Nobelpreis für Ökonomen um BernankeDas Unheil von Finanzkrisen
11.10.2022
An der Spitze der Notenbank Fed steuerte Ben Bernanke die USA durch die schlimmste Wirtschaftskrise seit der Grossen Depression der 1930er Jahre: die globale Finanzkrise. Das Wesen solcher Krisen hatten er und weitere Ökonomen erforscht – dafür werden sie nun ausgezeichnet.
11.10.2022, 00:00
Für was braucht man Banken, wie kann man sie weniger anfällig in Krisen machen und verhindern, dass der Kollaps von Geldhäusern Finanzkrisen verschärft? Für die Forschung an solchen Fragen geht der diesjährige Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften an den früheren US-Notenbankchef Ben Bernanke und die beiden ebenfalls amerikanischen Ökonomen Douglas Diamond und Philip Dybvig.
Mit ihren Erkenntnissen hätten sie das Verständnis der Rolle von Banken in der Wirtschaft bedeutend verbessert – vor allem in Finanzkrisen, würdigte die Königlich-Schwedische Akademie der Wissenschaften in Stockholm. Die Forscher hätten in den frühen 1980er Jahren die Grundlagen zur modernen Bankenforschung gelegt. «Ihre Analysen sind von grosser praktischer Bedeutung bei der Regulierung der Finanzmärkte und dem Umgang mit Finanzkrisen gewesen.»
Einer der mächtigsten Männer der Finanzwelt
Als Präsident der US-Notenbank Fed war der heute 68 Jahre alte Bernanke von 2006 bis Anfang 2014 einer der mächtigsten Männer der Finanzwelt – inmitten der globalen Finanzkrise. Er steuerte die USA durch die schwerste Wirtschaftskrise seit der Grossen Depression der 1930er Jahre, jene Krise, die Bernanke selbst erforscht hatte.
Er habe gezeigt, wie der Ansturm von Kunden auf Banken zum Abheben ihrer Ersparnisse aus einer relativ gewöhnlichen Rezession in den 1930er Jahren eine schwerwiegende Krise mit dramatischen Folgen weltweit gemacht habe, erklärte John Hassler vom zuständigen Nobelkomitee am Montag. Wenn Sparer in grosser Zahl gleichzeitig an ihr Geld wollten («Bank Run»), könne das Gerücht zur selbsterfüllenden Prophezeiung werden. Staatliche Einlagensicherungen könnten da vorbeugen. Generell hätten Banken eine wichtige Funktion als Vermittler zwischen Sparern und Kreditnehmern. Ohne Banken funktioniere die Wirtschaft weitaus schlechter.
«Alle drei Preisträger waren heimliche Anwärter», kommentierte Professor Sascha Steffen, Vizepräsident Forschung an der Frankfurt School of Finance & Management, den mit umgerechnet knapp 915'000 Euro dotierten Preis für die Forscher. «Sie alle haben unser Verständnis von der Rolle von Banken und deren Risiken verändert und Wege aufgezeigt, wie sie reguliert werden müssen.» Ihre Werke beeinflussten noch heute fast alle Forschungsprojekte zu Banken und Finanzkrisen sowie die Arbeit von Zentralbanken und Bankenaufsehern.
Von der Immobilien- zur Bankenkrise
Für Bernanke ist der Nobelpreis die Krönung seiner Karriere als Ökonom – auch wenn viele Menschen seinen Namen mit der Finanzkrise verbinden. Sein Vater war Apotheker und die Mutter Lehrerin, Bernanke studierte an der Elite-Universität Harvard und promovierte am Massachusetts Institute of Technology. Als Vorsitzender des Council of Economic Advisers leitete er das wichtigste Ratgebergremium der US-Regierung, bevor er zum Nachfolger von Alan Greenspan an die Spitze der Notenbank Fed berufen wurde.
Kurz nach seinem Amtsantritt brach die Immobilienkrise über die USA herein. Sie erfasste auch die Banken und erreichte im Zusammenbruch von Lehman Brothers 2008 ihren Höhepunkt. Nicht nur die Finanzwelt stand damals am Abgrund: Es folgte der Einbruch der Weltwirtschaft, der Millionen Menschen in die Arbeitslosigkeit stürzte und gerade in Europa klamme Staaten in arge Bredouille brachte. Länder wie Griechenland spüren die Nachwehen der Euro-Schuldenkrise noch heute.
Bernanke, der Mann mit dem weissen Vollbart und dem besonnenen Auftreten, wurde zum Manager der Finanzkrise. Er reagierte, senkte rapide den Leitzins und pumpte Billionen Dollar in die Märkte. Die Bilanzsumme der Fed stieg in gut fünf Jahren von rund 870 Milliarden auf mehr auf 4,1 Billionen Dollar – ein gewaltiges Experiment. Auch andere Notenbanken wie die Europäische Zentralbank (EZB) lockerten ihre Geldpolitik in den Folgejahren beispiellos.
Zweifel am Rezept der lockeren Geldpolitik
Die USA liessen zumindest die Finanzkrise relativ schnell hinter sich: Zum Ende von Bernankes Amtszeit Anfang 2014 war die Arbeitslosigkeit dort so gering wie nie seit Beginn der Krise, das Wirtschaftswachstum stärker. Doch schon damals gab es grosse Zweifel am Rezept der lockeren Geldpolitik. Skeptiker kritisierten, Bernanke habe mit seiner Bankenrettung und der Geldflut viel für die Wall Street getan – aber wenig für den kleinen Mann. Andere warnten, das billige Geld würde der Welt eines Tages eine noch viel schlimmere Blase bescheren.
Die Kritik begleitet Notenbanken wie die EZB bis heute. Manche sehen sich in den rasant gestiegenen Immobilienpreisen und der historisch hohen Inflation bestätigt, dass das viele lockere Geld der Währungshüter schlimme Nebenwirkungen hat. «Wir haben versucht, alles richtig zu machen», sagte Bernanke dagegen einmal ganz nüchtern.
Heute kämpfen die grossen Zentralbanken weltweit wieder gegen eine Gefahr: die exorbitante Inflation. Mit Leitzinsanhebungen versuchen sie diese in Schach zu halten, ständig in Gefahr, damit die Wirtschaft abzuwürgen und eine neue Krise zu verursachen. Können sich Finanzkrisen heute ebenso verhängnisvoll wiederholen wie damals?
Der Bankensektor sei heute sicher «viel besser auf Krisen vorbereitet als 2008», sagte Douglas Diamond. Verwundbarkeiten im globalen Finanzsystem könnten aber überall auftreten, nicht nur unter Geschäftsbanken, sondern auch bei Versicherungen oder Investmentfonds. Finanzkrisen könnten wieder schlimm werden, wenn die Menschen das Vertrauen in Institutionen verlören, betonte er. Dass es den Zentralbanken heute gelingen wird, ihre neue Herausforderung zu bewältigen, steht für ihn ausser Frage. «Ich habe keinen Zweifel, dass sie die Inflation unter Kontrolle bekommen werden.»