Zwischen Ökologie und ProfitWohin steuert die Schweizer Agrarpolitik?
tsha
18.3.2021
Nach der Sistierung der Agrarpolitik 22+ steht die Schweizer Landwirtschaft am Scheideweg. Kritiker befürchten, dass die Umwelt zu kurz kommen könnte.
18.03.2021, 14:46
18.03.2021, 14:57
tsha
Vorläufiges Aus für ein Reformprojekt: Nachdem bereits der Ständerat die Agrarpolitik 22+ (AP22+) sistiert hat, zog am Dienstag auch der Nationalrat nach. Damit liegt das ehrgeizige Vorhaben auf Eis. Die Entscheidung fiel denkbar knapp aus, mit 100 zu 95 Stimmen und einer Enthaltung. Frühestens Anfang 2025, schätzt der Bund, könnte die Reform umgesetzt werden.
Das vorzeitige Aus dürfte massive Auswirkungen auf die Umweltverträglichkeit der Schweizer Landwirtschaft haben, so Befürworter der AP22+. So sagte Andreas Bosshard, Geschäftsführer der Denkfabrik Vision Landwirtschaft und selber Bauer, gegenüber SRF: «Alle Zahlen zeigen, dass die Agrarpolitik punkto Umwelt nicht mehr weiterkommt. Mit der AP22+ hätten wir das anpacken können. Doch das wird nun auf die lange Bank geschoben.»
Die AP22+ sah unter anderem eine Reduktion des Treibshausgasausstosses der Schweizer Landwirtschaft um 20 Prozent gegenüber dem Stand von 1990 vor. Bis zum Jahr 2030 sollte dieses Ziel erreicht werden. Konkret hätte dies eine Einsparung von einer halben Million Tonnen CO2 bedeutet. Keine einfache Aufgabe. Schliesslich sanken die Emissionen seit 1990 zwar deutlich, zuletzt aber stagnierten sie.
Hoher Ammoniak-Ausstoss
Eine weitere Baustelle ist der Ammoniak-Ausstoss. Das Gas entsteht, wenn Bauern auf ihren Feldern Gülle ausbringen, etwa durch grossflächiges Spritzen. Eine Folge ist die Überdüngung der Böden. «Aktuell kann man nicht sagen, dass die Schweizer Landwirtschaft besonders nachhaltig wäre», heisst es in einer Stellungnahme von Greenpeace Schweiz zur Initiative für sauberes Trinkwasser. Jedes Jahr produziere die hiesige Landwirtschaft «fast 100'000 Tonnen an Stickstoffüberschüssen».
Gegen die Sistierung sprachen sich geschlossen SP, Grüne und GLP aus. Entsprechend gross ist die Wut der Parlamentarier*innen nach der Entscheidung. So schreibt etwa Barbara Gysi (SP/SG) auf Twitter: «Wie kann die Agrarlobby nur so fern der Bedürfnisse der Bevölkerung sein. Ich verstehe es einfach nicht.» Am 13. Juni, wenn die eidgenössische Abstimmung über die Trinkwasser- und Anti-Pestizid-Initiativen ansteht, werde «die Quittung an der Urne» folgen.
Wie kann die Agrarlobby nur so fern der Bedürfnisse der Bevölkerung sein. Ich verstehe es einfach nicht. Für diese sture Haltung wird die Quittung an der Urne (13. Juni ) folgen. https://t.co/xBgPQAPJy4
Auch Franziska Ryser (Grüne/SG) verweist auf die Abstimmung vom 13. Juni und schreibt bei Twitter: «Die Bürgerlichen sistieren die Agrarreform, verweigern jegliche Diskussion um eine Weiterentwicklung der Landwirtschaft und setzen damit auch unsere Klimaziele aufs Spiel.»
Schweizer Landwirtschaft auf einem «guten Weg»
Jakob Lütolf, Vorstandsmitglied des Schweizer Bauernverbands (SBV), sieht das anders. Die Schweizer Landwirtschaft sei auf einem «guten Weg», sagte der Bauer gegenüber SRF, und tue im Vergleich zu den 70er- und 80er-Jahren heute viel für die Umwelt.
Auch Bauernverbandspräsident Markus Ritter (CVP/SG) unterstützt die Sistierung. Denn die AP22+ würde einen Rückgang der Schweizer Landwirtschaft um mindestens sieben Prozent bedeuten, so Ritter. Die Folge wären unter anderem steigende Importe, wie sie schon jetzt zu beobachten seien. «Aktuell zeigen sich in der Corona-Krise deutliche Veränderungen. So mussten letztes Jahr 4800 Tonnen Butter zusätzlich importiert werden, um eine Unterversorgung zu verhindern. Ähnliches passiert auch beim Käse.»
Das Wort des mächtigen Bauernverbandspräsidenten hat Gewicht in der Diskussion über die Schweizer Agrarpolitik. Das stellte auch Nationalrätin Martina Munz (SP/SH) fest. «Was dem Bauernverband nicht gefällt, hat in diesem Saal keine Chance», sagte die Politikerin am Dienstag im Nationalrat.
Für Greenpeace Schweiz ist klar, wie die Zukunft der Landwirtschaft aussehen muss: nachhaltig. «Sie kann die Bevölkerung ernähren, ohne jene katastrophalen Folgen für Biodiversität und Klima, die das aktuelle Landwirtschaftsmodell verursacht.»