frühlings-, Sommer- und Sondersessionen sowie Kommissionssitzungen kommen Nationalratsmitglieder zwischen März und Juni auf 35 bis 40 Sitzungstage. «Viele Ratsmitglieder laufen zurzeit am Anschlag», sagt eine GLP-Nationalrätin dem «Tages-Anzeiger». Mit ihrem regulären Job komme sie auf eine 80- bis 90-Stunden-Woche.
«Wenn ich die Situation mit ausländischen Parlamenten vergleiche, kommt mir das Schweizer Parlament wie ein Abnickerparlament aus den 50er-Jahren vor», klagt die Politikerin. «Ich brauche für meine Ratsarbeit dringend mehr logistische und organisatorische Unterstützung.»
«Davon bleiben mir rund 20’000 Franken»
Nun haben Parlamentarier*innen einen Vorstoss unternommen, der das Problem lindern soll. Der Politik sollen feste Mitarbeitende zur Verfügung gestellt werden, deren Lohn von Bund bestritten wird. Eine Alternative wäre es, den Pauschalbetrag von 33’000 Franken für eine Assistenz zu erhöhen.
Ratsmitglieder bekommene einen Grundlohn von 26’000 Franken. Hinzu kommen 43’000 bis 48’000 Franken Sitzungsgelder und 10’000 bis 20’000 Franken für Spesen, rechnet der «Tages-Anzeiger» vor. «Davon bleiben mir nach Abzug all meiner Aufwendungen für meine politische Arbeit und des Beitrages an meine Partei rund 20’000 Franken», so die GLP-Frau.
Sie will ihren Namen nicht in der Zeitung lesen, um weiter auf Augenhöhen mit Wirtschaftsgrössen reden zu können. «Wenn die wissen, was ich als Nationalrätin verdiene, nehmen die mich kaum mehr ernst.» Die GLP-Fraktionschefin hat Verständnis für die Kriitik. «Das Milizparlament ist den komplexen Aufgaben kaum mehr gewachsen», sagt Tiana Moser.
SVP droht mit Referendum
Die 44-Jährige gehört zu einer Gruppe, die im Auftrag des Nationalrats geprüft hat, wie sich der Beruf des Politikers besser mit Familie und Kindern koordinieren lasse. Das Ergebnis: Parlamentarier*innen müssten besser mit Mitarbeitenden unterstützt werden und in die 2. Säule aufgenommen werden, statt wie bisher einen Vorsorgebeitrag von 14’0000 Franken zu bekommen, ohne bei einer Pensionskasse zu sein.
Die vorgesehene Pauschale von 33’000 Franken sei für qualifizierte Mitarbeitende aber kaum genug: «Der heutige Beitrag reicht gerade mal, um jemanden zur Erledigung der Post zu beschäftigen», so SP-Nationalrätin Edith Graf-Litscher. Die staatspolitische Kommission des Nationalrats soll nun ausloten, wie das Problem gemildert werden kann.
Für die SVP ist eine Erhöhung der Entschädigung ein Schritt Richtung Berufsparlament. Falls es aufgestockt wird, hält sich Fraktionschef Thomas Aeschi ein Referendum vor, weiss der «Tages-Anzeiger».