Kehrtwende des Bundesrats «Zertifikatspflicht am Arbeitsplatz kann auch problematisch sein»

aka

9.9.2021

Einzelne Arbeitsplätze sind gesperrt im Newsroom der Nachrichtenagentur Keystone-SDA in Bern. Mit dem Zertifikat entfallen solche Massnahmen.
Einzelne Arbeitsplätze sind gesperrt im Newsroom der Nachrichtenagentur Keystone-SDA in Bern. Mit dem Zertifikat entfallen solche Massnahmen.
Bild: KEYSTONE

Bisher war es verboten, ab Montag ist es erlaubt: Arbeitgeber dürfen neu das Covid-Zertifikat ihrer Mitarbeitenden verlangen. Wie kommt das an?

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Der Bundesrat reagiert auf die angespannte Corona-Lage in den hiesigen Intensivstationen. Er beschliesst eine Ausweitung der Zertifikatspflicht (hier der Ticker zum Nachlesen). Ab Montag darf nur noch ins Restaurant oder ins Fitnesscenter, wer ein Covid-Zertifikat vorweisen kann.

Eine gewichtige Änderung betrifft die Arbeitswelt: Neu dürfen Arbeitgeber ihre Angestellten nach einem Zertifikat fragen. Das war bisher ein Tabu.

Es gibt allerdings Einschränkungen. Arbeitgeber dürfen ihre Angestellten nur dann um ihr Zertifikat bitten, wenn es dazu dient, angemessene Schutzmassnahmen festzulegen. Oder Testkonzepte umzusetzen. Der Arbeitgeber kann beispielsweise für Ungeimpfte eine Maskenpflicht einführen.

«Zertifikat light» soll bevorzugt werden

Und, wichtig: Die Arbeitnehmenden müssen konsultiert werden, wenn das Zertifikat verwendet wird. Ausserdem braucht es eine schriftliche Dokumentation.

Wer trägt die Kosten?

Falls das Unternehmen von seinen Arbeitnehmern einen Test verlangt, muss es die Kosten dafür tragen. Der Bund übernimmt die Kosten, wenn der Test im Rahmen der repetitiven Tests im Betrieb erfolgt.

Aus Datenschutzgründen ist, wenn immer möglich, das «Zertifikat Light» zu verwenden. Das Zertifikat Light ist eine Funktion in der «Covid Certificate»-App. Es enthält keine Gesundheitsdaten. Heisst: Es zeigt, ob Arbeitnehmende gültige Zertifikate haben. Aber nicht, ob sie geimpft, genesen oder getestet sind.

«Freiheiten müssen geschützt bleiben»

Die Angestellten Schweiz mahnen hier jedoch zur Zurückhaltung: «Eine Zertifikatspflicht am Arbeitsplatz kann aus rechtlicher Sicht allerdings auch problematisch sein», schreibt der Verband. 

Das Argument, wonach die Festlegung angemessener Schutzmassnahmen die Zertifikatsprüfung erforderlich machen würde, überzeuge nicht. Schutzkonzepte müssten unbeachtet des Impfstatus vorerst eingehalten werden. Im Kanton Zürich ist der Arbeitsort der zweithäufigste Ansteckungsort.

Die grundlegenden Freiheiten müssten trotzdem geschützt bleiben. Die Angestellten Schweiz sprechen sich klar gegen einen Impfzwang aus – wenn sich jemand dagegen entscheidet, sei dies zu respektieren. Der Verband begrüsse aber Massnahmen, die möglichst viele Ungeimpfte motivieren, sich piksen zu lassen.

Mit einer Zertifikatspflicht am Arbeitsplatz seien die Angestellten Schweiz dann einverstanden, wenn diese rechtlich abgesichert und der Datenschutz gewährleistet sei. Und wenn die Massnahme auf die Zeit der Pandemie begrenzt sei. Das alles sieht der Bundesrat vor.

«Potenzial für Diskriminierungen ist zu gross»

Noch kritischer äussert sich Travail.Suisse, der unabhängige Dachverband der Arbeitnehmenden. Zwar unterstützt er laut Mitteilung den heutigen Entscheid des Bundesrates, den Einsatzbereich des Covid-Zertifikates im öffentlichen Leben zu vergrössern. Skeptisch ist er jedoch beim Einsatz des Zertifikats am Arbeitsplatz.

«Der Datenschutz kann nicht sichergestellt werden und das Potenzial für Diskriminierungen ist zu gross» schreibt Travail.Suisse. Auch dürfe keineswegs auf die Schutzkonzepte am Arbeitsplatz verzichtet werden, ansonsten drohe die Wirkung auf das Pandemiegeschehen gar negativ zu werden.

Die Zertifikatspflicht drohe in den betroffenen Branchen zu erneuten Umsatzeinbussen zu führen. Dass nicht gleichzeitig die erleichterten Möglichkeiten für Kurzarbeit über Ende September hinaus fortgeführt werden, sei unverständlich.

Arbeitgeber für Ausweitung auf Arbeitsplatz

Und wie sieht es auf der anderen Seite aus? Diese ist zufrieden. Der Schweizerische Arbeitgeberverband unterstützt «angesichts der sich zuspitzenden Lage im Gesundheitswesen die befristete Ausweitung des Covid-Zertifikats», wie er schreibt. 

Der Verband findet es richtig, dass die Arbeitgeber mit dem Zertifikat «künftig unterschiedliche Regeln zum Schutz gegen das Virus am Arbeitsplatz» einführen können. 

Auch Economiesuisse findet die Ausweitung des Zertifikats auf den Arbeitsplatz richtig, wie der Wirtschaftsdachverband mitteilt.

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