«Ich bin ein Amerikaner» Fremd in Brasilien: USA schieben Adoptierten nach 30 Jahren ab

Peter Prengaman, AP

6.6.2019

Paul Fernando Schreiner ist isoliert, spricht kein Portugiesisch, und die meisten hier in Niterói beherrschen keine andere Sprache.
Paul Fernando Schreiner ist isoliert, spricht kein Portugiesisch, und die meisten hier in Niterói beherrschen keine andere Sprache.
Bild: Leo Correa/AP/dpa

Eine US-Familie holte ihn aus einem brasilianischen Waisenhaus, 30 Jahre nach seiner Adoption schicken ihn die USA nach Brasilien zurück. Dort lebt er nun ohne Pass – ein Beispiel für das immer härtere Vorgehen der Trump-Regierung.

Paul Fernando Schreiner geht in seinem Zimmer in Niterói auf und ab, geplagt von Moskitos klatscht er auf seine unbedeckten Arme und den Hals. Die Luft steht, ist schwer und feucht in dieser Nachbarstadt von Rio de Janeiro – was für ein Unterschied zur trockenen Hitze in Phoenix, wo Schreiner zuletzt lebte. Das war, bevor er nach Brasilien abgeschoben wurde, nach 30 Jahren Aufenthalt und Verwurzelung in den USA.

Schreiner ist isoliert, spricht kein Portugiesisch, und die meisten hier in Niterói beherrschen keine andere Sprache. Aber das ist nicht das einzige Problem. Der 36-Jährige fühlt sich einfach fremd in Brasilien, nichts hier ist ihm vertraut, vom Essen bis zur kollektiven Begeisterung für den Fussballsport.

Jeder Tag ist für Schreiner ein Kampf gegen Langeweile, Einsamkeit, Verzweiflung und die Angst, dass es vielleicht immer so weiter gehen wird. «Ich bin alles andere als ein Brasilianer», sagt er. «Ich bin ein Amerikaner.»

Die US-Regierung widerspricht – eines von vielen Zeichen für die zunehmend harte Linie, die Washington in Sachen Immigration fährt, seit Donald Trump im Weissen Haus residiert. Schreiners Fall ist besonders krass: Er wurde abgeschoben, obwohl ihn eine US-amerikanische Familie legal adoptiert hatte, als er fünf Jahre alt war. Sie holten ihn aus einem Waisenhaus in einem Armenviertel von Rio zu sich, auf eine Farm im Bundesstaat Nebraska.

Die dortigen Behörden stellten ihm auch eine Geburtsurkunde aus, mit einem willkürlichen Datum. Schreiner erhielt auch eine Sozialversicherungsnummer und zahlte später, als Berufstätiger, seine Steuern in den USA.

Er lebte dort drei Jahrzehnte, wurde aber nie amerikanischer Staatsbürger. Seine Adoptiveltern wollten ihm nicht vorgreifen, sondern lieber warten, bis er sich selber bewusst für diesen Schritt entscheidet. Doch dann verstiess ihr Adoptivsohn gegen das Gesetz, und das änderte schliesslich alles.

Schreiner besitzt keinen Pass

Schreiner besitzt auch keinen brasilianischen Pass, obwohl er aus Brasilien stammt. Und ob er ihn jemals erhalten wird, steht in den Sternen. Seine frühe Kindheit sei schon hart genug gewesen, «er sollte nicht ein zweites Mal leiden müssen», sagte seine Adoptivmutter Rosanna Schreiner in Nebraska unter Tränen.

Nach Schätzungen von Adoptionsorganisationen könnten sich in den USA bis zu 75'000 Menschen in einer ähnlichen Ausgangslage befinden. Sie seien wie Schreiner adoptiert, aber ohne eigene US-Staatsbürgerschaft – oft deshalb, weil sie fälschlicherweise glaubten, dass sie diese schon besässen.

Seit 2000 gibt ein Gesetz, das aus dem Ausland adoptierten Kindern automatisch einen US-Pass zuspricht. Aber im Fall von Adoptierten, die sich damals bereits in den USA befanden, galt es nur für jene unter 18 Jahren. Schreiner war sechs Wochen zu alt.

Normalerweise hätte er zwar auf der Basis seiner Greencard – einer dauerhaften Aufenthaltsgenehmigung – die US-Staatsbürgerschaft beantragen können. Aber dieser Weg war ihm verbaut, weil er im Alter von 21 Jahren wegen Geschlechtsverkehrs mit einer 14-Jährigen verurteilt wurde.

Dieses undatierte Bild zeigt das Adoptivkind Schreiner mit seiner Familie.
Dieses undatierte Bild zeigt das Adoptivkind Schreiner mit seiner Familie.
Bild: Schreiner family/dpa/AP

Nach fast acht Jahren Haft kam Schreiner frei und baute sich ein neues Leben in Arizona auf. Er arbeitete unter anderem als Zimmermann und entwickelte eine Freundschaft mit einem Baptisten-Pfarrer, Jason Young. «Er gewöhnte sich an das Leben nach dem Gefängnis. Dann erhielt ich eines Tages einen Anruf, dass er wieder im Gefängnis ist, diesmal durch ICE», schildert der Geistliche. ICE ist das Kürzel für die US-Behörde für die Durchsetzung der Einwanderungsbestimmungen. «Meine Reaktion war: Das kann doch nicht wahr sein.»

Schreiner wurde am 23. Oktober 2017 aufgegriffen, um fünf Uhr morgens, als er zur Arbeit fahren wollte. Er hatte zwar gewusst, dass seine Probleme mit dem Gesetz 2004 eine Abschiebungsanordnung nach sich gezogen hatten. Aber unter den damaligen Regierungen bedeutete das nicht zwangsläufig eine Vollstreckung.

«Er sollte nicht ein zweites Mal leiden müssen», sagt seine Adoptivmutter Rosanna Schreiner.
«Er sollte nicht ein zweites Mal leiden müssen», sagt seine Adoptivmutter Rosanna Schreiner.
Bild: Nati Harnik/AP/dpa

Brasilien verweigert Papiere

Schreiner verbrachte acht Monate im Gewahrsam für Einwanderer. Brasilien weigerte sich, die nötigen Reisepapiere für seine Abschiebung auszustellen, pochte darauf, dass laut brasilianischen Gesetzen im Ausland adoptierten Kindern die gleichen Rechte zustünden wie jenen, die bei ihren biologischen Eltern lebten. Papiere für Schreiner werde es nur geben, wenn er selber den klaren Wunsch habe, nach Brasilien zurückzukehren.

Nach langem Hin und Her wurde er dann doch abgeschoben, mit einer «Nationalitätsurkunde» als einzigem Dokument. Das brasilianische Konsulat in Los Angeles hatte es auf Druck der US-Behörden ausgestellt, nur mit «Fernando» als Namen und dem seinerzeit bei der Adoption in den USA ausgewählten Geburtsdatum.

Bisher ist es Schreiner nicht gelungen, eine brasilianische Geburtsurkunde, einen Personalausweis und eine Steuernummer zu erhalten, die er benötigt, um arbeiten zu können. Die «Nationalitätsurkunde» auf den Namen Fernando reichte den brasilianischen Behörden nicht als Grundlage aus, und es existiert kein offizielles Papier mit seinem tatsächlichen Geburtsdatum – nichts Ungewöhnliches bei armen Brasilianern.

Schreiner würde gern nach Kanada übersiedeln, wo man seine Sprache spricht und er näher bei seiner Familie wäre. Aber dazu braucht er einen Pass. «Ich verstehe nicht, dass jemand, der so lange in den USA gelebt hat, derart im Stich gelassen werden kann», sagt Segisfredo Silva Vanderlai, ein Pastor, bei dem Schreiner wohnt. «Er wurde weggeworfen wie menschlicher Abfall.»


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