Seco-Studie So gut wirken die Corona-Massnahmen des Bundes

uri

30.6.2021

In einem Café in in Luzern wird 22. Dezember 2020 aufgestuhlt, nachdem der der Bund die Schliessung aller Restaurants und Cafés beschlossen hat. (Archiv)
In einem Café in in Luzern wird 22. Dezember 2020 aufgestuhlt, nachdem der der Bund die Schliessung aller Restaurants und Cafés beschlossen hat. (Archiv)
Bild: Keystone

Das Staatssekretariat für Wirtschaft Seco untersucht mit einer Meta-Studie die Wirksamkeit verschiedener Schweizer Corona-Massnahmen und kommt zu einem ähnlichen Schluss wie Bundesrat Ueli Maurer, der in der NZZ sagt: «Insgesamt ist es ganz gut herausgekommen.»

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Maurer erklärt im Interview mit der NZZ, es sei richtig gewesen, «dass wir uns am Anfang der Pandemie hauptsächlich auf die Gesundheit konzentriert haben». Er bemängelt jedoch, dass eine «Güterabwägung zwischen gesundheitlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Folgen hätte früher erfolgen müssen».

Auch sei die Schweiz aus der Chaos-Phase, die immer am Anfang der Krisenbewältigung stehe, nie ganz herausgekommen. Eine gute Krisenorganisation schaffe jedoch Zeit und Raum für Analysen. Der Bundesrat hätte «gemeinsam mit den Kantonen eine breite Krisenorganisation bilden sollen».

Sorgen bereiten dem Finanzminister die hohen Kosten der Pandemie. Der Bund allein habe insgesamt 39 Milliarden Franken gesprochen, wobei man wahrscheinlich nicht den ganzen Betrag benötigen werde, so Maurer. Dazu kämen jedoch noch Aufwendungen der Kantone von rund 5 Milliarden Franken und «nicht exakt quantifizierbare Ausfälle wie Langzeitfolgen oder Bildungsverluste», womit die Pandemie volkswirtschaftlich insgesamt mit Kosten von 60 bis 70 Milliarden Franken zu Buche schlagen dürfte.

Maurer sagt, man habe in der Pandemie nur «Ausgaben getätigt, die nötig waren, um ein tieferes Absacken zu verhindern.» Laut seiner Rechnung könnten die Schulden zudem wieder vollumfänglich abgebaut werden. Wenn sie lediglich bei 25 Milliarden liegen würden – was derzeit wahrscheinlich sei – müsse man «2 Milliarden Franken pro Jahr über die nächsten rund 12 Jahre herausschwitzen». Das sei machbar, so der Finanzminister.

Teils zu ähnlichen, aber auch abweichenden Ergebnissen wie Maurer kommt eine neue Schweizer Metastudie mit 31 ausgewerteten Einzeluntersuchungen aus der Zeit zwischen Frühjahr und Ende 2020. Experten von Swiss Economics haben dabei für das Seco untersucht, wie nicht-pharmazeutischer Massnahmen («Non-Pharmaceutical Interventions» NPI) in der Schweiz wirkten und wie die Gesamtkosten zu bewerten sind. Hier der Überblick:

Lockdowns

Obwohl es keinen wissenschaftlichen Konsens dieser Massnahme gibt, zeigen die berücksichtigten Studien, «dass das Kosten-Nutzen-Verhältnis des bisherigen Lockdown-Regimes vermutlich positiv war», schreiben die Autoren. Die wissenschaftlichen Befunde zeigen zudem, dass früh im Pandemie-Geschehen durchgesetzte Lockdowns wirksamer sind als spät kommende.

Auch sollen die Lockdowns kurz und streng durchgeführt werden. Das Beispiel von Schweden – das ohne eine solche Massnahme als Gegensatz zur Schweiz dienen kann – zeige, dass es «mit einem Lockdown besser gefahren wäre».

Für die Schweiz legen Schätzungen, etwa der Swiss National Covid-19 Science Task Force nahe, dass «der gesundheitliche Nutzen von Lockdowns die ökonomischen Kosten tendenziell» übertreffen dürfte. Das gelte vor allem, wenn die Massnahme nur kurz andauere, heisst es in der Studie. In der Literatur findet sich demnach aber auch die Befürchtung eines Anstiegs der Langzeit-Arbeitslosigkeit. Wobei diese bislang nicht so dramatisch ausfiel wie teilweise prognostiziert.

Schulschliessungen

Hier sehen die Experten unter Verweis auf die herangezogenen Studien eine «hohe Wirksamkeit» auf das Infektionsgeschehen. Das gilt demnach vor allem dann, wenn sie früh im Infektionsgeschehen eingesetzt werden. Unabhängig des Pandemie-Effekts der Massnahme, sind aber «sehr hohe psychische, physische und ökonomische Kosten» zu erwarten, konstatieren die Wissenschaftler. Sie vermuten eine starke Auswirkung auf das «Bildungsniveau und die Arbeitsmarktchance der jungen Generation und auf das zukünftige Produktivitätswachstum». Die Massnahme soll entsprechend vorsichtig eingesetzt werden.

Masken

Die Massnahme wird durch die meisten Studien positiv bewertet. Zu den volkswirtschaftlichen Kosten einer Maskentragpflicht sind den Verfassern keine Studien bekannt. Gemeinhin wird jedoch davon ausgegangen, dass «diese im Vergleich zu den Kosten alternativer NPI gering ausfallen» und im Falle der Schweiz ein positives Verhältnis aufweisen.

Weitere Massnahmen

Durch Versammlungsbeschränkungen, Social Distancing, Homeoffice und andere Massnahmen sind laut den Autoren dämpfende Effekte beim Infektionsgeschehen festzustellen. Am deutlichsten wird das laut der Studien-Auswertung beim Versammlungsverbot: Es soll möglichst bereits bei einer geringen Personenzahl von etwa fünf bis zehn Personen ansetzen. Zudem ist der Literatur zu entnehmen, dass «grossflächige Schliessungsmassnahmen nur wenig effektiver» sind als gezielte Schliessungen von Orten mit erhöhtem Infektionsrisiko, etwa Bars, Restaurants und Nachtclubs. Die Meta-Analyse lässt allerdings keinen klaren Schluss zu den Kosten zu.

Der richtige Zeitpunkt für die Massnahmen

Die Auswertung des Forschungsstands zeigt laut den Autoren deutlich, dass früh im Infektionsverlauf eingesetzte Massnahmen effektiver sind. Das gilt zumal bei den Lockdowns oder auch den Schulschliessungen. Allerdings muss bei der Durchsetzung dieser Massnahmen auch auf die Zustimmung der Bevölkerung geachtet werden, gibt die Studie zu bedenken. Diese dürfe nämlich im Zuge einer Infektionswelle zu grösseren Einschnitten bereit sein als bei geringen Fallzahlen.

Wie spielen Bund und Kantone am besten zusammen?

Laut der Studie stellt die Pandemie nicht zuletzt auch das föderale System der Schweiz auf die Probe. Es habe sich aber gezeigt, dass die Kantone zum Zeitpunkt höchster Dringlichkeit reagiert hätten. So konnten sie das exponentielle Wachstum bei den Infektionen brechen und die Fallzahlen deutlich reduzieren. Daraus sei zu schliessen, dass die Kantone bei starkem Infektionsgeschehen ihre Verantwortung grundsätzlich gut erfüllen, vor allem auch, wenn ihnen «Massnahmen aufgrund der Entlastung des Gesundheitssystems» Nutzen bringen.

Der Bund hingegen sei effizienter bei Aufgaben, die «Grössenvorteile aufweisen», etwa der «Beschaffung von Impfstoffen und Testmaterial oder auch beim Aufbau spezifischer Fachkompetenzen».

Was die Kosten angehe, bestehe hier allerdings immer der Zielkonflikt von Einsparungen durch Zentralisierung und den möglichen Kosten durch Fehlentscheidungen oder wenig zielgerichtete Massnahmen. «Zentral getroffene Massnahmen sind daher möglicherweise nicht immer die effizienteste Lösung, insbesondere wenn deren Auswirkungen unsicher sind, wie dies bei einem neuen Virus typischerweise der Fall sein dürfte», halten die Studien-Verfasser fest.

Hieraus resultiere der verblüffende Schluss, dass man den Kantonen gerade dann Handlungsspielraum überlassen kann, wenn eine Überlastung des Gesundheitssystems droht. Wenn das Infektionsgeschehen hingegen kontrolliert ist und es um langfristige Ziele geht, solle dem Bund eine «tragende Rolle bei der Bekämpfung einer Pandemie zukommen».

Unabhängig davon müssten aber immer die Verantwortlichkeiten klar sein. Eine unklare Kompetenzverteilung führe zu hohen Transaktionskosten und Verzögerungen. Im Pandemie-Fall sei gerade das zu vermeiden und schnelles Handeln gefordert, mahnen die Studien-Autoren.