Intensivmediziner «Wir sehen vor allem junge Patienten»

phi

2.9.2021

Intensivmediziner Michael Glas (mit Brille, Bildmitte) und jede Menge Personal drehen einen Patienten, der an einer Herz-Lungen-Maschine hängt.
Intensivmediziner Michael Glas (mit Brille, Bildmitte) und jede Menge Personal drehen einen Patienten, der an einer Herz-Lungen-Maschine hängt.
Bild: SRF

Die «Rundschau» hat Intensivstationen in Aarau und Bern besucht und Impf-Skeptiker in Obwalden befragt. Herausgekommen ist ein verstörendes Bild über die Pandemie im September 2021.

phi

2.9.2021

Die SRF-«Rundschau» auf der Intensivstation – aber nur zu Besuch. In der Hirslanden Klinik Aarau gibt es zehn Intensivbetten, und alle sind belegt. In vier von ihnen liegen Corona-Patienten. «Es sind nicht geimpfte Reiserückkehrer aus Osteuropa und dem Nahen Osten», sagt der behandelnde Arzt auf Nachfrage. 

Das Durchschnittsalter der Patienten sinkt, hält das SRF fest: Statt der Alten treffe es nun auch vermehrt Menschen im Alter zwischen 40 und 60. Die Rundschau zeigt einen Patienten, der knapp 40 Jahre alt ist: Der Mann liegt zwar nicht im Koma, kann aber nur atmen, weil er durch einen Luftröhrenschnitt mit Sauerstoff versorgt wird.

Während auch Geimpfte sich infizieren können, kommt es meist nur bei Ungeimpften zu einem schweren Krankheitsverlauf. «Ich finde es erschreckend, dass man immer noch glaubt, dass diese Krankheit nichtssagend ist», bekundet Krankenpflegerin Gabriela, die den Patienten auf der Intensivstation betreut.

Pflegerin Gabriela versorgt auf der Intensivstation im Spital in Aarau einen Corona-Patienten.
Pflegerin Gabriela versorgt auf der Intensivstation im Spital in Aarau einen Corona-Patienten.
Screenshot: SRF

«Wir machen keine Panik»

Sie fährt fort: «Wenn man sich das hier anschaut, ist das schon sehr beängstigend: Das ist ja ein junger Mann, der voll im Leben steht – in der Familie, im Job. Man darf das nicht auf die leichte Schulter nehmen.» Zwei Pflegende sind nötig, wenn einer der Vierzigjährigen mal aufstehen soll, um ein paar Schritte zu gehen.

Das Problem: Ein Corona-Patient bleibt im Schnitt fünf bis sechs Wochen länger auf der Intensivstation als andere Erkrankte. Die aktuelle Welle bringe die Spitäler an ihre Grenzen: Sollten noch mehr Covid-Patienten kommen, müssten Operationen verschoben werden.

«Wir machen keine Panik», versichert Direktor Markus Meier. Das Hirslanden Aarau wolle nur «vorbereiten auf das, was kommen könnte. Wenn die Zahlen weiter so ansteigen wie in den vergangenen Tagen, haben wir bald eine heikle Situation.» Die wurde schon am Tag nach dem «Rundschau»-Dreh erreicht: Wegen zwei neuer Covid-Patienten musste das Spital andere Operationen verschieben.

Markus Meier, Direkor vom Hirslanden Aarau, versichert, dass man keine Panikmache betreibe.
Markus Meier, Direkor vom Hirslanden Aarau, versichert, dass man keine Panikmache betreibe.
Bild: SRF

Viele Patienten zwischen 40 und 65

Auch im Berner Inselspital ist die Lage angespannt. Von den drei Intensivstationen ist eine allein für Corona-Patienten reserviert – und auch hier ist das Gros der Erkrankten ungeimpft und zwischen 40 und 65 Jahre alt.

Ein Mittvierziger hängt an der Herz-Lungen-Maschine, als gerade die Sauerstoff-Sättigung bedrohlich sinkt. Ein Arzt und fünf Mitarbeiter werden benötigt, um den Patienten auf den Rücken zu drehen, um ihm das Atmen zu erleichtern, ohne dass die Schläuche abfallen. «Das sieht jetzt schon ein bisschen besser aus», sagt Michael Glas.

Oberarzt Michael Glas warnt davor, Covid auf die leichte Schulter zu nehmen.
Oberarzt Michael Glas warnt davor, Covid auf die leichte Schulter zu nehmen.
Screenshot: SRF

«In den letzten Wochen sehen wir vor allem junge Patienten», erklärt der Oberarzt in einer ruhigen Minute, «mit weniger Vorerkrankungen, die aber deutlich schlimmere Infektionen haben». Keiner der Patienten auf der Station sei geimpft, hält der Doktor fest. «Und die meisten von ihnen haben eine Ferien-Anamnese in Osteuropa.» Angesteckt hätten sie sich in der Regel im Kosovo und in Nordmazedonien.

Potenziell «fatale Folgen»

Der Patient an der Lungenmaschine hat weiter Probleme: Noch auf der Intensivstation muss mit einer kleinen Operation ein Blutgerinnsel entfernt werden. Ein aufwändiger Vorgang, der so nicht durchgeführt werden könnte, wenn noch mehr Patienten eingeliefert würden – «mit eventuell fatalen Folgen», warnt Doktor Glas.

Es sei eine «Epidemie der Ungeimpften», heisst es in der «Rundschau». Und das SRF-Magazin will auch herausfinden, warum sich die Menschen nicht schützen lassen wollen. Deshalb reist das Format nach Obwalden, wo prozentual die meisten Impf-Muffel der Schweiz leben. 

Beim Flohmarkt in Sarnen finden sich wenig Maskenträger, aber dafür stösst das TV-Team auf jede Menge Widerstand. «Ihr lebt gefährlich da», warnt ein Mann die Reporter unverblümt. «Solidarität ist etwas anderes», meint eine Passantin über das Impfen. «Für mich ist das Zwang.» Wichtige Operationen würden ja trotzdem gemacht.

Ohne «Angstmacherei» gibt's «weniger Leute auf Intensiv»

Ein anderer Herr, der erklärter Impfgegner ist, sagt: «Wenn Menschen auf ihre Gesundheit achten, wird automatisch die Belastung im Spital abnehmen.» Was sagt er dazu, dass 90 Prozent der Corona-Intensiv-Patienten ungeimpft und teilweise auch jünger sind? «Ich kann nicht bezeugen, ob die Aussage wirklich stimmt», wehrt der Impfgegner ab. 

Und er meint: «Die Angstmacherei, die da läuft, muss eingestellt werden. Dann haben wir auch weniger Leute auf der Intensivstation.» Das lässt Michael Glas vom Berner Inselspital nicht stehen: «Nein, es ist dramatisch, und es weckt schlimme Erinnerungen an die erste Welle.»

Mehr Corona-Fälle würden zulasten anderer Patienten gehen, verdeutlicht der Arzt. Der Patient in den 40ern, neben dessen Bett er steht, habe zum Beispiel keine Vorerkrankungen gehabt.

Es kann jeden treffen, der nicht geimpft ist.