Fortschritte dank Corona Deshalb hoffen Krebskranke auf die mRNA-Technologie

Von Maximilian Haase

8.2.2022

Arbeit an einem früheren mRNA-Impfstoff gegen das Coronavirus bei Biontech. Könnte die Technologie bald auch im Kampf gegen Krebs helfen? (Archivbild)
Arbeit an einem früheren mRNA-Impfstoff gegen das Coronavirus bei Biontech. Könnte die Technologie bald auch im Kampf gegen Krebs helfen? (Archivbild)
Bild: Keystone/EPA/Biontech

Die mRNA-Impfstoffe gehören zu den wirksamsten Mitteln gegen das Coronavirus. Die dahinterstehende Technologie könnte bald auch den Kampf gegen Krebs revolutionieren.

Von Maximilian Haase

Krebs ist in der Schweiz die zweithäufigste Todesursache, laut Bundesamt für Statistik sogar die häufigste bei Frauen zwischen 25 und 84 sowie bei Männern zwischen 45 und 84. Jährlich sterben hierzulande rund 17'000 Menschen an Krebs. Auch wenn das Erkrankungsrisiko in den vergangenen Jahren nicht mehr zugenommen und sich die Überlebenschancen bei vielen Tumorarten verbessert haben, ist die Zahl der Erkrankungen aus demografischen Gründen laut BAG zuletzt gestiegen

Die Corona-Pandemie scheint nicht unbedingt zu einer Verbesserung der Situation beigetragen zu haben. Im Gegenteil vermuten Expert*innen, dass viele Tumore in den letzten zwei Jahren zu spät diagnostiziert wurden. Im Frühjahr 2020 habe es in der Schweiz etwa 16 Prozent weniger tumorbedingte Hospitalisierungen gegeben, «obwohl krebsbedingte stationäre Spitalaufenthalte eine zeitnahe Behandlung erfordern», wie die Krebsliga auf Anfrage von blue News mitteilt. Auch die WHO bestätigt derlei Befürchtungen.

Und doch scheint im Zuge der Pandemie nun ein Hoffnungsschimmer für Krebspatienten auf.

Grund dafür ist die mRNA-Technologie, die in den wichtigsten Impfstoffen zum Einsatz kommt: Die Technik, auf der unter anderem die Vakzine von Biontech/Pfizer und Moderna basieren, soll bald nicht mehr nur gegen das Virus, sondern auch im Kampf gegen Krebs helfen. Die wichtigsten Fragen und Antworten dazu.

Wie soll mRNA gegen Krebs helfen?

Die mRNA-Technologie, die bei der Corona-Impfung zum Einsatz kommt, funktioniert prinzipiell recht einfach: Bestimmte Botenstoffe (messenger RNA) im Impfstoff enthalten den Bauplan für ein bestimmtes Protein (etwa das Spike-Protein des Coronavirus). Dieses Protein wird nach der Impfung in den Zellen produziert, vom Immunsystem als Eindringling erkannt, bekämpft und künftig gemerkt. 

Krebspatient*innen soll die mRNA-Therapie nun helfen, die Immunabwehr des Körpers gegen den Tumor zu richten. Krebszellen besitzen unterschiedlichste Markierungen, die normalerweise vom Immunsystem nicht erkannt werden. mRNA liefert dem Körper wie bei der Corona-Impfung einen Bauplan, um diese Markierungen selbst zu produzieren, damit das Immunsystem die bösartigen Zellen erkennen und beseitigen kann.



Die Forschung dazu ist nicht neu: Seit etwa 30 Jahren, also lange bevor mRNA überhaupt als Technologie für einen Virus-Impfstoff infrage kam, untersucht die Wissenschaft bereits ihren Nutzen für die Krebstherapie. Da Krebszellen von gesunden Zellen allerdings oft schwer zu unterscheiden sind, gestaltet sich die Forschung schwieriger: «Bei der Entwicklung von Immuntherapien gegen Krebs sind die Herausforderungen wesentlich grösser als bei der Entwicklung eines Impfstoffes gegen das Coronavirus», bestätigt auch eine Sprecherin der Krebsliga blue News.

Handelt es sich um eine Impfung gegen Krebs?

Nein. Die Technologie kann nicht prophylaktisch gegen Krebs eingesetzt werden. Es handelt sich um eine Immuntherapie, mit der nur Patient*innen behandelt würden, die bereits erkrankt sind. 

Welchen Vorteil bietet die mRNA-Therapie?

Der grosse Vorteil der mRNA-Technologie: Eine Therapie könnte individuell auf den einzelnen Patienten und dessen Krebszellen abgestimmt werden. Dies ist besonders hilfreich, weil sich Tumore und Metastasen in ihren Merkmalen bei jedem Erkrankten unterscheiden. 

Laut Biontech-Gründer Ugur Sahin wolle man mit den mRNA-Krebstherapien erreichen, «dass Metastasen gar nicht erst entstehen, der Krebs nicht erneut ausbricht», wie er der «Bild» sagte. Die Therapie solle einen Rückfall verhindern oder verlangsamen, so Sahin, dessen Unternehmen entscheidend an der Entwicklung des Corona-Impfstoffs beteiligt war.

Weil die Behandlung mit der mRNA-Technologie zielgerichteter und ohne Einsatz von Strahlen und Chemikalien geschähe, dürften zudem die Nebenwirkungen geringer ausfallen – gerade im Vergleich zur Chemo- oder Strahlentherapie. Ebenfalls nicht zu vernachlässigen: Die Produktion von mRNA im Labor ist inzwischen vergleichsweise einfach und günstig. 

Welche Herausforderungen gibt es?

Die Tatsache, dass die Krebszellen bei jedem Krebspatienten unterschiedlich sind, mache «die Forschung und Umsetzung deutlich anspruchsvoller», so die Krebsliga-Sprecherin zu blue News. Wie bei anderen Krebs-Immuntherapien spielten auch hier die sogenannten Tumor-Antigene eine entscheidende Rolle. Diese kommen idealerweise nur auf Krebszellen vor. Bevor individuelle mRNA-Therapien entwickelt werden können, gelte es diese zunächst zu identifizieren.

Gleichzeitig bedeutet die Unterschiedlichkeit der Krebszellen von Patient*in zu Patient*in aber auch, dass ein gemeinsames mRNA-Mittel für verschiedene Patient*innen nicht entwickelt werden kann.

Wie weit ist die Forschung?

Auch wenn es in den USA bereits 1996 erste Untersuchungen zur Krebsbehandlung mit mRNA gab, profitiert die Forschung nun von den zahlreichen Daten aus den Impfstudien während der Corona-Pandemie. «Durch die Pandemie hat die Forschung in diesem Bereich einen enormen Aufschwung erhalten», so die Krebsliga. Die Technologie habe bewiesen, dass sie «vielsprechend und sicher» ist. Erste klinische Studien gegen Lungen-, Prostata- und Hautkrebs seien bereits am Laufen.



Es gäbe derzeit weltweit viele Studien zu unterschiedlichen Krebserkrankungen, zitiert der WDR auch Niels Halama vom Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg. Die ersten Daten würden zwar alle noch aus Tiermodellen stammen, aber dennoch zeigen, «dass man mRNA ganz gezielt dafür nutzen kann, im Tumor selbst Veränderungen auszulösen».

Das Pharmaunternehmen Biontech forscht derzeit an zwei Immuntherapien gegen Krebs, genauer Dickdarmkrebs und Schwarzen Hautkrebs. Beide befinden sich in der klinischen Phase II. Laut Unternehmenschef Sahin könnten die Therapien auch bei anderen Krebsarten, etwa Bauchspeicheldrüsenkrebs, Brustkrebs und Leberkrebs, zum Einsatz kommen.

Wie Sahin der «Bild» sagte, hoffe er, dass in etwa drei Jahren weitere Daten vorliegen, die für die weitere Entwicklung ausschlaggebend seien. Bemerkenswert: Vor der Pandemie war der Einsatz der mRNA-Technologie gegen Krebs bereits zehn Jahre lang Hauptforschungsbereich bei Biontech.

Revolutioniert mRNA die Krebsbehandlung?

«Wir glauben, dass das die Zukunft der Krebstherapie ist», so Sahin in der «Bild»-Zeitung. Allerdings: Bevor die Technologie tatsächlich praktisch zum Einsatz kommt, dürfte noch einige Zeit vergehen. Zumal die mRNA-Immuntherapie womöglich nur bei bestimmten Krebsarten nützlich sein könnte und weiterhin mit bestehenden Chemo- und anderen Therapien gegen Krebs kombiniert werden müsste. 

Aufgrund der immer präziser werdenden Charakterisierung von Tumoren hätten die Therapien «jedoch ein grosses Potenzial», wie die Sprecherin der Krebsliga mitteilt. Es sei zu erwarten, dass die mRNA-Technik vermehrt Einsatz finden werde, nicht nur bei der Impfung gegen Corona, sondern auch bei Krebs und anderen Krankheiten.

Aber: «Wie revolutionär das sein wird, kann man im Moment noch nicht vorhersagen», so die Sprecherin zu blue News. Wie bei anderen Krebsimmuntherapien bestehe auch bei den mRNA-Therapien die Gefahr, dass die Krebszellen Strategien entwickeln, dem Immunsystem zu entkommen.

Die grosse Hoffnung bleibt: Dass eine mRNA-basierte Tumortherapie aus dem Krebs eine weniger tödliche Krankheit machen könnte.