Zum Tod von Desmond TutuStreitbarer Gottesmann und Kämpfer gegen Ungleichheit
dpa
26.12.2021 - 09:26
Erzbischof Desmond Tutu wollte nie nur ein gütiger Geistlicher sein. Er kämpfte gewaltlos, aber mit donnernden Worten gegen die Apartheid in Südafrika. Später setzte er sich dafür ein, den damaligen Schergen zu vergeben. Klare Worte der Kritik fand er stets für Missstände.
DPA, dpa
26.12.2021, 09:26
26.12.2021, 13:21
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Desmond Tutu war einer der Gründerväter des demokratischen Südafrikas. Als ein Anführer des gewaltlosen Widerstandes gegen die Apartheid bekämpfte er entschlossen Rassendiskriminierung und Ungerechtigkeit. Unbeugsam warb Tutu auch nach Überwindung des Apartheidregimes 1994 mit klaren Worten für Frieden und Versöhnung. Am zweiten Weihnachtstag starb der Friedensnobelpreisträger und frühere anglikanische Erzbischof im Alter von 90 Jahren, wie der südafrikanische Präsident Cyril Ramaphosa mitteilte. Er sei ein echter Patriot gewesen, meinte er.
Für eine moralisch-ethische Orientierung im neuen Südafrika mangelte es Tutu ebenso wenig an Charisma und Autorität wie seinem Freund Nelson Mandela, Friedensnobelpreisträger und erster schwarzer Präsident des Landes. Tutu brauchte aber kein politisches Amt, um gehört zu werden. Zu Apartheidzeiten verdammte er die systematische Diskriminierung der schwarzen Bevölkerungsmehrheit als unmoralisch und unvereinbar mit Gottes Wort. Im demokratischen Südafrika wurde er dann ein Verfechter für die Aussöhnung zwischen Schwarzen und Weissen: «Ohne Vergebung kann es keine Zukunft geben.»
Auf Bitten Mandelas übernahm er 1996 den Vorsitz der Wahrheits- und Versöhnungskommission, die die Verbrechen der Apartheidzeit aufarbeite und dabei Tutus Motto «Vergeben, aber nicht vergessen!» folgte. Millionen sahen am TV-Schirm Tutu in Tränen, als vor dem Gremium Apartheidopfer von ihren Leiden berichteten. Mehr als 20 000 Opfer, deren Angehörige und sonstige Zeugen sagten vor der Kommission aus, 3500 früheren Tätern wurde Verzicht auf Strafverfolgung gewährt.
Viele seiner schwarzen Mitbürger, vor allem die Familien der Opfer, fanden dies zu nachsichtig. So wurde zum Beispiel Mördern vergeben, solange sie zum öffentlichen Bekenntnis bereit waren. Doch Tutu war zutiefst überzeugt, dass eine Abrechnung seinem Land nur schaden könnte. Vergebung habe weniger mit christlichen Grundsätzen als mit Realpolitik zu tun, sagte er einmal. Tutu kämpfte für die Vision einer «Regenbogennation», in der Menschen aller Hautfarben und Ethnien friedlich zusammenleben.
Geboren wurde er am 7. Oktober 1931 in Klerksdorp bei Johannesburg. Für seinen Wunsch, Arzt zu werden, reichte das Geld der Eltern nicht. Tutu machte daher eine Lehrer-Ausbildung, gab den Beruf aber 1957 aus Protest gegen die diskriminierende Schulpolitik des Apartheidstaates auf. Danach wandte er sich der Theologie zu und wurde mit 30 Jahren zum anglikanischen Priester geweiht. Er studierte in London weiter und übernahm 1975 das Amt des Superintendenten von Johannesburg.
Dort wurde er schnell zu einem scharfen Kritiker des Apartheidstaates und forderte einen friedlichen Wandel. Während Mandela 27 Jahre lang in Haft war, wurde Tutu zur Stimme des Widerstands. Wegen seiner Forderung nach internationalen Sanktionen gegen die Regierung in Pretoria wurde ihm 1980 und 1981 der Pass entzogen.
1984 wurde dem streitbaren Gottesmann für seinen gewaltfreien Einsatz gegen die Apartheid der Friedensnobelpreis verliehen. In Oslo geisselte er das von der Apartheid ausgelöste «exorbitante menschliche Leid». Zwei Jahre später wurde Tutu dann Oberhaupt der zwei Millionen Anglikaner in Südafrika. Er hatte dieses Amt bis Herbst 1996 inne.
Die friedliche Wende zur Demokratie nannte er immer wieder ein Wunder, für das man dankbar sein müsse. Das hinderte ihn aber nicht, die Regierung und den regierenden Afrikanischen Nationalkongress (ANC) zu kritisieren, wenn Dinge seiner Meinung nach falsch liefen. Das kam in der jungen Demokratie noch einer Majestätsbeleidigung gleich. Tutu handelte sich viel Kritik ein und zog sich nach der Fussball-WM in Südafrika 2010 zunehmend aus der Öffentlichkeit zurück.
Politisch äusserte sich Tutu nur noch selten, doch dann deutlich. Seine Kritik an der Regierung des damaligen Präsidenten Jacob Zuma stoppte nicht. Als dem Dalai Lama 2014 offenbar auf Druck aus China ein Visum für einen Südafrika-Besuch verweigert wurde, zürnte er: «Ich schäme mich, diesen speichelleckerischen Haufen als meine Regierung zu bezeichnen.» Mit dem ihm eigenen Humor meinte er im Januar 1997, als bei ihm Prostatakrebs festgestellt wurde: «Es hätte schlimmer kommen können: Ich hätte mein Gedächtnis verlieren können!»
Gesundheitlich erholte er sich wieder, obwohl er ab 2015 mehrfach ins Krankenhaus musste. Als er sich 2016 in einer Videobotschaft an den Welt-Aids-Kongress wandte, schien er mager, aber ungebrochen scharfen Verstandes. Bereits deutlich gebrechlich präsentierte er sich im September 2019 noch einmal in der Öffentlichkeit, als ihm der britische Prinz Harry in Kapstadt seine Familie vorstellte und er dem kleinen Sohn Archie einen Kuss auf die Stirn hauchte.
Tutu hinterlässt seine Frau Leah, einen Sohn und drei Töchter. Seine letzten 24 Stunden würde er gerne mit seiner Familie verbringen, hatte er 2014 dem Magazin «Cicero» gesagt – und mit etwas Augenzwinkern hinzugefügt: «Ich werde ihnen sagen, dass sie auf sich aufpassen und füreinander sorgen sollen – besonders für ihre Mutter; andernfalls werde ich zurückkehren und sie heimsuchen!»