Glosse Dünnes Eis – die Titanic II kommt

Philipp Dahm

2.11.2018

Lässt sich vom Vorgänger-Schicksal nicht unterkriegen: Die Titanic II geht 2022 auf Jungfernfahrt.
Lässt sich vom Vorgänger-Schicksal nicht unterkriegen: Die Titanic II geht 2022 auf Jungfernfahrt.
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Anfangs mag es absurd tönen, dass jemand eine zweite Titanic bauen will. Doch wer tiefer geht, findet unter der Oberfläche den wahren Kern des Problems.

Wer hört, dass doch tatsächlich jemand eine Titanic II vom Stapel laufen lassen will, wird sich womöglich fragen: Welcher Leichtmatrose kommt denn auf so eine Schnapsidee? Und tatsächlich mutet es wie ausgemachtes Seemannsgarn an, was der britische «Telegraph» bereits im April 2012 titelt: «Australischer Milliardär will Titanic II bauen»..

Ein Name als Ei des Kolumbus

Clive Palmer heisst der Mann, der den Nachfolger jenes Schiffes erschaffen will, das 1912 mit 1’523 Menschen an Bord im dunklen Wasser des Nordatlantiks versunken ist. Ausgerechnet eine weitere Titanic. Ist Nomen nicht Omen? Ob der zweiten Titanic ein ähnliches Eisberg-Schicksal beschieden sei, wird Clive Palmer 100 Jahre nach dem Unglück gefragt. Seine Antwort besticht: «Wenn man ein Loch hineinmacht, sinkt sie natürlich.» Wer könnte dem Minen-Milliardär da widersprechen?

«Ich bin der Kööööönig der Welt» – Clive Palmer 2012 fast wie Leonardo DiCaprio.
«Ich bin der Kööööönig der Welt» – Clive Palmer 2012 fast wie Leonardo DiCaprio.
Keystone

Den ehrgeizigen Plan, dieses Schiff 2016 in See stechen zu lassen, kann Palmer nicht verwirklichen. Aber das Vorhaben ganz aufgeben, das ist Palmers Sache nicht. «Warum die Titanic bauen? Warum zum Mond fliegen? Warum spielen die Yankees gegen die Red Sox? Warum hat Christoph Kolumbus Amerika entdeckt?», fragt er 2013 trotzig – und liefert die Antwort gleich mit: «Weil sie es konnten und können – und wir können die Titanic bauen.»

Milliardär Clive Palmer, hier im September 2018 in Brisbane, Australien, hat eine Vision.
Milliardär Clive Palmer, hier im September 2018 in Brisbane, Australien, hat eine Vision.
Keystone

Hannibals Traumschiff

Wenn man bedenkt, dass Columbus Amerika richtigerweise eher wiedergefunden hat und Baseball nun wirklich nicht als Bestleistung der Menschheit betrachtet werden kann, bewegt sich der Titanic-Traum argumentativ auf dünnem Eis. Was nichts Schlechtes sein muss. Und Palmer hat Oberwasser: Wer den 64-Jährigen für seine Vision verspottet, läuft auf. «Die Titanic II wird ein Schiff des Friedens sein», prophezeit Palmer – man selbst setzt in Gedanken unweigerlich das Wörtchen «ewigen» hinzu und schauert.

Sowas kann doch nicht funktionieren: Man schliesst sich ja als Psychiater auch nicht mit anderen zusammen und firmiert dann unter «Praxisgemeinschaft Hannibal Lecter». 2015 scheint es dann auch so, als würde Palmers Projekt Schiffbruch erleiden: Mit chinesischen Vertragspartnern gibt es Streit, der erst 2017 unter freundlicher Vermittlung australischer Richter beigelegt werden kann. Nun ist Palmers Reederei wieder auf Kurs: Blue Star Line plant die Jungfernfahrt fürs Jahr 2022.

Sind Sie emotionslos? Kaltherzig? Grausam und hochgradig misantrophisch? Wir helfen: Ihre Praxisgemeinschaft Hannibal Lecter – rufen Sie nicht an. Wir finden Sie!
Sind Sie emotionslos? Kaltherzig? Grausam und hochgradig misantrophisch? Wir helfen: Ihre Praxisgemeinschaft Hannibal Lecter – rufen Sie nicht an. Wir finden Sie!
Keystone

Das Kreuzfahrtschiff mit dem Aberglauben

Wer dann mit an Bord ist, soll sich nicht sorgen müssen. Sich keine Gedanken darüber machen, den Gefahren der Seefahrt womöglich doch buchstäblich tiefgehender auf den Grund gehen zu müssen. Das weiss natürlich auch Geschäftsmann Palmer: Seine Titanic «wird als modernes Schiff mit allen Technologien entworfen, die sicherstellen, dass nichts passiert», wie er es formuliert: Und noch einmal Palmer: «Aber wenn man abergläubig wie Sie ist, weiss man nie, was passiert.»

Ein PR-Video der Blue Star Line.

Aberglaube ist es im Grunde aber auch, wenn man zu behaupten wagt, dass nichts passieren kann – sein Schiff für unsinkbar zu halten etwa. Dem Palmerschen Schiff muss natürlich nicht dasselbe passieren wie seinem Vorgänger. Doch der Knackpunkt ist der: Man weiss nicht, was vor dieser Titanic II liegt. Zumindest ist die Wahrscheinlichkeit für Kollisionen mit dem Eis gesunken, seit das Klima sozusagen seinen Kurs geändert hat.

Fazit: Niveau singt in die Tiefe – «Time to Say Goodbye»

Nochmals die Frage: Ist Nomen nun Omen? Clive Palmer ist es egal, so viel steht fest: Der Mann hat seinen Urzeit-Park in Australien «Palmersaurus» genannt – was also erwarten? Im Meeresgrunde genommen ist der Name doch bloss Schall und Schornsteinrauch, und die Titanic II ist bloss die Spitze des Eisberges, wenn die rettenden Beiboote doch Costa Concordia, Exxon Valdez und Dicotti heissen.

Die Bildergallerie: Auflösungserscheinungen am Titanic-Wrack

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