Blick ins AuslandSo bewältigen andere Länder die Wohnungsnot
jke
2.8.2024
Während Wohnraum in der Schweiz knapp ist und sich der Mangel in den nächsten Jahren vergrössern wird, zeigen Länder wie Frankreich und Japan strikte Lösungen – diese kommen jedoch mit Nachteilen.
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Wohnraum ist in der Schweiz knapp – und das Problem wird grösser.
Trotz Zuwanderung und Bevölkerungswachstum werden zu wenige Wohnungen gebaut.
Einsprüche verzögern Bauprojekte in der Schweiz erheblich, was Investor*innen abschreckt.
Länder wie Japan oder Frankreich zeigen Lösungen mit geringeren Bauhindernissen und integrierter Raumplanung.
Die Wohnungsnot in der Schweiz verschärft sich. Der Bestand an verfügbaren Wohnungen ist auf einem historischen Tiefstand, wie die Immobilienberatungsfirma Wüest Partner auf «20 Minuten» berichtet – es wird jedoch nicht genug gebaut.
Ausserdem wächst die Schweizer Bevölkerung weiterhin durch Zuwanderung, die in diesem Jahr über 80'000 Personen erreicht. Dies entspricht der Grösse einer Stadt wie Luzern.
Tiefpunkt ist noch nicht erreicht
Im Vorjahr war die Zuwanderung mit 140'000 Personen sogar noch höher. Laut Robert Weinert von Wüest Partner lag dies allerdings an einem Sondereffekt: Ukrainische Flüchtlinge, die seit mehr als einem Jahr in der Schweiz leben, wurden neu zur ständigen Wohnbevölkerung gezählt. Ohne diesen Effekt wäre das Bevölkerungswachstum auf dem gleichen Niveau wie in diesem Jahr geblieben.
Der Tiefpunkt an freien Wohnungen sei jedoch noch nicht erreicht. Es sei entscheidend, wie sich die Zuwanderung und Bautätigkeit künftig entwickeln.
Schweizer Wirtschaft läuft besser als anderswo
Die Schweiz sei ein Opfer ihres eigenen Erfolges, sagt Michel Benedetti von der Immobilienberatung Iazi zu «20 Minuten»: «Da die Schweizer Wirtschaft besser läuft als anderswo, entstehen viele neue Arbeitsplätze, die auch Zuwanderer anziehen.»
Viele ausländische Arbeitskräfte sind im Bau- oder Gastgewerbe tätig, Sektoren, die durch die Coronapandemie beeinträchtigt wurden. Besonders Hotellerie und Tourismus konnten an frühere Erfolge anknüpfen. Auch im IT-Bereich herrscht weiterhin ein Fachkräftemangel.
In anderen Ländern ist die Wohnungsnot jedoch nicht nur wegen einer schwächeren Wirtschaft weniger dramatisch. «In der Schweiz ist es kompliziert. Bauprojekte können durch Einsprüche um Jahre verzögert werden, was Investoren abschreckt», erklärt Benedetti.
Hochhäuser stossen auf Widerstand
Im Ausland sind die Hürden geringer, und Regierungen setzen Bauprojekte entschlossener durch, um ihre Wiederwahl zu sichern. «Aber ich weiss nicht, ob es besser ist, wenn neue Stadtteile oder Quartiere wie Pilze aus dem Boden schiessen und die soziale Durchmischung fehlt», sagt Benedetti.
Japan könnte ein Vorbild für Raumplanung sein. Dort gibt es keine strikte Trennung zwischen Wohn- und Arbeitszonen. Wohnungsbau ist also auch in Industriezonen erlaubt und die Einsprachen gegen Wohnbauprojekte sind selten.
In der französischen Millionenstadt Paris wird unterdessen jede Möglichkeit genutzt, um Gebäude aufzustocken. Die Stadt entwickelt sich zunehmend in die Höhe, ein Konzept, das auch für Schweizer Städte denkbar wäre. In den dicht bebauten Vierteln von Paris übersteigen viele Gebäude vier Stockwerke oder mehr.
In Zürich seien unterdessen verdichtete Bauweisen oder Hochhäuser in urbanen Zentren oder Agglomerationsgemeinden mit wenigen Baureserven oft die einzige Möglichkeit. Diese stossen jedoch immer noch auf erheblichen Widerstand, sagt Michel Benedetti.
Sind Gemeinden schuld?
Viele Gemeinden haben es versäumt, das Raumplanungsgesetz korrekt umzusetzen. Dieses Gesetz, das vor genau zehn Jahren eingeführt wurde, sieht vor, dass neue Wohnungen hauptsächlich in bereits besiedelten Gebieten entstehen sollen.
Das bedeutet, dass dichter und höher gebaut werden muss. Der Zürcher Bauunternehmer Balz Halter, der mit dem «Tages-Anzeiger» sprach, sagt, dass viele Gemeinden ihre Bau- und Zonenordnungen noch nicht entsprechend angepasst haben, was zu einem Mangel an Neubauten führt.
Eine aktuelle Erhebung des Bundesamts für Raumentwicklung (ARE) vom Mai gibt Hinweise darauf, dass da etwas dran ist. Der Bericht zeigt, dass zwar alle Kantone ihre Richtpläne angepasst haben, jedoch nun die Gemeinden in der Verantwortung stehen – und dort hakt es.
Laut der Auswertung hat weniger als die Hälfte der Schweizer Gemeinden ihren Nutzungsplan aktualisiert. Besonders ländliche Gemeinden bleiben stark zurück.
Keine günstige und zentrale Wohnung ohne Kompromisse
Auf Mieterseite ist Geduld vielerorts notwendig, meint Wüest-Partner-Experte Weinert. «Alternativ kann man den Suchradius erweitern, was dank Homeoffice in vielen Branchen einfacher ist als noch vor 2020.»
Eine sehr günstige Wohnung in zentraler Lage in Zürich sei kaum noch ohne Kompromisse beim Wohnkomfort zu finden, meint Iazi-Experte Benedetti. Eine Möglichkeit für junge Menschen oder Singles sind Wohngemeinschaften: «Zürich fördert bewusst solche Wohnformen durch Stiftungen.»
Nachfrage nach Wohneigentum hoch
Aufgrund der angespannten Situation auf dem Mietwohnungsmarkt und der sinkenden Hypothekenzinsen bleibt die Nachfrage nach Wohneigentum unvermindert hoch.
Die Preise sind in vielen Regionen zuletzt wieder stärker gestiegen als Ende 2023. Im zweiten Quartal 2024 stiegen die Preise für Eigentumswohnungen um 3,5 Prozent, während Einfamilienhäuser um 2,5 Prozent teurer wurden.
Klar ist: In rund drei Jahren fehlen laut einer Berechnung von Wüest Partner aus dem vergangenen Jahr schweizweit etwa 50'000 Wohnungen.
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