Zu Besuch auf der Rega-Basis Zürich Adrian Ferrari: «Das Wetter setzt uns Grenzen»

Cornelia Alig

17.9.2017

Bei einem Notfall ist die Rega tagsüber in maximal fünf Minuten in der Luft. Wie das möglich ist – und wie der Alltag der Rega-Crew in Dübendorf aussieht, zeigt ein Besuch von «Bluewin» auf der Rega-Basis Zürich.

Es ist 07:30 Uhr, wenn die Crew, die jeweils aus einem Piloten, einem Rettungssanitäter und einem Notarzt des Universitätsspitals Zürich besteht, auf der Rega-Basis Zürich eintrifft, um ihre Kollegen um 8 Uhr nach einer 24 bis 48-Stunden-Schicht abzulösen. Jeden Morgen kontrolliert der Pilot den Helikopter auf technische Merkmale, der Rettungssanitäter Rettungswinde und Material und der Notarzt das medizinische Equipment. Schliesslich wird der Helikopter mit einer Hebebühne aus dem Hangar auf den Start- und Landeplatz gefahren.

Die ganze Zeit über ist die Crew auf der Rega-Basis Zürich jederzeit startklar, um im Falle eines Einsatzes schnell reagieren zu können – und für Menschen in Not auszurücken: «Die wichtigste Voraussetzung, um schnell auf einen Einsatz gehen zu können, ist die Vorbereitung», erklärt Adrian Ferrari, Basisleiter, Rettungssanitäter und Helikoptermechaniker, gegenüber «Bluewin». Dazu zählt auch das morgendliche Briefing, an dem die Wetterbedingungen besprochen und die täglich anfallenden Ämtli verteilt werden: Aufräumen, putzen, kochen, administrative Aufgaben erledigen, etc. - «das alles machen wir selber. Einen Hauswart haben wir nicht.» Wenn die Crew von der Einsatzzentrale zu einem Einsatz aufgeboten wird, müssen die Arbeiten auf der Basis warten.

Während der Schicht arbeitet und lebt die Crew zusammen, wie in einer WG. «Dann müssen wir gemeinsam funktionieren», so Ferrari. «Wer nicht teamfähig ist oder nicht ins Team passt, kann nicht bei der Rega arbeiten.» Doch nicht nur räumlich sind sich die Crew-Mitglieder sehr nahe: «Man muss sich aufeinander verlassen können. Geht es jemandem nicht gut, suchen wir das Gespräch im Team. Das ist wichtig, damit sich im Falle eines Alarms jeder voll auf den Einsatz konzentrieren kann.»

Häufigste Alarmursache: Krankheiten

In 85 Prozent aller Fälle wird der Alarm laut Philipp Keller, Mediensprecher der Rega, von professionellen Einsatzkräften wie Polizei oder Rettungsdienste ausgelöst. Bei den insgesamt über 6000 Primäreinsätzen, wo der Helikopter direkt an den Ereignisort fliegt, stehen bei der Rega generell Krankheit gefolgt von Verkehrs- und Arbeitsunfällen an der Spitze der Alarmierungsursachen. Die Anzahl Sekundäreinsätze, sogenannte Verlegungsflüge von Spital zu Spital, machen weniger als 3000 aus.

Die Rega-Basis Zürich leistet jährlich etwa 900 Einsätze. Handelt es sich um einen Primäreinsatz, kommt der Alarm per Funk von der Einsatzzentrale. «Daraufhin wissen wir in welche Richtung es geht und was in etwa passiert ist», erklärt Ferrari. Fünf Minuten später ist der Heli in der Luft. «Erst dann kriege ich die Details per Mail auf das iPad: Koordinaten, wer bereits vor Ort ist, ob es sich um ein Kind, um einen Erwachsenen oder gar um mehrere Personen handelt.»

Wird der Alarm über die Smartphone-App der Rega ausgelöst, werden automatisch die Koordinaten der alarmierenden Person an die Rega-Einsatzzentrale verschickt, die daraufhin den Rettungshelikopter aufbietet. Dies ist vor allem im Gebirge sehr nützlich, oder wenn der Alarmierende seinen Standort nicht genau kennt. Anderenfalls versucht die Rega-Einsatzzentrale im Gespräch mit der alarmierenden Person den Unfallort so gut es geht zu erfragen, um der Helikopter-Crew die Koordinaten übermitteln zu können. «Dann müssen wir die Augen sehr gut offenhalten, um den Patienten zu finden. Oft sind aber auch schon Polizisten oder Sanitäter vor Ort, die uns die genauen Koordinaten übermitteln und einen geeigneten Landeplatz zeigen.» Es liegt in der Verantwortung des Piloten zu entscheiden, ob oder wo er überhaupt landen kann. Wenn beispielsweise Kabel die Landung verhindern, wird der Helikopter in der Nähe des Unfallorts zu Boden gebracht und die Crew begibt sich zu Fuss oder per Polizeipatrouille an den Einsatzort. Möglich ist es auch, den Notarzt an der Rettungswinde zum Patienten abzusetzen.

Die Dauer eines Einsatzes ist sehr unterschiedlich. Oft ist die Rega-Crew aber mehrere Stunden unterwegs. Zurück auf der Basis wird sofort der Helikopter wieder aufgetankt und das gebrauchte Material ersetzt, sowie die administrativen Daten erfasst. Besondere emotionale Ereignisse verarbeitet die Crew gemeinsam. «Wir haben Glück, wir sind zu dritt und alle haben das Gleiche erlebt. Wenn wir nach einem Einsatz zurückkommen, setzen wir uns zusammen und sprechen darüber.»

Adrian Ferrari arbeitet nun seit 27 Jahren auf der Rega-Basis Zürich – vorher war er Mechaniker. In seiner Zeit bei der Rega musste er nie professionelle Hilfe in Anspruch nehmen: «Ich kann im Gespräch mit meiner Crew alles verarbeiten und Abstand gewinnen», begründet er. «Ausserdem haben wir in all den Jahren so viele Sachen gesehen, dass man nicht mehr alles an sich heranlässt.» Dazu hat jeder seine eigene Technik. «Ich beispielsweise versuche, mir keine Gesichter zu merken», so Ferrari. Dann gebe es Leute, die machen viel Sport oder hätten andere Methoden, erlebtes hinter sich zu lassen.

Das Wetter setzt uns Grenzen

Nebst der physischen und psychischen Belastung wird die Crew fast täglich mit weiteren Herausforderungen konfrontiert: «Medizinisch am herausforderndsten sind Unfälle mit Schwerverletzten, bei denen alles sehr schnell gehen muss. Auch die Verlegungen von Intensivpatienten von Spital zu Spital ist sehr herausfordernd», erklärt der Basisleiter.

Technisch wird die Rega-Crew dagegen bei Unfällen in einem Tobel oder im Gebirge am meisten gefordert, wo eine Windenaktion nötig wird. «Manchmal setzen wir dann zusätzlich einen Rettungsspezialist Helikopter (RSH) ein», so Ferrari. Im Mittelland handelt es sich dabei um Spezialisten der Berufsfeuerwehren. Im Gebirge wird die Rega zusätzlich von Rettungsspezialisten des Schweizerischen Alpen-Club SAC unterstützt, die beispielsweise bei Nebel bodengebundene Rettungen durchführen, wenn der Helikopter nicht fliegen kann.

Rettungsspezialisten werden zur Verstärkung der Helikoptercrew immer dann zugezogen, wenn gebirgstechnische Erfahrung oder Unterstützung für Rettungseinsätze erforderlich sind.

An ihre Grenzen kommt die Rega-Crew nur bei schlechten Wetterbedingungen, denn anders als bei Flugzeugen fliegt ein Helikopter-Pilot grundsätzlich nach Sicht und nicht nach Instrumenten: «Bei Schneefall, starkem Regen oder Nebel können wir nicht fliegen. Dann müssen wir uns organisieren und allenfalls eine bodengebundene Rettung durchführen.»

Noch sind es rund 600 Patienten, die pro Jahr wegen schlechten Wetters nicht aus der Luft versorgt werden können. Deshalb hat die Rega verschiedene Massnahmen lanciert, damit ihre Rettungshelikopter in Zukunft auch bei Neben und Schneefall fliegen können. So bestellte sie drei allwettertaugliche Rettungshelikopter mit Enteisungsanlagen. Diese werden im Jahr 2021 zur Flotte stossen. Zudem arbeitet die Rega seit längerem gemeinsam mit der Schweizer Luftwaffe, der Flugsicherungsgesellschaft Skyguide sowie dem Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL) an der Etablierung und Inbetriebnahme des Low Flight Network.

Das auf Satellitennavigation basierende Netzwerk verbindet sowohl Flugplätze als auch Spitäler und kleinere Flugplätze mit speziell konzipierten Anflügen miteinander. Wie auf einer Autobahn fliegt der Helikopter mittels Autopiloten einer im Flugrechner gespeicherten Flugroute nach – ein entscheidender Sicherheitsgewinn und Voraussetzung, damit Helikopter auch bei schlechter Sicht im Instrumentenflugverfahren fliegen können. Seit Anfang Dezember 2016 sind zwei Routen für den Einsatz zugelassen. Damit kommt die Rega ihrer Vision „Retten bei jedem Wetter“ einen weiteren Schritt näher.

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