Klassische MusikDas Tonhalle-Orchester Zürich kehrt zurück in seine Heimstätte
fa, sda
15.9.2021 - 09:30
Mit der 3. Symphonie von Gustav Mahler kehrt das Tonhalle-Orchester heute Abend in seine Heimstätte zurück. Welche Idee hinter gerade diesem Gipfel der Monumentalität steckt, erklärt Tonhalle-Intendantin Ilona Schmiel.
Keystone-SDA, fa, sda
15.09.2021, 09:30
SDA
Vier Jahre in der Tonhalle Maag liegen hinter dem Tonhalle-Orchester Zürich, in einem Interims-Konzertsaal, der viel junges Publikum angezogen hat, der die Schwelle zum klassischen Konzert tief gelegt hat. Und jetzt also der Einzug in den neu renovierten Saal mit seinem Komponistenhimmel, mit glitzernden Kristallleuchtern, mit Gold und Stuck, erbaut Ende des 19. Jahrhunderts als Monument des Bürgerstolzes.
Diesen Saal will das Orchester nun «wie ein Instrument neu einstimmen», sagt Ilona Schmiel, Intendantin der Tonhalle-Gesellschaft Zürich im Gespräch mit Keystone SDA. Und nein, nicht etwa mit Beethovens Neunter und dem erwartbaren Chorsatz «Freude schöner Götterfunken...», sondern mit Mahlers 3. Symphonie. Das sei Chefdirigent Paavo Järvis Wunsch gewesen.
Symphonie als Huldigung
In den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts, an der Schwelle von der Spätromantik zur Moderne, hat Mahler dieses Monumentalwerk geschaffen, das über eineinhalb Stunden dauert und 165 Künstlerinnen und Künstler auf der Bühne versammelt. Bei seiner Arbeit blickte der Komponist übrigens auf den Attersee, ähnlich dem Blick, den das Publikum nun wieder von der Terrasse der Tonhalle auf den Zürichsee hat.
Mit ihren sechs Sätzen für das ganz grosse Orchester, inklusive grosser Bläserbesetzung und grossem Schlagwerk mit Glocken, für Frauen- und Knabenchor sowie Altsolo, folgt die Symphonie inhaltlich dem Motto «Durch Dunkel zum Licht» (per aspera ad astra). «Das war kein blosses Feiern mehr, das war eine Huldigung», lautete ein zeitgenössischer Kommentar zur Uraufführung.
Eine solche Huldigung der neuen Tonhalle schwebt wohl auch dem Chefdirigenten und der Intendantin vor. So sei das Programm, im Übrigen nicht nur des Eröffnungskonzerts, sondern das der ersten vier Wochen, «ein grossformatiges Feuerwerk», so Schmiel. Mahlers 3. Symphonie eigne sich perfekt, die Akustik der Grossen Tonhalle «voll auszureizen». «Wir wollen das Haus, mit allen seinen Möglichkeiten ausloten», sagt Schmiel.
Das gilt ebenso für den Organisten Christian Schmitt, der als aktueller Künstler im Fokus und somit regelmässiger Gast die neue Orgel der Tonhalle einweihen soll. Auf dem Programm stehen die 3. Symphonie von Camille Saint-Saëns, die sogenannte «Orgelsymphonie», sowie zwei Kompositionen, die eigens für diesen Anlass entstanden sind, ein Konzert für Orgel und Orchester von Guillaume Connesson und das Caprice V «Zürcher Art» von Richard Dubugnon.
Hinter dem Entscheid für die monumentale Spätromantik steckt aber eine weitere Idee. Gerade Mahlers 3. Symphonie ist zur gleichen Zeit entstanden, als auch die Tonhalle neu eröffnet wurde. «Zu dem Einweihungsjahr 1895 wollen wir nun mit der Rückkehr in unsere Heimat eine Klammer bilden», sagt Schmiel.
Stolz des Bürgertums
Das Ende des 19. Jahrhunderts war eine Zeit, als das Bürgertum zu neuem Stolz erwacht war, als Hochstehendes und Unterhaltung nebeneinander existierten und «dieser Bürgerstolz steckt nun auch in der Idee unseres Konzerthauses für Alle.» Insofern wolle sie, so sagt Schmiel, die Zeit auch nicht hinter die vier Jahre in der Tonhalle Maag zurückdrehen. «Wir hoffen, dass wir das jüngere Publikum, das wir dort neu gewonnen haben, mitnehmen können in die Tonhalle. Hier spüren wir eine besondere Verantwortung.»
Dieses Ziel verfolgt die Intendantin zum einen mit dem Programm, das etwa auch Filmmusik vorsieht, ein Genre, das gerade für das junge Publikum oft der erste Kontakt zur Orchestermusik ist. Das Format «Filmsinfonik» aus Tonhalle-Maag-Zeiten wird mit den Themen Stumm- und Tonfilm sowie einen Filmmusikwettbewerb fortgeführt.
Zum anderen schwebt Schmiel ein Think Tank unter anderem mit Jugendlichen vor, der wissenschaftlich begleitet, sich der Frage annehmen soll, wie ein jüngeres Publikum an die Tonhalle gebunden werden kann. Das sei jedoch «noch Zukunftsmusik», während der Pandemie immer wieder hintenan gestellt worden.
«Aber», so betont Schmiel, «wir werden uns mit unserem Repertoire nicht beim jungen Publikum anbiedern». Altersunabhängig gelte, dass – gerade auch während der Pandemie – der «seelisch-sinnliche Wert des Live-Konzert-Erlebnisses» gewonnen habe. Insofern gibt sich Schmiel selbstbewusst: «Wir sind ein Angebot; wir bieten höchste Qualität mit einem Zugang für alle.»
Heimstätte im Namen
Mit diesem Selbstbewusstsein blickt sie auch auf den Bau der neuen Tonhalle: «Das Gebäudeensemble am See hat die Kraft, international wahrgenommen zu werden», sagt die gebürtige Deutsche, die sich einst zur Mezzosopranistin für die Oper ausbilden liess, dann aber ihre Faszination für Konzertsäle zu ihrem Beruf gemacht hat.
Die neue Tonhalle positioniert sie in der gleichen internationalen Liga wie das Konzerthaus des Wiener Musikvereins, das Concertgebouw in Amsterdam oder die Symphony Hall Boston – alles Säle, die im gleichen Stil erbaut sind; Schmiel nennt sie mit liebevollem Unterton «Schuhkartons». Und: Sie alle beherbergen Orchester, die ihre Heimstätten im Namen tragen, wie das Tonhalle-Orchester Zürich.
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