Flugsicherheit nach Corona Gefährden «eingerostete Piloten» die Passagiere? 

Von Andreas Fischer

7.7.2021

Auch wenn viele Linienflugzeuge während der Corona-Pandemie lange auf Parkplätzen standen: Sie sind genauso einsatzbereit wie ihre Pilotinnen und Piloten.
Auch wenn viele Linienflugzeuge während der Corona-Pandemie lange auf Parkplätzen standen: Sie sind genauso einsatzbereit wie ihre Pilotinnen und Piloten.
KEYSTONE

Fehlendes Training, Rundflüge, parkierte Maschinen – ein Versicherer warnt vor neuen Risiken in der Luftfahrt nach der Corona-Pandemie. Die Schweizer Branche schüttelt ob des Szenarios den Kopf.

Von Andreas Fischer

«Zweifelsohne werden Herausforderungen auftauchen, wenn die Branche wieder voll durchstartet», ist sich der Luftfahrtversicherer Allianz Global Corporates & Specialty (AGCS) sicher. In einer Risikoeinschätzung warnt der Versicherer ausdrücklich vor «eingerosteten Piloten» und Schäden durch langes Grounding der Maschinen, wie die Nachrichtenagentur AFP berichtet. Mehrere Medien griffen die Meldung auf.

Risiko Nummer eins seien demnach untrainierte Piloten: Anfang dieses Jahres hätten Dutzende von Piloten Fehler wie etwa mehrere Landeversuche an die US-Behörde Nasa gemeldet – als Grund gaben sie fehlende Flugpraxis an, wie Alex von Frowein von AGCS erläuterte.

Auch die Rückkehr von Rundflügen in beliebten Tourismusregionen sieht die AGCS als Risiko. In den vergangenen Jahren habe es eine Reihe von tödlichen Unfällen bei Rundflügen mit Freizeitflugzeugen und Hubschraubern gegeben.

«Es ist eigentlich alles wie immer»

Was ist wirklich dran an der Einschätzung? Sollte man es sich wirklich überlegen, mit dem Flugzeug in die Ferien zu fliegen oder bei einem Rundflug das Alpenpanorama zu geniessen?

Anruf bei Sergio Petrig. Der Leiter der Flugschule am Flugplatz Wangen-Lachen versteht die Aufregung nicht. Warum sollten Rundflüge plötzlich gefährlich sein?

Ihn macht die Meldung der Versicherer stutzig. «Wir waren in der Schweiz nur während des ersten harten Lockdowns im Frühjahr 2020 eingeschränkt, also nicht einmal fünf Wochen.» Der Flugplatz hatte den Betrieb damals sogar nur aus Solidarität eingestellt: «Wir mussten das gar nicht.»

Nach dem kurzen harten Lockdown habe es auch immer eine Möglichkeit gegeben, unter gewissen Voraussetzungen Rundflüge durchzuführen: «Wir mussten eben mit Masken fliegen und die Flugzeuge regelmässig desinfizieren», sagt Petrig.



Einen grösseren Unterbruch im Betrieb habe es jedenfalls nicht gegeben, und auch die Piloten haben alle ihre vorgeschriebenen Flugstunden absolvieren können. «Die Flugschule, die Rundflüge und der Charterbetrieb – alles lief ganz normal weiter», bekräftigt der Fluglehrer und fügt an: «Es ist eigentlich alles wie immer.» Als Leiter der Flugschule nimmt er interne theoretische und praktische Prüfungen ab und hat dadurch auch einen genauen Überblick über die Anzahl der Flugstunden der Piloten.

Sicherheit war nie eingeschränkt

Von einem erhöhten Risiko nach dem Ende der Corona-Pandemie will Fluglehrer Petrig nichts wissen: «Auf die Qualität der Pilotenausbildung und die Anzahl der absolvierten Flugstunden hatten die Corona-Massnahmen keinen Einfluss. Das Bundesamt für Zivilluftfahrt hat von Anfang an alles möglich gemacht, damit Piloten im Training bleiben», lobt Petrig. «Die Sicherheit war bei uns wegen Corona nie eingeschränkt.»



Christian Schubert vom Bazl würde es ebenfalls interessieren, wie der Versicherer darauf kommt, von «eingerosteten Piloten» zu sprechen. Das sei «ein verheerendes Fazit». Schliesslich erfolge «die Aufsichtstätigkeit der zivilen Luftfahrtbehörden in der Schweiz und in andren Ländern während und nach Corona nach den gleichen Grundprinzipien, nämlich Safety first.»

Natürlich seien viele Flugzeuge und viele Piloten gezwungenermassen gegroundet worden, «aber bei den wiederkehrenden Trainings und Checks, mit denen das fliegende Personal die Lizenz aufrechterhält, haben sich die rechtlichen Rahmenbedingungen nicht geändert». Bei Trainings in Simulatoren, weiss Schubert, gehe der Puls der Piloten regelmässig hoch, weil die Anforderungen enorm seien und dort auch unvorhersehbare Ereignisse und mögliche Notfälle trainiert werden.

Alarmistische Risikobewertung

Die Swiss bestätigt auf Anfrage: «Um die sogenannte Recency (ausreichende Flugpraxis) aufrechterhalten zu können, wurde nur ein Teil des Cockpit-Personals eingesetzt. Die nicht eingesetzten Pilot*innen befanden sich zu 100 Prozent in Kurzarbeit. Für die eingesetzten Pilot*innen wurde der Einsatzplan präzise gesteuert, sodass diese jederzeit genügend Flugpraxis hatten. Ergänzend dazu wurden auch Simulator-Einsätze durchgeführt.»



Daniel Affolter, Präsident der Aircraft Owners and Pilots Association (AOPA), des Verbandes der Flugzeugeigentümer und Piloten in der Schweiz, hält die Risikoeinschätzung des Versicherers für «grundsätzlich alarmistisch», unter anderem, «weil die Erfahrungen aus dem Kommerzbereich auf die General Aviation umgelegt werden». Unter General Aviation versteht man die zivile Luftfahrt ohne Linien- und Charterflüge – etwa Privatflüge und Rundflüge.

«Es ist ein Unterschied, ob ich einen Airbus A 350 fliege – eine technisch sehr komplexe Angelegenheit – und dann sechs Monate pausieren muss, oder ob ich ein kleines Privatflugzeug steuere», sagt Affolter weiter, der von einigen Linienpiloten berichtet, die sehr unter der Situation gelitten haben. «Bei der Swiss wurde ein Teil der Piloten vorzeitig pensioniert, die anderen haben ihr Minimum an Flugstunden regelmässig im Simulator absolviert, damit ihre Lizenzen gültig bleiben.»

Bei Rundflügen sind die Vorschriften streng

Affolter zufolge würden Piloten, die nach längerer Zeit erstmals wieder in einem echten Cockpit sitzen, häufig von Experten und Ausbildern begleitet, die die Piloten beobachten und die Strecke überprüfen. Nach Sicherheitsrisiko hört sich das nicht an.

Der Einschätzung Affolters zufolge waren die meisten Piloten im General-Aviation-Bereich «mitnichten ein Jahr lang gegroundet und haben kein Flugzeug mehr gesehen. Sie haben ihre Flugerfahrung weiter gepflegt».

Diese gelte insbesondere auch für Anbieter von Rundflügen. «Bei Rundflügen sind die gesetzlichen Vorschriften streng, man muss immer eine bestimmte Anzahl von Landungen und Flugstunden aufweisen, um diese Flüge durchführen zu dürfen. Damit soll sichergestellt werden, dass die Passagiere keinem Risiko durch unerfahrene Piloten ausgesetzt sind oder durch Piloten, die ihre Erfahrung nicht aktuell gehalten haben.»

Schweizer Passagiere müssen sich keine Sorgen machen

Auch dass längere Standzeiten der Flotte zu einem Risiko werden, sehen die Fachleute anders. «Passagiermaschinen wurden platzbedingt und wegen der günstigeren klimatischen Bedingungen nach Südeuropa oder in den Nahen Osten ausgeflogen», so Schubert, «aber auch dort regelmässig gewartet, gecheckt und in definierten Intervallen geflogen. Damit wird sichergestellt, dass eben die Flieger auch dann gewartet werden, wenn diese nicht geflogen respektive bewegt werden. Zusätzlich hat etwa Airbus Spezialprogramme erlassen und ein kürzeres Instandhaltungsintervall angeordnet als unter üblichen Bedingungen.»

Laut Swiss entstünden «bei korrekter Umsetzung der vorgegebenen Massnahmen keine Risiken für länger geparkte Flugzeuge. Vor der Wiederinbetriebnahme werden diese umfangreichen Checks unterzogen, zudem werden Maintenance Check Flights durchgeführt».

«Schweizer Passagiere», sagt BAZL-Sprecher Christian Schubert abschliessend, «müssen sich keine Sorgen machen. Sie können nach wie vor einen hohen Sicherheitsstandard erwarten und davon ausgehen, dass sie mit einem Flugzeug sicher von A nach B befördert werden.» Die Fluggesellschaften und die Piloten jedenfalls seien ihren Verpflichtungen nachgekommen.

Bei den üblichen Stichprobenkontrollen – sogenannte Ramp-Inspektionen – hätte das BAZL keine «eingerosteten» Piloten entdeckt, sagt Schubert und fügt an: «Nicht umsonst ist die zivile Luftfahrt einer der am stärksten regulierten Sektoren.»