Mit Tränen und Lachen Zürich nimmt Abschied: «Bhüeti Gott» Ernst Sieber

André Bissegger, sda

31.5.2018

Über tausend Personen haben am Donnerstagnachmittag Abschied von Ernst Sieber genommen: Im bis auf den letzten Platz besetzten Grossmünster in Zürich gedachten sie dem am Pfingstsamstag im Alter von 91 Jahren verstorbenen Pfarrer, der sich zeitlebens für Obdachlose, Randständige und Süchtige eingesetzt hat.

Viele von ihnen, sowie Verwandte, Weggefährten, Freunde und Politiker erwiesen Sieber, der sich jeweils selbst mit einem «Bhüeti Gott» verabschiedete, die letzte Ehre. Durch die Abdankung führte Pfarrer Christoph Sigrist, der auch persönlich Abschied vom Verstorbenen nahm. «Ernst Sieber war für mich prägend», sagte er. Gleichzeitig verabschiede man sich auch von einem Stück Schweizer Diakonie- und Kirchengeschichte.

Die Gedenkfeier hätte Sieber, der in einem kirchlichen Zürcher Lehrmittel für Jugendliche als Vorbild verewigt ist, sicher gefallen: Es gab Tränen, zwischendurch ein Lachen, «Hurra»-Rufe und viel Applaus. Seine Frau Sonja sang zusammen mit einem Ad-hoc-Chörli. Für einen weiteren musikalischen Höhepunkt sorgte Christian Jott Jenny mit dem Lied «Mis Dach isch de Himmel vo Züri».

Mehr als 1000 Personen haben am Donnerstag Abscheid von Pfarrer Ernst Sieber genommen.
Mehr als 1000 Personen haben am Donnerstag Abscheid von Pfarrer Ernst Sieber genommen.
Keystone

«Zeitlose Überzeugung»

TV-Mann und Freund Markus Gilli erinnerte sich in seinen Abschiedsworten an einige wichtige Stationen in Siebers Leben, bei denen dessen Wirken sichtbar wurde: die offene Drogenszene auf dem Platzspitz, die Jugendunruhen, der Pfuusbus. «Ernst Sieber hat uns den Weg gezeigt», sagte Gilli. «Seine Überzeugung ist zeitlos und wird immer wichtiger in Zeiten, in denen es immer mehr Egomanen gibt.»

Zürichs Stadtpräsidentin Corine Mauch (SP) betonte in ihrer Rede, der Pfarrer habe unzähligen Zürchern geholfen. «Vielen von ihnen hat er sogar das Leben gerettet.» Er bleibe der Stadt in Erinnerung als lebensfroher und zuversichtlicher Fürsprecher von Menschen in Not und als unruhiger Geist und energischer Schaffer. So habe er beispielsweise die Zürcher und damit Schweizer Drogenpolitik vorangetrieben. «Sie ist heute menschlicher und besser.»

Von einem «heiteren Gutmenschen» sprach Regierungsrätin Jacqueline Fehr (SP) und erinnerte an seinen Schalk, Humor und seine Heiterkeit. «Er nahm uns die Angst vor dem Umgang mit dem Elend», sagte sie. Wo er gewesen sei, da habe es Wärme und Licht gegeben. «Er lebte vor, was es heisst, ein Mensch zu sein.»

Ein Herz für Benachteiligte: Pfarrer Ernst Sieber begrüsst 2012 Obdachlose und Gäste im Zürcher Pfuusbus.
Ein Herz für Benachteiligte: Pfarrer Ernst Sieber begrüsst 2012 Obdachlose und Gäste im Zürcher Pfuusbus.
Keystone

Start im Zürcher «Seegfrörni»-Winter

Der evangelisch-reformierte Pfarrer, der seine Laufbahn als Bauernknecht im Welschland begann, hatte sich als Seelsorger, EVP-Nationalrat (1991 bis 1995) und als Kopf seines Sozialwerks für Obdachlose, Randständige und Süchtige eingesetzt. Sein Lieblingsprojekt war der «Pfuusbus», ein alter Sattelschlepper, der im Winter 40 Schlafplätze für Obdachlose bietet.

Sein Image als Obdachlosenpfarrer begründete Sieber, der als Pfarrer in Uitikon-Waldegg und in der Kirchgemeinde Zürich-Altstetten tätig war, in den frühen 1960er-Jahren: Im harten Winter im Jahr 1963, als der Zürichsee zufror, initiierte er im Bunker am Zürcher Helvetiaplatz eine Obdachlosengemeinschaft. Diese gilt als Grundstein für alle weiteren Dorfgemeinschaften und Einrichtungen, die der engagierte Frontmann in den folgenden Jahrzehnten initiierte.

Sieber wurde 1927 in Horgen ZH geboren und zog mit seiner Frau Sonja acht Kinder gross. Im vergangenen November erhielt er vom «Beobachter» den Lifetime Award, die Stadt Zürich würdigte sein kompromissloses Engagement für die Randständigen im Jahr 2013, als sie ihm als Anerkennung für seine Verdienste das Staatssiegel überreichte.

Grosse Erinnerungsfeier auf Platzspitz

Am Samstag findet eine weitere Erinnerungsfeier statt. Beim Pavillon auf dem Platzspitz, der für Siebers Arbeit von grosser Bedeutung war, kann die breite Öffentlichkeit von 14 bis 17 Uhr Abschied nehmen.

Neben seinen Freunden von der Gasse werden auch Vertreter aus vielen Bereichen der Gesellschaft in kurzen Ansprachen an ihre persönlichen Begegnungen mit Ernst Sieber erinnern, wie die Sozialwerke Pfarrer Sieber angekündigt haben.

Armut in der Schweiz
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