Heimat für 9 Millionen MenschenSchweizer Bevölkerung wird urbaner, grüner – und weniger?
jke
23.9.2024 - 19:12
Mit dem Bevölkerungsanstieg auf über neun Millionen wächst die Schweiz weiter. Während Städte und Agglomerationen boomen, warnt ein Demograf vor sinkenden Erwerbstätigenzahlen in einigen Regionen.
jke
23.09.2024, 19:12
24.09.2024, 00:12
dpa
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Die Schweizer Bevölkerung hat die Neun-Millionen-Grenze überschritten, mit starkem Wachstum in urbanen Gebieten und Agglomerationen.
Zukunftsforscherin Martina Kühne prognostiziert eine zunehmende Urbanisierung und sieht Chancen in attraktiven Kleinstädten mit guter Lebensqualität und Nähe zur Natur.
Demograf Hendrik Budliger warnt vor sinkenden Zahlen der erwerbsfähigen Bevölkerung in bestimmten Regionen, was zu wirtschaftlichen Herausforderungen führen könnte.
Während politische Initiativen wie die der SVP eine Begrenzung der Zuwanderung fordern, betonen Expert*innen die Notwendigkeit, sich mehr mit dem demografischen Wandel auseinanderzusetzen.
Ende Juni dieses Jahres war es so weit: Zum ersten Mal lebten mehr als neun Millionen Menschen in der Schweiz. Laut Mitteilung des Bundesamtes für Statistik (BFS) waren Ende Juni 9'002'763 Personen hierzulande wohnhaft. Eine beeindruckende Zahl, die einen Blick auf das rapide Wachstum des Landes lenkt – insbesondere in urbanen Gebieten.
Rund 27 Prozent von ihnen haben einen ausländischen Pass: Nach den Italiener*innen sind die Deutschen mit 323'600 (Stand Ende 2023) die zweitgrösste Gruppe.
Aber wie sieht die Zukunft der Schweizer Städte aus? «Gut drei Viertel der Schweizer Bevölkerung wohnen in städtischem Gebiet», erklärt Zukunftsforscherin Martina Kühne dem SRF.
Schweiz wird städtischer
Während die Stadt Zürich besonders stark wächst, boomt auch die Agglomeration. Auch wenn einige Leute während der Pandemie aufs Land gezogen sind, findet das grösste Bevölkerungswachstum weiterhin in Städten und Agglomerationen statt.
Kühne prognostiziert eine Schweiz, in der nicht nur die grossen Städte, sondern auch kleinere Städte und Agglomerationen eine entscheidende Rolle spielen werden.
«Wahrscheinlich wird die gesamte Schweiz städtischer und urbaner – mit vielen, attraktiven Kleinstädten. Diese bringen gute Schulen und Restaurants oder ein breites Freizeitangebot mit sich, bieten aber auch raschen Zugang zum Wald, zum See oder anderen Grünflächen», sagt sie.
Balance zwischen Verdichtung und Grünflächen
Besonders ausländische Fachkräfte ziehen verstärkt in urbane Gebiete. Dass das Leben in der Stadt an Reiz verliert, hält Kühne für unzutreffend. «Die Städte haben eigentlich nie an Attraktivität verloren. Zwar wachsen sie und werden immer grösser, doch die Schweizer Städte bleiben vergleichsweise überschaubar», sagt sie.
Tatsächlich bleibt die Urbanisierung ein anhaltender Trend, da Schweizer Städte aufgrund ihrer Struktur und Lebensqualität immer noch sehr attraktiv sind. Trotz der steigenden Bevölkerungszahlen bewahren sie eine gewisse Übersichtlichkeit – ein entscheidender Vorteil gegenüber Megametropolen in anderen Teilen der Welt.
Eine zentrale Frage in stark wachsenden Städten ist, wie die Balance zwischen Verdichtung und Grünflächen bewahrt werden kann. Seit Jahren wird gefordert, dass Städte grüner gestaltet werden sollen, mit mehr Bäumen und Parkanlagen.
Nutzungskonflikte in schnell wachsenden Städten
Die Abstimmung in Zürich zeigte es dieses Wochenende: Der angenommene Gegenvorschlag zur «Gute-Luft-Initiative» verlangt, dass die Stadt in den kommenden zehn Jahren 145'000 Quadratmeter Strasse in Grünflächen und Flächen für Bäume umwandelt.
Ebenfalls Ja sagten die Stadtzürcher*innen dazu, dass die Stadt in zehn Jahren 462'000 Quadratmeter Strasse für die umweltfreundliche Fortbewegung umwandelt. Doch wie viel Platz gibt es überhaupt noch in den expandierenden Metropolen?
«In der Tat entstehen in schnell wachsenden Städten Nutzungskonflikte zwischen Wohnraum, Grünflächen und Verkehrswegen», so Kühne. Sie hebt jedoch hervor, dass clevere Lösungen existieren, um verdichtetes Bauen mit ausreichend Grünflächen zu kombinieren.
Agglomeration bietet bezahlbaren Wohnraum
Tatsächlich gelten Schweizer Städte im internationalen Vergleich als relativ grün, was sie zusätzlich attraktiv macht. Es sei eine Frage der Planung und des Ausgleichs, wie künftige Flächen genutzt werden. Und: Die Nähe zur Natur sei in Schweizer Städten ein entscheidender Faktor, der die negativen Auswirkungen des Stadtlebens abmildert.
Kühne bezeichnet die Agglomeration als «einen der interessantesten Räume», da sie bezahlbaren Wohnraum mit einer schnellen Anbindung an die Natur und an städtische Zentren kombiniert.
Der SVP ist die Zuwanderung unterdessen ein Dorn im Auge. Sie hat eine Volksinitiative mit dem Titel «Keine Zehn-Millionen-Schweiz!» eingereicht und fordert, dass die ständige Wohnbevölkerung vor dem Jahr 2050 zehn Millionen nicht überschreiten darf. Über die Initiative wird bei einer Volksabstimmung entschieden, einen Termin dafür gibt es noch nicht.
Demograf: Zuwanderung ist nicht Hauptthema
Demograf Hendrik Budliger warnt derweil im Gespräch mit dem «Tages-Anzeiger» vor grossen, oft übersehenen Problemen in der Schweiz. Obwohl das Land schneller wächst als prognostiziert, sieht er nicht die Zuwanderung als Hauptthema.
Vielmehr sinke in einigen Regionen bereits die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter, was erhebliche wirtschaftliche und soziale Folgen haben könne. Budliger betont, dass frühere Bevölkerungsprognosen die Nettozuwanderung falsch eingeschätzt haben.
Zahl der Menschen im Erwerbsalter sinkt
Trotz des aktuellen Wachstums glaubt er nicht, dass die Schweiz die Marke von zehn Millionen Einwohner*innen erreichen werde. Grund dafür sei der demografische Wandel in Europa: Die erwerbstätige Bevölkerung schrumpft, und andere Länder werden verstärkt versuchen, ihre Arbeitskräfte zu halten oder zurückzugewinnen.
Er weist darauf hin, dass die Schweiz in Zukunft um Zuwander*innen konkurrieren muss und sich nicht auf ihrem hohen Lohnniveau und der Lebensqualität ausruhen kann. Sinkende Geburtenraten und eine alternde Gesellschaft könnten zu wirtschaftlichen Herausforderungen führen wie etwa geringerer Konsum, sinkende Steuereinnahmen und eine nachlassende Immobiliennachfrage.
Trotz möglicher Vorteile wie weniger Überbevölkerung und geringerer Umweltbelastung sieht Budliger den demografischen Wandel als eine der grössten künftigen Herausforderungen für die Schweiz. Er plädiert dafür, diesem Thema in der politischen Debatte mehr Aufmerksamkeit zu schenken.
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