Expertin zum Wohnungsmarkt «Wir sind weit davon entfernt, dass die Preise sinken»

Von Dominik Müller

10.11.2023

In der Schweiz dürfte die Anzahl Wohnungswechsel insgesamt abnehmen.
In der Schweiz dürfte die Anzahl Wohnungswechsel insgesamt abnehmen.
Bild: Imago

Ursina Kubli, Leiterin Immobilienresearch bei der ZKB, spricht im Interview mit blue News über steigende Mieten, sinkende Leerstände und die Entwicklung der Schweizer Immobilienpreise.

Von Dominik Müller

10.11.2023

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Ursina Kubli, Leiterin Immobilienresearch bei der ZKB, schätzt im Interview mit blue News die Situation im Schweizer Wohnungsmarkt ein.
  • Die zunehmende Knappheit auf dem Schweizer Mietwohnungsmarkt werde weiter Bestand haben.
  • Trotz einer hohen Nachfrage nach Wohnraum sei die Bautätigkeit im Kanton Zürich zurückhaltend.
  • Die Mieten dürften auch künftig steigen.

Ursina Kubli, «explodierende Mieten und kaum freie Wohnungen», so der Tenor in der öffentlichen Debatte um den Schweizer Wohnungsmarkt. Nur ein Mythos oder wie schätzen Sie die Situation ein?

Die zunehmende Knappheit auf dem Schweizer Mietwohnungsmarkt ist eine Tatsache – sie wird uns auch weiter begleiten. Die Leerstände dürften 2024 schweizweit weiter sinken und insbesondere in städtischen Gebieten dürften Mietwohnungen immer mehr zur Mangelware werden. Das sieht man bereits im Kanton Zürich: Die Leerstände sind derzeit so tief wie seit zwanzig Jahren nicht mehr. Die Mietsituation führt zu höheren Anfangsmieten, sie erhöht aber auch die politischen Risiken.

Ursina Kubli
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ZKB

Ursina Kubli ist Leiterin des Bereichs Immobilienresearch bei der Zürcher Kantonalbank.

Was sind die Gründe für die prekäre Wohnsituation?

Im Kanton Zürich sehen wir ein starkes Bevölkerungswachstum und damit eine hohe Nachfrage nach Wohnraum – gleichzeitig aber eine zurückhaltende Bautätigkeit. Gründe für die Bauflaute: Seit der Revision der Raumplanung soll das Wachstum in der Schweiz möglichst nicht mehr auf der grünen Wiese erfolgen. Stattdessen soll in städtischen Gebieten gewachsen und qualitätsvolle Verdichtung vorangetrieben werden.

Verdichtung in städtischem Gebiet geht oft mit Einsprachen einher.

Aufgrund der bekannten NIMBY-Problematik (Not In My Backyard) wurde manches Bauvorhaben in der Stadt zu einem regelrechten Spiessrutenlauf. Einsprachen und Rekurse führen nicht nur zu Verzögerungen und kostspieligen Planungsänderungen, insbesondere die rigide Umsetzung des Lärmschutzgesetzes seit 2016 hat so manches Bauvorhaben zum Kippen gebracht. Damit wieder mehr gebaut werden kann, braucht es einen pragmatischeren Umgang mit dem Thema Lärm-, Heimat- oder Naturschutz. Zudem wünschen sich Investoren mehr Planungssicherheit.

Wie wird sich der Wohnungsmarkt in den nächsten Jahren entwickeln?

Die zunehmende Knappheit und steigende Mieten werden ein grosses Thema bleiben. Die Wohnbauprojekte, welche in der Pipeline sind, werden die hohe Nachfrage nach Wohnraum nicht befriedigen können. Die Suche nach einer geeigneten Mietwohnung bleibt anspruchsvoll. Auch die Mieten im Bestand dürften im kommenden Jahr aufgrund des baldigen Anstiegs des Referenzzinssatzes erneut steigen, und für Nährstoff in politischen Diskussionen sorgen.

Wie reagieren die Schweizer*innen auf die aktuelle Situation? Verändern sie ihr Verhalten in Bezug auf das Wohnen?

Je schwieriger die Suche nach einer neuen Mietwohnung ist, desto eher wägen bestehende Mieter einen allfälligen Wechsel der Mietwohnung ab. Die Anzahl Wohnungswechsel dürfte insgesamt abnehmen. Wer sich auf Wohnungssuche befindet, steht vor dem Entscheid, sich platzmässig in der Stadt stark einzuschränken oder auf günstigere Agglomerationsgemeinden auszuweichen.

Ist die Talsohle bereits erreicht bei den Immobilien-Preisen?

Dass ein Preisrekord den nächsten jagt – diese Zeiten sind nun endgültig vorbei. Wir sind dennoch weit davon entfernt, dass die Preise breitflächig sinken. Die Angebotssituation bleibt ausgetrocknet: So haben die Zürcher Baubewilligungen bei Eigenheimen jüngst einen neuen Tiefstand erreicht. Gleichzeitig hegen noch immer viele Haushalte den Wunsch eines Eigenheims. Dieser wird durch die zunehmende Knappheit am Mietwohnungsmarkt weiter unterstützt. In der Schweiz dürften die Preise von Wohneigentum 2023 und 2024 weiterhin leicht steigen.

Würden Sie Interessenten jetzt zum Kauf einer Immobilie raten?

Das heutige Marktumfeld ist für angehende Eigenheimbesitzer wieder deutlich angenehmer. Der Ansturm auf Eigenheim ist längst nicht mehr so gross, wie das zu Zeiten der Pandemie der Fall war. Die Vermarktung dauert länger, sodass Eigenheimsuchende genügend Zeit haben, die Liegenschaft genaustens zu prüfen. Dennoch bleiben die hohen Preise und das geringe Angebot auch in Zukunft eine Herausforderung für manchen Kaufinteressenten.

Wird der Traum des Eigenheims für den Mittelstand in naher Zukunft wieder realistischer?

Wer auf stark sinkende Preise hofft, dürfte enttäuscht werden. Dennoch gibt es auch gute Nachrichten. In den kommenden Jahren dürften die Eigenheimpreise weniger stark zulegen als die Inflation, sodass die realen Eigenheimpreise leicht nachlassen werden.

Was soll die Politik Ihrer Einschätzung nach unternehmen, um dem Trend entgegenzuwirken?

Die Hauptaufgabe der Politik ist es, den Wohnungsbau mittels gesetzlicher Erleichterungen zu intensivieren und qualitätsvolle Verdichtung voranzutreiben. Nur ein ausreichendes Angebot kann die Wohnungsproblematik lindern. Die zentrale Frage ist: Wie können wir genügend Wohnraum schaffen und dabei auch künftig eine hohe Wohnqualität gewährleisten?

Hinweis zur Transparenz: Ursina Kubli hat die Fragen aus Zeitgründen schriftlich beantwortet.