NahrungsmittelKlimawandel stellt Produktion von Milch, Kaffee und Co auf den Kopf
SDA
16.4.2021 - 11:26
Nahrungsmittelkonzerne wie Nestlé und Emmi gelten als Klimasünder. Sie leiden zugleich aber auch unter dem Klimwandel, weil dieser Kaffee- und Getreidepflanzen ebenso zu schaffen macht wie Milchkühen. Die Produktion muss neu gedacht werden.
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16.04.2021, 11:26
16.04.2021, 11:48
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Laut einer Uno-Studie ist die globale Nahrungsmittelproduktion inklusive Verpackung und Transport für über einen Drittel der Treibhausgas-Emissionen verantwortlich. Dass Handlungsbedarf besteht, ist inzwischen in den Chefetagen der Nahrungsmittelkonzerne angekommen. Nestlé hat sich ebenso wie Emmi auf die Fahne geschrieben, bis 2050 netto keine Treibhausgase mehr auszustossen.
«Hier hinterherzuhinken, wird hohe Kosten nach sich ziehen», sagte Nestlé-Chef Mark Schneider anlässlich der Bilanzmedienkonferenz vom Februar. Der Grund: Wer nicht mitzieht, dem drohen verschärfte Regelungen, höhere Steuern sowie ein schwieriger Stand bei Konsumenten, Aktionären und Mitarbeitern.
Kurzfristig spielt also vor allem der Druck von aussen eine grosse Rolle. Gerade Nahrungsmittelunternehmen drohen langfristig aber auch sehr direkte Folgen des Klimawandels für ihre Rohstoffbeschaffung: Extreme Wetterereignisse schlagen ebenso auf die Landwirtschaft durch wie höhere Temperaturen.
Dürren, Waldbrände und Hitze
«Bereits heute sehen wir gewisse Auswirkungen», sagt Benjamin Ware, Leiter verantwortungsvolle Beschaffung bei Nestlé: Beispielsweise schmälern extreme Dürren in Brasilien die Kaffeeernte.
Auch Milchverarbeiterin Emmi sieht sich mit ersten Folgen konfrontiert: «Konkret spüren wir es beim Wasser», sagt Gerold Schatt, Leiter Nachhaltigkeit beim Zentralschweizer Unternehmen.
In Tunesien etwa kam es zuletzt häufiger vor, dass die Region die Wasserversorgung für das Unternehmen gestoppt hat, weil es nicht gleichzeitig für das Werk und die für die Region wichtige Hotellerie gereicht hat. «Auch die Waldbrände in Kalifornien sind eine ständige Bedrohung», so Schatt weiter. Aus Angst vor Funkenschlag werde in Trockenperioden teilweise einfach der Strom abgeschaltet.
Nicht immer sind die Auswirkungen aber negativ: Durch die Erwärmung werde auch die Vegetationsperiode länger, so Schatt. So gebe es auch Gürtel auf der Erde, wo etwa die Milchproduktion gesteigert werden könne. In der Schweiz allerdings machen Hitzewellen wie etwa diejenige 2018 den Kühen zu schaffen. «Bei 35 bis 38 Grad fühlt sich die Kuh auch nicht mehr wohl und die Milchleistung geht zurück», so Schatt.
Ernteerträge unter Druck
Und das ist erst der Anfang. «Der Klimawandel und der Temperaturanstieg haben einen direkten Einfluss darauf, wie Bauern Rohstoffe anbauen», sagt Ware. Grundsätzlich ergäben sich daraus zwei Folgen: Der Anbau verschiebe sich. Kaffeepflanzen beispielsweise wachsen auf einer bestimmten Höhe. Wenn es wärmer wird, verschiebt sich das für die Sträucher günstige Anbaugebiet. «Für die Bauern ist das kritisch: Sie können ihr Land nicht einfach verschieben», so Ware.
Dort, wo die Verlagerung nicht möglich sei, würden die Ernteerträge zurückgehen. «In Indien wird Schätzungen zufolge bis 2050 die Hälfte der Reisproduktion verschwinden, weil es nicht genug Wasser gibt.» Und in den USA – einem der grössten Getreideproduzenten – könnte die Produktion um 20 bis 30 Prozent zurückgehen.
In der Folge muss sich die Nahrungsmittelindustrie auf höhere Kosten für die Produktion sowie zunehmende Schwankungen in der Verfügbarkeit und den Preisen von Rohstoffen einstellen.
Produktion neu denken
Also was tun? «Ich glaube nicht, dass es am Ende der richtige Weg ist, die Produktionsverschiebung einfach zuzulassen», sagt Ware. «Damit verschieben wir das Problem nur auf später.» Man müsse nun handeln und das landwirtschaftliche Produktionssystem neu denken.
Das heisst: Schluss mit Monokulturen und maximaler Bodenausbeutung. Beim Kaffeeanbau etwa gelte es, auf robustere Kaffeebäume zu setzen und die Arten zu diversifizieren, erklärt Ware. Zudem brauche es Schatten für die Pflanzen, etwa indem Bäume zwischen die Sträucher gepflanzt würden. Besonders gut funktioniert das etwa, wenn man Kokosnussbäume mit Kakaopflanzen gemeinsam anbaut. Und schliesslich müsse man den Einsatz von Chemikalien verringern und auf natürlichere Dünger umstellen.
Solche Massnahmen lassen sich unter dem Schlagwort «regenerative Landwirtschaft» zusammenfassen. Das Gute daran: Die Massnahmen helfen nicht nur, die Auswirkungen des Klimawandels einzudämmen, sie sind zugleich auch umweltfreundlicher. «70 Prozent unseres CO2-Fussabdrucks stammen aus der Landwirtschaft und der Rohstoffförderung», sagt Ware. «Hier müssen wir handeln.»
Gemeinsam gegen Klimawandel
Doch die Umsetzung ist nicht immer einfach. Denn die Konzerne betreiben selbst meist keine Farmen und sind hier auf die Zusammenarbeit mit den Landwirten angewiesen. Für die Bauern bedeuten solche Massnahmen aber häufig Einkommenseinbussen: Bäume als Schattenspender beispielsweise verringern den Platz für ertragbringende Pflanzen. Nestlé setzt daher auf verschiedene Anreizsysteme: Prämien, längere Vertragsdauern, technische Unterstützung, Co-Finanzierung.
Emmi stellt derweil bei den Bauern bereits ein Umdenken fest: «Noch vor zwei Jahren war es schwierig, über das Thema zu reden», sagt Schatt. «Inzwischen sind wir auf einer ganz anderen Flughöhe.» Das Bewusstsein sei da, dass man etwas machen müsse. «Aber das Thema Finanzierung ist definitiv noch im Raum.»
Auch innerhalb der eigenen Produktion können die Konzerne handeln: Sei es durch einen sparsameren Wasserverbrauch, erneuerbare Energien in der Produktion und im Transport oder im Kampf gegen Foodwaste.
«Wir haben noch einen weiten Weg vor uns», bilanziert Ware. Den Klimawandel könne man nicht alleine angehen, sondern nur gemeinsam. So spannt Nestlé mit anderen Nahrungsmittelkonzernen zusammen, um beispielsweise den Einfluss als Einkäufer zu nutzen und Quoten für die Abnahme von Rohstoffen aus regenerativer Landwirtschaft zu vereinbaren. Insgesamt zeigt sich Ware optimistisch: «Das wird kein einfacher Weg, aber alle haben sich auf diese Reise begeben.»