Ein Besucher des Bürgerfestes zum Tag der Deutschen Einheit trägt auf dem Domplatz eine schwarz-rot-goldene Mütze.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (M) im Gespräch mit Besuchern des Bürgerfestes.
Bundestagspräsidentin Bärbel Bas spricht zum Festakt anlässlich der Einheitsfeierlichkeiten in Erfurt.
Bundeskanzler Olaf Scholz spricht beim Bürgerempfang in Erfurt mit einer Besucherin.
Zahlreiche Besucherinnen und Besucher sind zum Bürgerfest nach Erfurt gekommen.
Krieg und Krisen bestimmten Einheitsfeier in Erfurt - Gallery
Ein Besucher des Bürgerfestes zum Tag der Deutschen Einheit trägt auf dem Domplatz eine schwarz-rot-goldene Mütze.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (M) im Gespräch mit Besuchern des Bürgerfestes.
Bundestagspräsidentin Bärbel Bas spricht zum Festakt anlässlich der Einheitsfeierlichkeiten in Erfurt.
Bundeskanzler Olaf Scholz spricht beim Bürgerempfang in Erfurt mit einer Besucherin.
Zahlreiche Besucherinnen und Besucher sind zum Bürgerfest nach Erfurt gekommen.
Seit 32 Jahren sind die Deutschen wieder ein Volk. Das sollte nach zwei Jahren mit Corona-Einschränkungen in Erfurt gross gefeiert werden. Zehntausende kamen, aber so richtig ausgelassen ist die Stimmung nicht.
Wenig Euphorie, eher sorgenvolle Töne: Es ist der Tag der Deutschen Einheit, doch die Furcht vor Spaltung, Krieg und Krise schwingt mit bei der zentralen Feier in Erfurt.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), noch blass und hager nach seiner Corona-Quarantäne, bemühte noch einmal Alt-Kanzler Willy Brandt mit dem Satz vom Zusammenwachsen des Zusammengehörenden – dann sprach er über die Folgen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine und versuchte, die Energiesorgen der Menschen zu dämpfen. Beides lastet auf dem Land und der Politik 32 Jahre nach der Vereinigung.
Die Reden betonten wie üblich an diesem Feiertag Gemeinsamkeit und Solidarität, doch klangen eben auch Bedenken über ein erneutes Auseinanderdriften an: «Ob Corona-Pandemie oder Energieknappheit – die Krisen der Zeit zeigen, was vorher schon nicht gestimmt hat, und rücken die bestehenden Differenzen ins Licht der Scheinwerfer», sagte Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow. Wirtschaftsstruktur, Arbeitswelt und Lebensweise ständen vor Veränderungen.
Zahlreiche Demonstrationen
«Das löst bei vielen Menschen Ängste und Sorgen aus», sagte der Linken-Politiker, der derzeit auch Bundesratspräsident ist. Dabei hatte er wohl auch die Demonstrationen im Blick, die auch am Tag der Deutschen Einheit vielerorts in Ostdeutschland geplant waren. In Erfurt selbst galt höchste Sicherheitsstufe, da war mit Protesten kaum zu rechnen.
Aber allein im thüringischen Gera versammelten sich mehrere Tausend Menschen zu Aktionen und Demonstrationen. Nach ersten Angaben der Polizei gingen rund 10’000 Menschen auf die Strasse. Teilnehmer protestierten lautstark mit Trillerpfeifen und Trommeln gegen die aktuelle Politik der Bundesregierung, die Inflation und den Krieg in der Ukraine. Am Abend zog ein Protestmarsch durch die Stadt. Teilnehmer forderten dabei auch ein Ende der Sanktionen gegen Russland.
Unter dem Motto «Den Rechten die Einheit vermiesen» hatten sich zuvor am Nachmittag in Gera auf dem Theaterplatz laut Polizei etwa 370 Menschen versammelt. Auch in anderen Städte in Ostdeutschland wie in Plauen in Sachsen und in Magdeburg in Sachsen-Anhalt waren für Montag Demonstrationen und Aktionen angemeldet worden. An dem Marsch durch die Stadt Gera nahm Björn Höcke, Partei- und Fraktionschef der AfD in Thüringen, teil. Die AfD wird in Thüringen vom Verfassungsschutz beobachtet.
Bas sieht Zusammenhalt in Gefahr
Dass dies auch im Westen des Landes mit Sorge gesehen wird, machte Bundestagspräsidentin Bärbel Bas deutlich. Sie, die Westdeutsche, die den Mauerfall nach eigenen Worten in Duisburg erlebt hat, hielt die Festrede im Erfurter Theater. Und sie hatte eine zentrale Botschaft: in der Krise zusammenhalten, sich nicht angiften, Streit demokratisch austragen. «Wie wir miteinander umgehen, entscheidet wesentlich über die Stärke unseres Landes», sagte die SPD-Politikerin.
Sie sprach von Spaltungsversuchen, Fake News, Hass und Hetze, die diesen Zusammenhalt in Gefahr brächten. «Es ist notwendig, dass wir miteinander reden, gerade über Reizthemen wie Impfpflicht oder Waffenlieferungen», sagte Bas. Demokratischer Streit führe zu Lösungen. «Doch Verständnis und Respekt können nicht in einer vergifteten Atmosphäre gedeihen.» Sie richtete einen einfachen Appell an die Bürger: «Ich wünsche mir weniger Wut und mehr Respekt, weniger Rechthaberei und mehr Neugier, weniger Vorurteile und mehr Empathie.»
Ob das die Unzufriedenen, die am System Zweifelnden erreicht? Viele Redner in Erfurt beschworen das Erreichte, die grossen Errungenschaften der Einheit, die sanierten Innenstädte und die Freiheit. Aber es gibt eben auch Grund für Frust nach drei Jahrzehnten Ost-West-Angleichung – oder Nichtangleichung.
Ostländer-Chefs warnen vor Abstieg
Ostdeutsche Ministerpräsidenten sehen die Gefahr, dass die Erfolge beim Aufbau Ost durch die Energiekrise in Gefahr geraten. Auch Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) und Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) wiesen auf die Sorgen vieler Ostdeutscher vor dem Verlust des mühsam Aufgebauten hin. Viele Ostdeutsche hätten die grossen Strukturbrüche mit Massenarbeitslosigkeit in den 1990er Jahren noch sehr genau vor Augen, sagte Woidke der «Rheinischen Post».
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) versuchte, den Blick nach vorn zu richten. Es sei an der Zeit, die angebrochene Zeitenwende gemeinsam zu gestalten, sagte er dem RND. «Dieser Krieg wird ein Einschnitt sein, der als ein gemeinsames bitteres Erlebnis in das kollektive Gedächtnis der Deutschen eingehen wird.»
Menschen strömen nach Erfurt
Traditionell richtet das Bundesland die zentrale Einheitsfeier aus, das den Präsidenten der Länderkammer stellt. Thüringens Landeshauptstadt Erfurt hatte sich auf die zentrale Einheitsfeier über Monate vorbereitet – historische Gebäude in der 1280 Jahre alten Stadt sind von Künstlern illuminiert, an fast jeder Ecke gibt es Livemusik, auf Bühnen treten Bands und Chöre auf, in den Pavillons der 16 Bundesländer drängen sich die Menschen bei Mitmach-Angeboten.
Nach einem regnerischen Start des dreitägigen Bürgerfests wurde der Zustrom bis zum Montag immer grösser: Ramelow sprach von 90.000 Besuchern allein bis Sonntag. Zehntausende begehen in Erfurt die Einheit – nicht als Jubelfeier, aber als Fest.