Schweizerin erfindet Beton neu
Geht es nach der ETH-Forscherin Barbara Lothenbach, streift Beton bald sein Image als Umweltsünder ab. Eine neue Mischung soll nämlich kein CO₂ ausstossen, sondern es absorbieren.
31.10.2022
Geht es nach der Empa-Forscherin Barbara Lothenbach, streift Beton bald sein Image als Umweltsünder ab. Eine neue Mischung soll nämlich kein CO₂ ausstossen, sondern es absorbieren.
Beton besteht aus Kies, Sand und Zement und ist einer der grossen Sünder, wenn es um die Verunreinigung der Atmosphäre mit Kohlendioxid oder CO₂ geht. Je nach Schätzung sind zwischen 6 und 8 Prozent des globalen Ausstosses auf die Herstellung von Beton beziehungsweise dem ihm zugrundeliegenden Zement zurückzuführen.
Dennoch handelt es sich um einen der beliebtesten Baustoffe. Ein unlösbares Problem? Keineswegs. Denn die Empa-Forscherin Barbara Lothenbach sucht nach der vermeintlichen Quadratur des Kreises: Beton, der als zuverlässiger Baustoff dient, und gleichzeitig nicht nur ohne CO₂-Ausstoss auskommt, sondern ebendiesen gar absorbiert.
«Zement ist nicht per se schlecht, das Problem ist eher, dass wir ihn in einer unglaublich grossen Menge benötigen.»
Barbara Lothenbach
Beton-Forscherin
«Zement ist nicht per se schlecht, das Problem ist eher, dass wir ihn in einer unglaublich grossen Menge benötigen», sagt Lothenbach zu blue News. So ist der zementhaltige Beton nicht nur ein zentraler Bestandteil beim Bau von Gebäuden – auch die Infrastrukturen sind grösstenteils aus Beton.
Die Idee ist rund zehn Jahre alt, doch wenig erforscht
Was ist genau das Problem? Der handelsübliche Zement wird aus der auf 1450 Grad erhitzten Mischung von Tonmineralien und Kalkstein hergestellt. Das im Kalkstein enthaltene CO₂ wird durch diese Erhitzung freigegeben.
Wie will Lothenbach diese Freisetzung umgehen? Der Weg führt über die im Zement enthaltenen Magnesiumsilicate. Werden diese aufgesplittet, entsteht Magnesiumoxid. Gemeinsam mit Wasser und CO₂ aus der Luft entsteht daraus ein hydratisiertes Magnesiumcarbonat. «Dieser Prozess geht mit einer Volumenzunahme einher, was zur Festigkeit führt, die wir für einen guten Zement benötigen», so Lothenbach.
Die Idee sei seit rund zehn Jahren im Umlauf, doch wisse man noch nicht exakt, welche Prozesse genau ablaufen. «Funktionieren sie nicht optimal, geht eine Volumeneinbusse damit einher, was den Beton wieder weniger stabil macht», sagt sie.
Was muss guter Zement überhaupt können? «Zement muss gutmütig sein – das heisst, es darf keine Rolle spielen, ob er mehr oder weniger Wasser oder Sonne abbekommt», sagt Lothenbach. Denn draussen auf Baustellen lassen sich die Umwelteinflüsse nicht haarscharf berechnen.
Diesen Sommer erhielt Lothenbach für ihre Forschung einen Advanced Grand vom Schweizerischen Nationalfonds in der Höhe von 2,2 Millionen Franken. Gemeinsam mit Spezialisten der finnischen Universität in Oulu will Lothenbach nun herausfinden, was sich auf molekularer Ebene abspielt und welche Rezepturen den besten – und stabilsten — CO₂-negativen Zement hergeben.
Bevor Lothenbach sich der Erforschung von nachhaltigem Beton verschrieb, war sie auf der Suche nach besonders starkem Beton. Denn sie forschte, um möglichst sicheres Baumaterial für Atom-Endlager zu finden. Müsste der heuer von ihr entwickelte Beton auch ein Atom-Endlager beherbergen können?
«Ich kann gut abschalten.»
Barbara Lothenbach
Beton-Forscherin
Das Beherbergen von Atommüll sei eine etwas andere Geschichte, sagt sie. «Denn da wird Beton zum einen für das Bauen im Untergrund verwendet und zum anderen auch zum Stabilisieren des radioaktiven Abfalls in den Fässern.» Eine spezifische Beton-Mischung gewährleistet dies. «Ob ein Zement auf Grundlage von Magnesiumcarbonat auch für den Bau eines Atom-Endlagers geeignet ist, weiss ich noch nicht.»
Besonders für Treppen und Strassenwände geeignet
Was jedoch bereits heute feststeht: Dass der von Lothenbach entwickelte Beton besonders für die Erstellung von Fertigteilen geeignet sein wird. Auch hier spielen Umwelteinflüsse eine Rolle. Denn Beton, der auf Baustellen verarbeitet wird, muss in natürlicher Umgebung funktionieren. Das heisst bei Minus- und Plustemperaturen und Regen sowie Sonnenschein gleichermassen zuverlässig härten. «Bei der Herstellung von Fertigteilen wie Treppen oder Strassenwänden können die Umweltfaktoren selbst bestimmt und daher optimiert werden.»
Bei Barbara Lothenbach dreht sich offenbar alles um Beton. Kann sie auch mal abschalten, wenn sie durch die Strassen der Stadt läuft? Immerhin ist ihr Forschungs-Objekt Beton überall und immer zu bestaunen. «Ich kann gut abschalten, aber wenn ich offensichtliche Schäden sehe, dann schaue ich genau und mache hin und wieder ein Foto.»