Mehr Handel, mehr Banden, mehr GewaltDrogenkartelle machen Europa zur Kokain-Drehscheibe
Von Annette Birschel und Bernhard Sprengel, dpa/uri
4.6.2022 - 17:59
2020 wurden in der EU 214,6 Tonnen Kokain beschlagnahmt – ein Rekord, der bereits ein Jahr später mit 240 Tonnen gebrochen worden ist. Dies dürfte nur ein Bruchteil der tatsächlich geschmuggelten Mengen sein.
Von Annette Birschel und Bernhard Sprengel, dpa/uri
04.06.2022, 17:59
05.06.2022, 09:18
Von Annette Birschel und Bernhard Sprengel, dpa/uri
Verpackt zwischen Bananen oder Ananas gelangen Drogen nach Europa. Zollfahnder beschlagnahmen Rekordmengen Kokain, doch es ist nur ein Bruchteil. Der Markt ändert sich. Mehr Handel, mehr Banden, mehr Gewalt.
Ein Rekord jagt den nächsten: 73 Tonnen Kokain sind im vergangenen Jahr allein im Hafen von Rotterdam sichergestellt worden – zum Verkaufswert von etwa fünf Milliarden Euro. In Hamburg waren es mehr als 19 Tonnen – so viel wie nie zuvor. Doch für die Fahnder sind diese Erfolge auch der bittere Beweis, dass Europa eine Drehscheibe des Kokainhandels geworden ist.
«Wir wissen, dass das nur die Spitze des Eisbergs ist», sagt Jan op gen Oorth von Europol in Den Haag der Deutschen Presse-Agentur.
«Sie sind wie legale Wirtschaftsunternehmen aufgestellt»
In Europa wird heute mehr Kokain angeboten als je zuvor, stellen Europol und die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht im neusten Bericht über den Kokain-Markt fest.
2020 waren in der EU 214,6 Tonnen beschlagnahmt worden. Ein Rekord, und der wurde 2021 übertroffen: Nach den vorläufigen Daten wurden 240 Tonnen sichergestellt. An der Spitze steht der Hafen von Antwerpen, gefolgt von Rotterdam und dann Spanien.
Für den Kokain-Boom gibt es viele Gründe. Die Produktion in Südamerika stieg nach Angaben von Europol enorm und dadurch auch der Schmuggel. Die Kartelle arbeiten professioneller.
Mexiko: Fünf Tonnen Kokain beschlagnahmt
Bei den Einsätzen der Marine war es zu Verfolgungsjagden gekommen.
02.06.2022
«Sie sind wie legale Wirtschaftsunternehmen aufgestellt», sagt Op gen Oorth. Die Drogenexperten schätzen, dass allein in Kolumbien jährlich 2000 Tonnen Kokain produziert werden. Mehr als 60 Prozent davon komme nach Europa.
Kriminelle Banden nutzen das «Gütesiegel EU»
Dabei wurden auch die Kontrollen verstärkt. «Aber sie reichen nicht aus angesichts der immensen Liefermengen», sagt der Europol-Sprecher. Und wenn die Fahnder dann doch einmal zwischen einer Ladung Bananen oder Ananas Pakete mit Kokain entdecken, dann ist das für die Drogenkartelle kaum mehr als Pech. «Die sagen sich: ‹Was soll's?›», sagt Op gen Oorth. «Diese Verluste nehmen sie in Kauf.»
Das Kokain ist längst nicht nur für Europäer bestimmt, sagt der Sprecher. «Die EU ist zur Drehscheibe geworden für Asien, den Nahen Osten und Australien.» Die kriminellen Banden nutzten das «Gütesiegel EU»: Ein Container aus der EU werde eben weniger schnell kontrolliert als einer aus Südamerika.
Vom lukrativen Geschäft wollen auch immer mehr Gruppen profitieren. Doch mehr Konkurrenz führt auch zu mehr Gewalt. Die internationale Bande um den marokkanischstämmigen Niederländer Ridouan Taghi zum Beispiel, dem derzeit in Amsterdam ein grosser Prozess gemacht wird, ist berüchtigt für extreme Gewalt. Auch der Mord am Kriminalreporter Peter R. de Vries in Amsterdam im vergangenen Jahr soll auf das Konto der Bande gehen.
Mehr Gewalt und strengere Kontrollen führen dazu, dass die Kartelle ausweichen auf andere Häfen in Kalabrien etwa oder in Hamburg.
Die Fahnder machen sich keine Illusionen
Der norddeutsche Zoll stellte 2021 die Rekordmenge von 19,1 Tonnen Kokain sicher, mehr als doppelt so viel wie im Vorjahr. Allein 16 Tonnen entdeckten die Fahnder im Februar 2021 in Containern aus Paraguay – die grösste je in Europa sichergestellte einzelne Kokain-Ladung mit einem Verkaufswert von mehr als zwei Milliarden Euro.
El Salvador: Drogenfund im Halbtaucherboot
Nach Angaben des salvadorianischen Sicherheitskabinetts haben die mehr als 800 Kilogramm Kokain einen geschätzten Verkaufswert von 2,25 Millionen US-Dollar. Möglicherweise waren die Drogen für den Transport nach Mexiko vorgesehen.
19.05.2022
Im Zuge der Ermittlungen wurden in den Niederlanden und Belgien insgesamt weitere gut 18 Tonnen gefunden. Und nicht nur das: Am Ende wurden auch die Täter ausfindig gemacht. Die internationale Bande wurde nach Angaben des Landeskriminalamts Niedersachsen im April zerschlagen. Nach Razzien in Deutschland, den Niederlanden, Belgien, Spanien und Paraguay wurden etwa 20 Verdächtige festgenommen – darunter auch der mutmassliche Drahtzieher.
Es war einer der grossen Erfolge europäischer Ermittler. Doch die Fahnder machen sich keine Illusionen. Die meisten Lieferungen aus Südamerika kommen trotz aller Bemühungen des Zolls vermutlich durch. Es ist kaum einzuschätzen, ob die Beschlagnahme der Rekordmengen 2021 überhaupt eine Auswirkung auf den globalen Handel hatte.