Tansania Junge Massai engagieren sich für Löwenschutz

AP

15.10.2019

Afrikaweit ist die Zahl von Löwen innerhalb von zwei Jahrzehnten um mehr als 40 Prozent zurückgegangen.
Afrikaweit ist die Zahl von Löwen innerhalb von zwei Jahrzehnten um mehr als 40 Prozent zurückgegangen.
Bild: Jerome Delay/AP/dpa

Löwen reissen Vieh und werden deshalb von dessen Besitzern selbst gejagt. Doch nun hat ein Umdenken eingesetzt, das dieses ewige Töten beenden könnte. Um ein Aussterben der Art zu verhindern, gehen vor allem junge Leute in der Savanne vielversprechende neue Wege.

Saitoti Petro läuft mit vier anderen jungen Männern vom Hirtenvolk der Maasai Patrouille. Unter seinem dicken Umhang trägt der hochgewachsene 29-Jährige eine scharfe Machete. Noch vor ein paar Jahren hätten Männer in Petros Alter vermutlich Löwen nachgestellt, um sie zu erlegen – häufig, um Vieh zu rächen, das die Grosskatzen gefressen hatten. Doch inzwischen besteht das Problem darin, dass es zu wenige Löwen gibt, nicht zu viele, wie Petro erläutert. «Es wäre eine Schande, wenn wir sie alle töten würden», sagt er. «Es wäre ein grosser Verlust, wenn unsere Kinder später nie einmal Löwen sehen.»

Deshalb hat er sich einem Projekt zum Löwenschutz angeschlossen. Es zielt darauf ab, die Sicherheit von Haustieren zu verbessern, die andernfalls vielleicht von Löwen gerissen würden. Petro ist einer von mehr als 50 Löwenbeobachtern aus Gemeinden der Massai-Steppe, die täglich Patrouille laufen. Sie helfen Hirten, deren Vieh auf der Weide zu schützen.

Experiment für das Überleben von Löwen

Unterstützt und ausgebildet werden sie von einer kleinen tansanischen gemeinnützigen Organisation, African People and Wildlife. Im Verlauf der vergangenen zehn Jahre hat diese Organisation zudem mehr als Tausend Familien beim Bau sicherer moderner Gehege geholfen. Diese bestehen aus lebenden Akazienbäumen und Maschendrahtzäunen, die dem Vieh nachts Schutz bieten.

Löwen bedrohen das Vieh der auf dem Land lebenden Bevölkerung.
Löwen bedrohen das Vieh der auf dem Land lebenden Bevölkerung.
Bild: Jerome Delay/AP

Das Engagement ist eine Art grosses Experiment. Das Überleben von Löwen – und vieler anderer bedrohter Tierarten der Savanne, von Geparden über Giraffen bis hin zu Elefanten – hängt vermutlich davon ab, ob ein Weg gefunden wird, wie Menschen, Vieh und Wildtiere das Land weiterhin gemeinsam nutzen können.

Afrikaweit ist die Zahl von Löwen innerhalb von zwei Jahrzehnten um mehr als 40 Prozent zurückgegangen, wie aus 2015 veröffentlichten Daten der Weltnaturschutzunion IUCN hervorgeht. Löwen gelten als gefährdete Art. Aus 94 Prozent der Gebiete in Afrika, die sie einst bevölkerten, sind sie verschwunden. Hauptursache für ihren Rückzug ist, dass ihr angestammtes Grasland in Anbauflächen und Städte umgewandelt wurde. Der Verlust ihres Lebensraums ist für Wildtiere in Afrika und weltweit die grösste Gefahr. Doch auf offenen Savannen, wo Löwen noch umherstreifen, kommen Wilderei und Tötungen als Vergeltung für ihre Beutezüge gleich an nächster Stelle.

Würdige Gegner in der Kultur der Massai

Löwen gelten in der Kultur der Massai als würdige Gegner. Jeder, der mehr als neun von ihnen etwas zuleide tut, wird nach althergebrachtem Glauben verflucht. Wer aber den Tod einer kostbaren Kuh rächt, gewinnt an Respekt, ganz wie bei einem Duell, das ein getötetes Familienmitglied rächen soll. Doch was, wenn der auslösende Konflikt vermieden werden könnte? «Unsere Ältesten haben die Löwen getötet und fast ausgelöscht», sagt Petro. «Wenn wir keine Umerziehung haben, werden sie aussterben.»

Eine Gruppe von Löwen im Tarangire Nation Park.
Eine Gruppe von Löwen im Tarangire Nation Park.
Bild: Jerome Delay/AP

In den meisten Weltregionen ist das Zusammenleben von Menschen und grossen Raubtieren schwierig. Doch auf den Hochebenen Tansanias gibt es seit ewigen Zeiten eine Koexistenz von Hirten und Wildtieren: Sie lassen ihre Kühe, Ziegen und Schafe auf denselben Savannen grasen, auf denen Zebras, Büffel und Giraffen nach Gras und Blättern suchen – und wo Löwen, Leoparden und Hyänen diesen Tieren nachstellen. Es ist einer der wenigen Orte der Erde, wo eine Koexistenz noch möglich sein könnte, doch das Gleichgewicht ist gefährdet. Und was in Tansania passiert, ist mitentscheidend für das Schicksal der Art: In dem Land lebt mehr als ein Drittel der rund 22 500 verbliebenen Afrikanischen Löwen, wie aus Zahlen von Forschern der Universität von Oxford hervorgeht.

Hinweise auf Wirksamkeit

Hinweise deuten darauf hin, dass jüngste Schritte zur Entschärfung des Konflikts wirken. 2005 ereigneten sich im 3000-Einwohner-Dorf Loibor Siret auf der Massai-Steppe monatlich etwa drei Wildtierangriffe auf Vieh. 2017 war die Zahl auf etwa einen Angriff pro Monat zurückgegangen. Die grösste Veränderung in dem Zeitraum war, dass etwa 90 Haushalte im Dorf verstärkte Gehege gebaut hatten. Sie sind viel effektiver bei der Abwehr von Raubtieren als die älteren Einfriedungen aus ineinander verflochtenen Dornenbüschen.

Obwohl der Schutz von Tieren auf der Weide eine grössere Herausforderung ist, konnten die Löwenbeobachter nach Aufzeichnungen von African People and Wildlife 2017 dazu beitragen, 14 Situationen zu entschärfen, die sonst möglicherweise zu Löwenjagden geführt hätten. In einem Forschungsgebiet der gemeinnützigen Organisation Tarangire Lion Project erreichte die Zahl der monatlich beobachteten Löwen im Herbst 2011 mit etwa 120 einen Tiefpunkt – 2004 waren es noch rund 220 gewesen. Doch ab 2012 erholte sich die Population, bis 2015 waren es wieder mehr als 160 Löwen.

Stammesangehörige der Massai in Loibor Siret.
Stammesangehörige der Massai in Loibor Siret.
Bild: Jerome Delay/AP

Wildtierreservate reichen zuweilen für die Lösung des Problems nicht aus, zumindest nicht für Arten, die viel Raum benötigen. Innerhalb des tansanischen Nationalparks Tarangire schlafen Löwen an Flussufern oder machen es sich auf Ästen bequem – sie sind schliesslich Katzen. Häufig lassen sie sich dabei von den zahlreich vorbeikommenden Touristen in offenen Safari-Fahrzeugen nicht stören. Hier sind sie weitgehend sicher. Doch das geschützte Gebiet im Park ist nur ein Teil der Fläche, die diese Löwen und ihre Beute beanspruchen. Grosse Wandertiere streifen ausgiebig umher, und auf den ausgedörrten Savannen Ostafrikas folgen sie meist dem Regen.

Manche Bewohner der Dörfer sagen, sie seien über Petros Engagement nicht erfreut. Doch die Einstellungen verändern sich allmählich. Petro Lengima Lorkuta, der 69 Jahre alte Vater von Saitoti Petro, tötete seinen ersten Löwen mit 25. Er zielte mit einem Speer nach ihm, nachdem die Grosskatze seinen grössten Stier angegriffen hatte. Wer damals einen Löwen tötete, habe gezeigt, dass er ein starker Krieger sei, erklärt er.

Doch seit die Grossfamilie vor vier Jahren in ein neues Gehöft umgezogen sei und ein verstärktes Gehege errichtet habe, sei kein Vieh mehr von Raubtieren gerissen worden. «Der moderne Zaun ist sehr nützlich», sagt er. «Jetzt sehe ich gerne Löwen», nur nicht allzu dicht am Haus. Und er unterstützt den Einsatz seines Sohnes, Nachbarn zu zeigen, wie sie Konflikte mit Raubtieren vermeiden können.


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