Nach Angriff in Lugano Fedpol: Attentäterin verliebte sich in Kämpfer aus Syrien

aka/SDA

25.11.2020

Das Kaufhaus Manor an der Piazza Dante in Lugano am Dienstag.
Das Kaufhaus Manor an der Piazza Dante in Lugano am Dienstag.
Bild: Keystone

Bei der Messerattacke in Lugano vermutet das Bundesamt für Polizei einen terroristischen Hintergrund. Die Täterin verliebte sich via soziale Medien in einen Kämpfer aus Syrien. Was bisher bekannt ist – und was nicht.

Was ist passiert?

Am Dienstagnachmittag kurz nach 14 Uhr kam es in einem grossen Luganeser Kaufhaus zu einer Attacke. Eine 28-jährige Frau griff im Innern des Kaufhauses zwei Frauen an, eine von ihnen mit einem Messer. Eines der Opfer wurde dabei schwer verletzt. Es ist laut Angaben der Polizei nicht in Lebensgefahr.

Später twitterte der Tessiner Regierungspräsidenten Norman Gobbi (Lega) weitere Details zum Tathergang. Demnach haben andere Kunden im Kaufhaus Manor die Täterin unmittelbar nach dem Angriff überwältigt.

Was ist über die Frau bekannt?

Bei der Täterin handelt es sich nach Angaben der Tessiner Kantonspolizei um eine 28-jährige Schweizerin. Sie ist den Behörden bekannt gewesen. 

Heute kurz vor Mittag teilte das Fedpol via Twitter zusätzlich mit, dass sich die Täterin via soziale Medien in einen dschihadistischen Kämpfer aus Syrien verliebte. Sie hatte 2017 versucht, nach Syrien zu reisen. Sie wurde aber an der türkisch-syrischen Grenze aufgehalten und in die Schweiz zurückgeschickt. Die Frau hatte damals psychische Probleme. Nach ihrer Rückkehr in die Schweiz wurde sie in eine psychiatrische Anstalt eingewiesen. Sie sei seit 2017 nicht mehr in Ermittlungen mit terroristischem Hintergrund beim Fedpol aufgetaucht.

Damit scheint klar, dass die Frau eine Verbindung zur Terrororganisation Islamischer Staat (IS) hat. Nicoletta della Valle, Direktorin des Bundesamts für Polizei (Fedpol), sagte am Dienstagabend an einer Medienkonferenz in Bellinzona, dass müsse nun abgeklärt werden. Della Valle war per Video zugeschaltet.

War der Messerangriff terroristisch motiviert?

Ja, das Fedpol vermutet einen terroristischen Hintergrund. Die Bundesanwaltschaft (BA) eröffnete gegen die Frau ein Strafverfahren, unter anderem wegen des Verdachts der versuchten vorsätzlichen Tötung und der schweren Körperverletzung sowie des Verstosses gegen Art. 2 des Bundesgesetzes über das Verbot der Gruppierungen Al-Kaida und Islamischer Staat (IS).  Die Frau sei festgenommen worden.

Im Rahmen dieses Strafverfahrens sei die beschuldigte Person am Mittwoch erstmals einvernommen worden, schreibt die BA in einer am Abend ergänzten Stellungnahme weiter. Die BA habe beim zuständigen Zwangsmassnahmengericht einen Antrag auf Untersuchungshaft gestellt.

Die Bundesanwaltschaft bestätigte ausserdem, dass sie im Zusammenhang mit einem vorangehenden Auslandaufenthalt der verhafteten Person im März 2018 einen Ermittlungsbericht vom Fedpol erhalten habe. "Die Ermittlungen konnten keine strafbaren Handlungen aufzeigen", hält die BA in ihrer Stellungnahme fest. Weil somit kein hinreichender Tatverdacht vorlag, habe die BA in der Folge kein Strafverfahren eröffnet.

Das Fedpol arbeite Hand in Hand mit der Tessiner Kantonspolizei, um den Fall zu untersuchen. «Diese Zusammenarbeit funktioniert sehr gut.» Auch der Tessiner Regierungspräsident Gobbi sagte vor den Medien, man gehe davon aus, dass die Frau radikalisiert worden sei.

Hat die Frau etwas gerufen?

Die Tatumstände sind noch unklar. Das Tessiner Online-Portal tio.ch berichtete gestern, die Täterin habe «sono dell'Isis» – «Ich bin vom Isis» (IS) oder «Allah akbar» – «Gott ist grösser (beziehungsweise: der Grösste)» gerufen. Das ist von den Behörden nicht bestätigt.

Kam es in der Schweiz schon zu einem ähnlichen Fall?

Della Valle verwies auf den anderen Fall hierzulande, der im Moment bezüglich eines mutmasslichen terroristischen Hintergrundes untersucht werde: Die Messerattacke von Morges, bei der Mitte September ein 29-jähriger Portugiese erstochen worden war. Der Täter war dem Nachrichtendienst des Bundes bekannt.

Gibt es Reaktionen?

Der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz verurteilte noch am gestrigen Abend den «islamistischen Terroranschlag in Lugano». Seine Gedanken seien bei den Opfern, schrieb der Regierungschef in Wien auf Twitter und sicherte der Schweiz seine Unterstützung «in diesen schwierigen Zeiten» zu. Man werde dem islamistischen Terrorismus in Europa gemeinsam die Stirn bieten und die eigenen Werte verteidigen.

Erst Anfang Monat kam es in Wien zu einem terroristischen Anschlag mit vier Toten und vielen Verletzten. Danach wurden in Winterthur zwei Schweizer verhaftet, weil bei ihnen eine Verbindung zum Attentäter von Wien vermutet wird («blue News» berichtete).

Wie geht es jetzt weiter?

Der Kommandant der Tessiner Kantonspolizei Cocchi sagte, die Bedrohung durch den Terrorismus sei omnipräsent. Es sei wichtig, rasch zu reagieren, und das habe man getan. Die Untersuchung des Falles werde vom Fedpol geleitet. 

Falls sich die vom Fedpol geäusserte Vermutung bestätigen lasse, wäre der Kanton Tessin zum ersten Mal mit einem terroristischen Akt konfrontiert. «Wir sind entschlossen, die Sicherheit unserer Bürger zu verteidigen», schloss Gobbi. Was das genau heisst, liess er offen.

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