Patrik Svenssons «Das Evangelium der Aale». Ist kein Sachbuch der eigentlichen Art. Zwischen die Fakten webt der Autor seine Biografie:
Der Aal ist ein erstaunliches Lebewesen: Bis heute weiss niemand etwas über die Geburt der Fische. Aristoteles ging davon aus, die Tiere bildeten sich aus Schlamm. Heute sind sich Forscher ziemlich sicher, dass der Ursprung der Aale in der Sargassosee liegt. Einen ausgewachsenen Aal habe hier aber noch nie jemand gesehen, schreibt Patrik Svensson in seinem Buch «Das Evangelium der Aale».
Aufgewachsen in Schweden nahm sein Vater den Autor regelmässig mit zum Aalfischen. Svensson beschreibt, wie sie Angeln bauen, eine Reuse in den Fluss setzen, wie sie durchs feuchte Schilf waten, nachts schweigen und warten, Aale mit einem Messerstich in den Kopf erlegen, sie ausnehmen und kochen. Aus Sicht des Ich-Erzählers bringt er Lesern seinen Vater nahe – bis ans Sterbebett. Und eher beiläufig zeichnet er dabei den wirtschaftlichen Wandel in seiner Heimat nach.
Diese Kapitel wechseln sich ab mit faktenbasierten, die den Aal aus fachlicher Sicht behandeln – von naturwissenschaftlichen Aspekten wie verschiedenen Entwicklungsstadien des Aals, seinen Ernährungsweisen, Wanderungen flussauf- und abwärts sowie seinem Verbreitungsgebiet bis zu (kunst)historischen Quellen.
Das faszinierende Mysterium
Seien es die Aal-Szene in Günther Grass» «Blechtrommel» oder die Tatsache, dass der junge Sigmund Freud als Student vergeblich extra nach Triest reiste, um beim Sezieren von Aalen erstmals männliche Keimdrüsen zu finden – es ist bemerkenswert, wer sich schon alles intensiv mit den Tieren auseinandergesetzt hat.
Aale waren einst «ein Werkzeug zur Machtausübung», schreibt der Journalist Svensson über die Verteilung von besonderen Fischereirechten. Die Fische spielten in der US-Geschichte ebenso eine Rolle wie im Nordirlandkonflikt.
Umso erstaunlicher ist es, dass bis heute niemand weiss, wie und wo sich Aale in freier Natur fortpflanzen (Zuchtversuche waren nach Svenssons Darstellung bislang auch alles andere als erfolgreich). Die sogenannte Aalfrage erklärt er in seinem Erstlingswerk zu «eine(r) Art heiliger Gral der Naturwissenschaft».
Leicht religiös und repetitiv
Neben diesem leicht Mystischen ringt der Autor Aalen aber auch etwas Religiöses ab, wie schon der Buchtitel vermuten lässt. Abgesehen von ihrer Rolle einst im ägyptischen Glauben zieht Svensson Vergleiche zwischen dem Aal und Gott beziehungsweise dessen Sohn.
Im Zuge der sehr sachlichen Darstellungen einerseits und autobiografischen Erinnerungen andererseits mag das manche Leser irritieren. Letztlich rundet es das Bild vom Aal und alldem, was man über die Fische wissen kann, aber ab – und kann im Zweifel auch gut übersprungen werden.
Manches wiederholt sich auf den rund 235 Seiten ein wenig. Aber am Ende werden sich die meisten Leser wohl ausgiebiger und detaillierter mit einem Tier befasst haben, als sie es je für möglich gehalten haben. Einem Tier, das bei vielen als unheimlich oder eklig gilt. Aber einem Tier, dass allein schon deshalb fasziniert, weil man trotz aller Forschung ganz entscheidende und für Laien vermeintlich simpel erscheinende Dinge noch nicht weiss.
Dabei wäre das dringend nötig, um den Aal vor dem Aussterben zu retten. Die Zahl der heute in Europa ankommenden Jungaale betrage nur noch ein bis fünf Prozent der Berechnungen aus den 1970er-Jahren, schildert Svensson. «Wo in meiner Kindheit jedes Jahr einhundert kleine, durchsichtige Glasrütchen den Fluss hinausschwammen, tritt heute nur noch eine knappe Handvoll diese Reise an.»
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