Neurobiologie Zürcher Forscher: Kummer wird über das Blut vererbt

DPA

16.10.2020 - 09:35

Traumatisierte irakische Kinder. Die Gefahr ist gross, dass sie später nicht nur psychische, sondern auch körperliche Gebrechen entwickeln – und diese übers Blut an ihre Nachkommen vererben. Das haben Forscher von der Uni Zürich an Mäusen und Menschen nachgewiesen. (Archivbild)
Traumatisierte irakische Kinder. Die Gefahr ist gross, dass sie später nicht nur psychische, sondern auch körperliche Gebrechen entwickeln – und diese übers Blut an ihre Nachkommen vererben. Das haben Forscher von der Uni Zürich an Mäusen und Menschen nachgewiesen. (Archivbild)
Source: Keystone/AP/YESICA FISCH

Kinder von traumatisierten Menschen leiden oft unter Krankheiten. Das liegt an der Erziehung – denkt man als Laie. Zürcher Hirnforscher haben nun aber herausgefunden, dass die gesundheitlichen Beeinträchtigungen übers Blut vererbt werden. 

Im Mausmodell wies ein Team des Instituts für Hirnforschung der Universität Zürich (UZH) nach, dass sich frühe traumatische Erlebnisse auf die Blutzusammensetzung auswirkten. Sie fanden zahlreiche signifikante Unterschiede zwischen dem Blut von traumatisierten Tieren und einer normal aufgewachsenen Kontrollgruppe.

Besonders auffällig waren Veränderungen im Fettstoffwechsel. Und diese fanden sich auch bei den Nachkommen der betroffenen Tiere. Dadurch entwickelten auch deren Nachkommen die Symptome eines Traumas – «ein eindrücklicher Beweis dafür, dass das Blut Stressbotschaften an die Keimzellen weiterleitet», heisst es in einer Mitteilung der UZH vom Freitag.

Die Forschenden untersuchten daraufhin, ob es ähnliche Effekte auch bei Menschen gibt: Hierzu analysierten sie in einem pakistanischen SOS-Kinderdorf Blut und Speichel von 25 Kindern, deren Väter gestorben waren und die getrennt von der Mutter aufwuchsen. Im Vergleich zu Kindern aus intakten Familien waren bei diesen Waisen ebenfalls mehrere Faktoren des Fettstoffwechsels erhöht.

Weitergabe via Spermien

«Die traumatischen Erfahrungen dieser Kinder sind sehr gut vergleichbar mit unserem Mausmodell und ihr Metabolismus weist ähnliche Blutveränderungen auf», so die Neuroepigenetik-Professorin Isabelle Mansuy vom Hirnforschungsinstitut der Universität Zürich und dem Institut für Neurowissenschaften der ETH Zürich.

«Dies veranschaulicht, wie wichtig die Forschung an Versuchstieren ist, um grundlegende Erkenntnisse für die menschliche Gesundheit zu gewinnen.» Weltweit leiden bis zu einem Viertel der Kinder unter Gewalt, Missbrauch und Vernachlässigung, die im späteren Leben zu Krankheiten führen können.

In weiteren Experimenten deckte das Team einen molekularen Mechanismus auf, über den die Faktoren des Fettstoffwechsels Signale an die Keimzellen weitergeben. Hierbei spielt der sogenannte PPAR-Rezeptor auf der Zelloberfläche eine Schlüsselrolle: Er wird durch Fettsäuren aktiviert und reguliert die Genexpression und DNA-Struktur in vielen Geweben. Es stellte sich heraus, dass dieser Rezeptor in den Spermien der traumatisierten Mäuse hochreguliert ist.

Trauma schädigt Gesundheit der Nachkommen

Eine künstliche Aktivierung des Rezeptors führte zudem bei männlichen Mäusen sowie deren Nachkommen zu niedrigerem Körpergewicht und Störungen im Zuckerstoffwechsel. Aus diesen und weiteren Experimenten schliessen die Forschenden, dass die durch Fettsäuren ausgelöste Aktivierung des PPAR-Rezeptors in den Spermien eine wichtige Bedeutung für die Vererbung der durch Traumata hervorgerufenen metabolischen Effekte hat.

«Unsere Ergebnisse zeigen, dass ein Trauma im frühen Leben nicht nur die psychische, sondern auch die körperliche Gesundheit im Erwachsenenalter generationenübergreifend beeinflusst, zum Beispiel den Fettstoffwechsel und den Zuckerhaushalt», sagt Mansuy. «Dies wird in der Klinik nur selten berücksichtigt.»

Eine bessere Kenntnis der biologischen Prozesse dahinter könnte deshalb in Zukunft dabei helfen, die späten Folgen von Traumata durch medizinische Vorsorge zu verhindern.

*Fachpublikationsnummer DOI: 10.15252/embj.2020104579

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