Hingerichteter MinisterpräsidentRätsel um Asche von japanischem Kriegsverbrecher Tojo gelöst
Von Mari Yamaguchi, AP
16.6.2021 - 00:00
Japans Ministerpräsident Hideki Tojo wurde nach dem Zweiten Weltkrieg wegen Kriegsverbrechen hingerichtet. Über den Verbleib seiner sterblichen Überreste wurde im Land lange gerätselt. Bis jetzt.
DPA, Von Mari Yamaguchi, AP
16.06.2021, 00:00
dpa/uri
Hideki Tojo, Japans Ministerpräsident im Zweiten Weltkrieg, wurde 1948 wegen Kriegsverbrechen hingerichtet. Was mit seinen sterblichen Überresten geschah, blieb ein Geheimnis – das jetzt ein Uniprofessor enthüllt hat.
Bis vor Kurzem war es für Japan eines der grössten ungelösten Rätsel der Geschichte des Zweiten Weltkrieges: Was geschah mit der Asche des 1948 als Kriegsverbrecher hingerichteten Ministerpräsidenten Hideki Tojo? Ein japanischer Universitätsprofessor hat anscheinend in US-Dokumenten die Antwort gefunden. Wie er jetzt enthüllte, geht aus den Papieren hervor, dass die Überreste von Tojo, einem der Drahtzieher der Attacke von Pearl Harbor, von einem US-Militärflugzeug über dem Pazifik verstreut wurden – ungefähr 50 Kilometer östlich von Yokohama, Japans zweitgrösster Stadt, südlich von Tokio.
Höchst angespannte hochgeheime Operation
Es war eine höchst angespannte hochgeheime Operation: Amerikanische Offizielle ergriffen offenbar extreme Massnahmen, um Tojos Asche und die von sechs anderen zusammen mit ihm hingerichteten Kriegsverbrechern von Ultranationalisten fernzuhalten. Damit sollte eine Glorifizierung der Sieben als Märtyrer verhindert werden. Sie waren in einem Kriegstribunal zum Tode verurteilt worden und 1948 – drei Jahre nach dem Sieg über Japan – erhängt worden.
Die Entdeckung der Dokumente beschliesst zumindest zum Teil ein schmerzhaftes Kapitel der japanischen Geschichte, das sich in gewisser Weise immer noch fortsetzt: Konservative japanische Politiker versuchen, die Geschichte zu beschönigen, was zu Spannungen mit Kriegsopfern, insbesondere China und Südkorea, geführt hat.
Professor Hiroaki Takazawa von der Nihon-Universität hatte die einst geheimen und dann freigegebenen Dokumente 2018 im US-Nationalarchiv in Washington entdeckt, im Zuge von Recherchen über andere Kriegsverbrecher-Prozesse – ein Thema, auf das er spezialisiert ist. Er verbrachte dann Jahre damit, den Inhalt zu verifizieren und die Bedeutung einzuschätzen, bevor er die Papiere schliesslich in der vergangenen Woche veröffentlichte.
Erniedrigung für die Hinterbliebenen
Für die Hinterbliebenen sei das Fehlen der Asche eine Erniedrigung gewesen, schildert Hidetoshi Tojo, der Urenkel des Hingerichteten. Aber er ist nach eigenen Angaben erleichtert, dass es jetzt mehr Klarheit gibt. «Wenn seine Überreste zumindest in japanischen Hoheitsgewässern verstreut wurden ... ich denke, dann hatte er irgendwie noch Glück», sagte Tojo der Nachrichtenagentur AP. Wenn weitere Einzelheiten über den genauen Ort im Pazifik erhältlich seien, wolle er seine Freunde einladen und dort Blumen ins Wasser legen, um seinem Urgrossvater Tribut zu zollen.
Tojo war während des grössten Teils der Kriegszeit Regierungschef des Landes. Manche Konservative verehren ihn als einen Patrioten, während ihn viele im Westen verabscheuen, ihm anlasten, den Krieg verlängert zu haben. Dieser war erst nach den US-Atombombenangriffen von Hiroshima und Nagasaki zu Ende gegangen.
Ungefähr einen Monat nach dem 15. August 1945, an dem der damalige Kaiser Hirohito Japans Kapitulation bekanntgab, versuchte Tojo, sich in seinem Tokioter Haus zu erschiessen, um der bevorstehenden Festnahme zu entgehen. Aber der Selbstmordversuch schlug fehl.
Keinen einzigen Fitzel Asche zurückgelassen
Tojo und die sechs anderen, die zusammen mit ihm hingerichtet wurden, zählten zu 28 japanischen Führungspersonen während des Krieges, die sich dem Internationalen Militärtribunal für den Fernen Osten (1946-1948) stellen mussten. 25 wurden verurteilt, 16 von ihnen zu lebenslanger Haft, zwei erhielten geringere Gefängnisstrafen. Zwei weitere Beschuldigte starben während des Prozesses, und in einem Fall wurde die Anklage fallengelassen. Mehr als 4000 Menschen wurden in anderen Tribunalen wegen Kriegsverbrechen verurteilt und etwa 920 exekutiert.
In einem der vom Professor enthüllten Dokumente vom 23. Dezember 1948 schrieb der US-Heeresmajor Luther Frierson: «Ich bescheinige, dass ich die Überreste erhalten, die Kremierung beaufsichtigt und persönlich die Asche der folgenden hingerichteten Kriegsverbrecher auf See von einem Verbindungsflugzeug der 8. Armee verstreut habe.»
Die an der Operation beteiligten US-Offiziere achteten extrem sorgfältig darauf, nicht auch nur einen einzigen Fitzel an Asche zurückzulassen – offenbar um sicherzustellen, dass bewundernde Ultranationalisten nichts, aber auch gar nichts davon in ihre Hände bekämen. In den Dokumenten heisst es ausdrücklich, dass die Öfen nach den Verbrennungen «gänzlich gesäubert» wurden. «Zusätzlich zu ihrem Versuch zu verhindern, dass die Überreste glorifiziert werden, glaube ich, dass es dem US-Militär auch absolut darauf ankam, die Überreste nicht auf japanisches Territorium zurückkehren zu lassen .... als eine äusserste Erniedrigung», sagt Takazawa.
Kriegstote gelten als «heilige Geister»
Wie Frierson im Einzelnen schrieb, wurden die Särge mit dem exekutierten Tojo und den sechs anderen um 2.10 Uhr am Morgen des 23. Dezember 1948 mit einem LKW aus dem Gefängnis abtransportiert, begleitet von anderen Lastwagen voller Soldaten zum Schutz der Leichen.
Nach einem Zwischenstopp zwecks einer letzten Kontrolle in einer US-Militäreinrichtung in Yokohama traf der Konvoi um 7.45 Uhr in einem Krematorium der Stadt ein. Nach der Verbrennung wurden die Überreste zu einem nahe gelegenen Flugfeld und an Bord einer Maschine gebracht, in die dann Frierson einstieg. Alle diese Abläufe wurden von Soldaten überwacht. Man sei dann etwa 30 Meilen weit über den Pazifik östlich von Yokohama geflogen, «wo ich persönlich die kremierten Überreste über ein weites Gebiet verstreute», schrieb Frierson.
Gibt es auch keine Asche mehr, heisst das nicht, dass den Sieben in Japan kein Tribut gezollt würde. Der Tokioter Yasukuni-Schrein, der dem Gedenken an Kriegstote gewidmet ist, schliesst auch sie und Hunderte anderer Kriegsverbrecher ein. Kriegstote gelten in der Shinto-Religion als «heilige Geister». Hinterbliebene und konservative Politiker suchen die Stätte – in der keinerlei Überreste bestattet sind – regelmässig auf, um die Toten zu ehren.
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