Vor genau einem Jahr hat die Schweiz zugemacht – Geschäfte und Restaurants mussten schliessen, die Grenzen wurden praktisch abgeriegelt. Wir erinnern uns.
Den Ernst der Lage begriff ich eigentlich erst, als der Bundesrat verkündete, am nächsten Tag würden die Bars schliessen. Unsere letzte Amtshandlung am Freitag war folglich ein Panik-Negroni draussen vor der Bar Sacchi in Zürich.
Ein Freund wollte kurz vor Ladenschluss noch in den Supermarkt vis-à-vis, um für den Znacht einzukaufen. Total perplex und mit leeren Händen kehrte er zurück: «Alle Regale sind leergeräumt, die Leute drehen komplett am Rad.» Aus dem vorbeifahrenden Auto dröhnte Akon mit «I’m locked up, they won’t let me out ...» Wir wussten nicht, ob wir lachen oder weinen sollten – und gingen nach Hause.
Gil Bieler
Panikkauf fürs Homeoffice
Es war mein erster Panikkauf, aber der hat sich gelohnt: Kurz vor knapp stürmte ich noch in den Elektrofachhändler meines Vertrauens (okay, eher: in der Nähe) und ergatterte einen schönen, grossen Monitor. Vor dem fast leergefegten Regal kam ich mit einem anderen Kunden ins Gespräch: «Musst du auch holterdipolter noch das Homeoffice aufmotzen?» «Genau so ist es.» Ich hätte zwar auch online einen Bildschirm bestellen können, aber so hatte das Ganze doch mehr Pandemie-Style.
Bruno Bötschi
Badminton,
wie jeden Montag
Ich wollte noch einmal raus. Noch einmal Sport machen. Ein letztes Mal ein bisschen Normalität. Deshalb machte ich am Montag, 16. März 2020, 18:15 Uhr, was ich seit 15 Jahren Anfang Woche immer tue: Ich spielte Badminton mit meinem guten Freund Christoph – und bekam, wie meistens, auf den Sack. Die Niederlagen waren mir aber so was von egal.
Danach gingen wir ein letztes Mal zusammen für ein Essen in ein Restaurant. Und hatten deswegen beide ein total schlechtes Gewissen.
Julia Käser
Leere Regale
im Coop ums Eck
Heute betrete ich keinen Einkaufsladen mehr, ohne eine Maske zu tragen, die Mund und Nase bedeckt. Vor genau einem Jahr – als dieses Foto entstanden ist – wäre das noch völlig undenkbar gewesen. Aber spätestens da war klar: Dieses 100 Nanometer kleine Virus wird unseren Alltag von Grund auf verändern.
Begonnen hat das Ganze mit viel Unsicherheit und den berüchtigten Hamsterkäufen, die Ausdruck davon waren. Vor den leeren Regalen im Coop bei mir ums Eck begriff ich: Von nun an wird alles anders.
Paolo Beretta
Lockdown?
Hip Hip Hurra!
Ich habe die Ankündigung des Bundesrates zum Lockdown vor dem Fernseher und meinem Computer erlebt – ich war im Homeoffice im Zürich. Als Journalist fühlte ich viel Hektik und Stress: Ich musste sehr schnell und gut arbeiten und durfte keine Fehler machen, weil es eine der wichtigsten Nachrichten war, die veröffentlicht werden mussten.
Als Bürger fühlte ich mich so erleichtert – aus drei Gründen. Erstens: Ich dachte immer, auch dank der Gespräche mit meinem Bruder, der Biochemiker ist, dass ein Lockdown die einzig mögliche Lösung in einer Zeit der Unsicherheit ist. Zweitens: Als Tessiner wusste ich, dass die erste Welle des Virus meinen Kanton viel härter traf als den Rest der Schweiz, wo man meiner persönlichen Erfahrung nach nicht genug aufpasste. Drittens: Als Tessiner, der teilweise in einem ziemlich wilden Tal lebt, war ich mit Vorräten an Lebensmitteln und Grundbedürfnissen ausgestattet, sodass der Lockdown mir keine Angst machte.
redaktorin
Nadine Wozny
Die Pferde ennet der deutschen Grenze
«Nadine, wir müssen die Pferde reinholen. Ich brauche deine Hilfe!» An den verzweifelten Anruf meiner Schwester vom 16. März erinnere ich mich noch genau. Sie wohnt auf der Schweizer Seite in Grenznähe. Ihre Pferde sind fünf Fahrminuten entfernt ennet der Grenze in Deutschland untergebracht.
Als die Grenze zwischen der Schweiz und Deutschland geschlossen wurde, war für uns klar: Die Tiere müssen in die Schweiz – unvorstellbar, die Pferde über Wochen oder gar Monate nicht zu sehen. Das Ausmass der strikten Corona-Massnahmen war damals noch unklar. Innerhalb eines Tages musste also ein leerstehender Stall in der Schweiz in Betrieb genommen werden, Futter, Einstreu, Karetten und Mistgabeln mussten her. Und schliesslich fehlten noch die Tiere.
Allmählich wurde es dunkel und die Zeit drängte: Wir wollten noch vor Feierabend über den Zoll. Einer der Pferde-Pässe war auf die Schnelle nicht auffindbar und so stieg der Adrenalin-Spiegel, als wir den Zoll erreichten. Lassen uns die Zöllner so überhaupt rein? Was, wenn nicht? Sollen wir im Dunkeln über die grüne Grenze reiten? Die Gedanken überschlugen sich im Kopf. Gross war die Erleichterung, als sich die Zöllner kulant zeigten: Sie liessen uns einreisen. Der Papierkram wurde am darauffolgenden Tag erledigt.
Fabian Tschamper
Die letzten Gäste
im Kino
Vor einem Jahr gingen die Kinos zu – eine Freizeitbeschäftigung, der ich mich gern gewidmet habe. Ich war da in der allerletzten Vorstellung am Mittwochabend, am nächsten Tag war Schluss. Guy Ritchies «The Gentlemen» war meine letzte Kinoerfahrung seit dem Lockdown. Meine Begleitung und ich waren die einzigen im Saal und die letzten Gäste, die das Metropol-Kino vor der Schliessung verlassen haben.
Lukas Meyer
Ankündigung auf dem Balkon
Beim Feierabendbier vernahm ich die Kunde vom Lockdown. Ich hatte gerade meinen Zitronenbaum rausgestellt und ein bisschen gegärtnert, auf den Balkonen im Innenhof taten meine Nachbarn dasselbe.
Wir warteten gespannt darauf, was der Bundesrat am neuen «Lagerfeuer der Nation» verkünden würde – 125'000 waren bereits in der Schleife auf Youtube. Was kam, war keine Überraschung mehr.