Nationalratswahlen Was der Listenplatz über die Wahlchance aussagt

Von Anna Kappeler

23.5.2019

Eine Frau streicht einen Kandidaten von einer Wahlliste für die Nationalratswahlen.
Eine Frau streicht einen Kandidaten von einer Wahlliste für die Nationalratswahlen.
Bild: Keystone/Gaetan Bally

Aktuell versucht es Tamy Glauser, vor ihr gelungen ist es etwa bereits Roger Köppel und Tim Guldimann – was alles muss passen, um es von einem hinteren Listenplatz aus ins Bundeshaus zu schaffen? Ein Politologe erklärt.

Nein, einig wurden sich die Redner an der jüngsten DV der Grünen Kanton Zürich bei der Vergabe der Spitzenplätze für die Nationalratswahlen nicht. Hart wurde gerungen, dann setzte sich der Vorschlag des Vorstandes durch: Auf Platz 1 und 2 stehen somit nicht die beiden Nationalräte Bastien Girod und Balthasar Glättli, sondern vpod-Schweiz-Präsidentin Katharina Prelicz-Huber und Grünen-Zürich-Präsidentin Marionna Schlatter. Auf Platz 10 folgt Tamy Glauser, das Model.

Riskieren Glättli und Girod damit ihre Sitze? Und wie stehen die Chancen der Quereinsteigerin Glauser? Dazu sagt Politologe Lukas Golder, Co-Leiter vom Forschungsinstitut gfs.bern: «Grundsätzlich gilt: Je bekannter jemand ist, desto besser sind die Wahlchancen. Die Bekanntheit ist wichtiger als der Listenplatz. Am Ende entscheidet aber ein Mix aus beiden Faktoren.» Etwa zwei Drittel der Wahllisten werden laut Golder unverändert eingereicht. Auf diesen ändert sich damit nichts an der Listenplatzierung. Wenn allerdings verändert werde, dann gezielt.

Listenplatz im Kanton Zürich besonders wichtig

Die Grünen Zürich stellen zwei Nationalratssitze, wollen diese im Herbst auf vier verdoppeln. Ein realistisches Szenario? «Die Grünen Kanton Zürich haben seit den kantonalen Wahlen extremen Rückenwind. Ein Sitzgewinn ist da locker möglich, vielleicht auch zwei», sagt Golder. Allerdings nur, sofern der Rückenwind weiterhin so stark wehe wie aktuell.

Der Listenplatz ist im Kanton Zürich laut Golder besonders wichtig, weil dort mit 35 Sitzen so viele Plätze wie nirgends sonst vergeben werden. Zudem können die Parteien die Platzierung selber bestimmen. In anderen Kantonen ist etwa geregelt, dass die Bisherigen zuoberst oder die Kandidaten in alphabetischer Reihenfolge aufgelistet werden müssen. Und: «Von der FDP Zürich weiss man, dass viel Geld fliesst, um sich die obersten Plätze zu kaufen», sagt Golder.



Die Spitzenplätze bei den Grünen Zürich seien sinnvoll, da damit einem traditionell linken Bedürfnis nach Frauenförderung Rechnung getragen werde. «Für Glättli und Girod dürfte das Risiko einer Abwahl kalkulierbar sein, da sie als Bisherige von ihrem Bekanntheitsbonus profitieren dürften. Aber klar, ein Restrisiko bleibt», sagt Golder. Glättli und Girod selber betonten an der DV diese Woche, ihre Listenplätze 3 und 4 seien kein Problem.

Wenn Kandidaten von hinten gewinnen

Die Vergangenheit zeigt: Kandidaten können das Feld durchaus von hinten aufrollen, so geschehen etwa bei den Wahlen 2011 der SVP: Auf Platz 1 startete Ex-Bundesrat Christoph Blocher – und wurde von der siebt-platzierten Nathalie Rickli deutlich überflügelt. Vier Jahre später bekam Rickli den Spitzenplatz, nur, um vom gleichen Schicksal getroffen zu werden wie vor ihr Blocher: Jetzt wurde sie von «Weltwoche»-Verleger Roger Köppel überholt. Köppel startete vom schlechten Platz 17 aus und machte 178'090 Stimmen – das beste jemals erreichte Wahlergebnis eines Nationalrats. Und das erst noch als Quereinsteiger.

Das funktioniert auch bei den Linken: 2011 schaffte der Quereinsteiger und SRF-Journalist Matthias Aebischer auf Anhieb den Einzug in den Nationalrat: Er überholte für die SP den Berner Stadtpräsidenten Alexander Tschäppät, wodurch dieser das Comeback als Nationalrat überraschend nicht schaffte. Aebischer sagte damals der Berner Zeitung: «Ich bin mir bewusst, dass meine Bekanntheit ein wichtiger Faktor für meine Wahl gewesen ist. Aber nicht der einzige.» Von seiner Bekanntheit profitieren konnte 2015 auch Tim Guldimann für die SP Zürich. Der ehemalige Botschafter machte vom zehnten Listenplatz das viertbeste Ergebnis und zog so ebenfalls auf Anhieb unter die Bundeshauskuppel.

Während sich die meisten Politiker in einer Ochsentour hocharbeiten, steigt der Polit-Promi also zuoberst auf eidgenössischer Ebene ein. Meist, ohne sich zuvor gross für die Partei eingesetzt zu haben.

«Bekannte Quereinsteiger profitieren häufig»

Gute Aussichten also für Tamy Glauser? «Bekannte Quereinsteiger profitieren häufig davon, dass sie kumuliert und panaschiert werden. Häufig wird auf einer Liste der bekannteste Name zweimal aufgeschrieben – und oft wird auch der Name der bekanntesten Person von anderen Listen doppelt ergänzt», sagt Golder. Eine Frau mit Bekanntheitsgrad werde so oft weit nach vorne gespült.

Im Kanton Zürich ist das Element Frauenwahl laut Golder besonders wichtig: «Bei den Kantonsratswahlen im Frühling wurden Frauen gezielt kumuliert und panaschiert.» Frauen panaschierten häufig über ihr politisches Lager hinaus, die Frauensolidarität greife. Aber auch bürgerliche Männer wählten aus Solidarität häufig zusätzlich Frauen von links. «Die meisten Sitze werden anhand von Panaschier-Stimmen entschieden», sagt Golder.

Abhängig auch von Medienpräsenz

Die Grünen bekommen mit der Nominierung von Tamy Glauser viel Medien-Aufmerksamkeit. «Das hilft der Partei und Glauser», sagt Golder. Ob Glauser die Wahl schaffe, könne er noch nicht beurteilen. «Das ist abhängig davon, ob Glauser ihre Medienpräsenz bis in den Herbst halten und ob sie auch inhaltlich punkten kann.» Bis anhin gehe es ja vor allem um ihren Job und ihre Freundin, Ex-Miss-Schweiz Dominique Rinderknecht.

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