MexikoDutzende verschwinden auf dem «Todes-Highway»
AP/toko
29.6.2021 - 00:00
Zwischen Monterrey in Mexiko und der US-Grenze verliert sich die Spur von mittlerweile schon Dutzenden Menschen in diesem Jahr. Im Verdacht stehen Drogenkartelle, aber die Schicksale sind ungeklärt.
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29.06.2021, 00:00
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Sie verschwanden einfach. Auf dem Weg aus der Industriestadt Monterrey nach Nuevo Laredo an der Grenze zur USA wurden sie zuletzt gesehen, dem «Todes-Highway», wie ihn die mexikanischen Medien nennen. Dort verlor sich die Spur – von inzwischen Dutzenden Menschen in diesem Jahr.
Sie seien einfach weg, sagen Familienangehörige der Vermissten. Der Verdacht fällt auf Rauschgiftkartelle, und er weckt zugleich Erinnerungen an die schlimmsten Zeiten des Drogenkriegs von etwa 2006 bis 2012, als Angriffe der Banden auf die Öffentlichkeit auf der Tagesordnung standen.
«Sie greifen die Bevölkerung an»
Das Verschwinden und ein Blutbad an offenbar unbeteiligten Menschen in Reynosa in der vergangenen Woche liessen stark an die damaligen Attacken denken, bestätigt der Sicherheitsanalyst Alejandro Hope. In Reynosa fuhren Mitglieder rivalisierender Banden am 19. Juni durch die Stadt und feuerten auf Passanten. 15 Menschen wurden getötet. Solche Angriffe auf die Bevölkerung hätten allerdings nie völlig aufgehört, erklärt Hope. Nur die Rhetorik habe sich zwischenzeitlich geändert. Doch mittlerweile sei diese offizielle Version, dass die Banden sich nur gegenseitig fertigmachten, nun nicht mehr so oft zu hören.
Und sie verfängt auch nicht: «Es spielt sich nicht mehr zwischen den Kartellen ab, sie greifen die Bevölkerung an», sagt die Aktivistin Angelica Orozco von der Organisation Fundem. Sowohl im Fall Reynosa als auch bei den Verschwundenen auf dem «Todes-Highway» hiess es jetzt von Behördenseite schnell, dass die Opfer offenbar allesamt Unbeteiligte seien.
Einige Vermisste tauchten wieder auf
Unter denjenigen, die auf der Schnellstrasse nach Nuevo Laredo von der Bildfläche verschwanden, sollen auch eine Handvoll Amerikaner sein. So verlor sich die Spur von José de Jesús Gómez aus Texas am 3. Juni auf dem Weg in den vom Nordost-Kartell dominierten Ort. Und am Samstag veröffentlichte das FBI in Texas einen Suchaufruf für Gladys Perez Sánchez und ihre 16 und neun Jahre alten Kinder. Die Familie wurde zuletzt am 13. Juni auf dem Highway gesehen, als sie auf dem Nachhauseweg in die USA war.
Einige Vermisste tauchten wieder auf – lebend, aber offensichtlich brutal geschlagen. Alles, was aus ihnen herauszubekommen war, ist die Aussage, dass bewaffnete Männer sie gestoppt und ihre Autos gestohlen hätten.
Das Schicksal der anderen Verschwundenen bleibt rätselhaft. Die meisten von ihnen sind Einwohner des Bundesstaats Nuevo Leon, in dem Monterrey liegt.
Fundem warnte im Mai eindringlich vor den Gefahren auf der Strasse zwischen Monterrey und Nuevo Laredo. Bis dahin waren der Organisation etwa zehn Fälle bekannt, inzwischen sind es an die 50. Auch die Regierung von Nuevo Leon bestätigte bis Ende Mai bereits 14 Vermisste seit Beginn des Jahres, eine Reisewarnung folgte aber erst vor wenigen Tagen.
«Dein Mann ist verschwunden»
Die kam zu spät für den Texaner Gómez. Oder für Javier Toto Cagal, einen 36-jährigen Lkw-Fahrer. Der fünffache Vater verschwand am 3. Juni zusammen mit drei weiteren Angestellten seines Arbeitgebers. Sie waren in einem Auto Richtung Nuevo Laredo unterwegs.
«Bisher wissen wir noch gar nichts», beklagt Toto Cagals Frau Erma Fiscal Jara. «Die Firma rief erst am 5. Juni an, um mir zu sagen: «Dein Mann ist verschwunden». Und was die Behörden angeht, dort frage ich an und sie sagen: «Wir wissen nichts.»
Am Freitag kündigten die Staaten Nuevo Leon und Tamaulipas schliesslich ein gemeinsames Programm für mehr Sicherheit entlang des Highways an. Angehörige von Vermissten und Aktivisten sind sicher: Wäre es eher gekommen, hätte es möglicherweise Dutzende Leben retten können.
«Erst jetzt rückt die Nationalgarde zu Patrouillen auf dem Highway aus», sagt Karla Moreno, deren Mann Artemio seit dem 13. April vermisst wird. «Warum haben sie so lange gewartet?»
Wie vor zehn Jahren hätten Politik und Staatsanwaltschaft keine Antworten, erklärt Fundem-Aktivistin Orozco. «Heute, mehr als zehn Jahre nach den Vermisstenfällen von 2010 und 2011, können sie doch nicht weiter mit den gleichen Vorwänden aufwarten», sagt sie mit Blick auf Vorfälle in Tamaulipas, als Kartellmitglieder Passagiere aus Bussen zerrten und sie ermordeten oder bis zum Tod gegeneinander kämpfen liessen.
«Aber sie nutzen noch immer die gleichen Sätze», beklagt Orozco mit Blick auf die Behörden. Dabei hätten sie in den vergangenen Jahren Institutionen stärken und Massnahmen im Kampf gegen die Drogenkriminalität ergreifen müssen. «Aber es ist die gleiche alte Geschichte von Behörden, die tatenlos bleiben.»
Der Protest der Angehörigen hält derweil an, zuletzt gingen sie am Donnerstag in Monterrey auf die Strasse. Sie wollen Antworten.