Gegen die Ohnmacht Letzte-Hilfe-Kurs hilft beim Begleiten von Sterbenden

dpa/jfk

2.11.2018

Über Grundwissen zur Ersten Hilfe verfügen die meisten. Doch wie man einen Sterbenden würdevoll begleiten kann, überfordert die Vorstellung von vielen. Mit Letzte-Hilfe-Kursen will ein Palliativmediziner das flächendeckend ändern.

Der Tod gehört zum Leben. Die dreizehn Männer und Frauen, die an diesem Vormittag in den schlichten Seminarraum nach Dortmund (D) gekommen sind, wissen das genau. Doch auch wenn die meisten hier schon einen geliebten Angehörigen verloren haben, bleibt das Gefühl, viel zu wenig zu wissen über das Sterben. Was kommt auf mich zu, wenn ich Angehörige beim Sterben begleite? Wie kann ich ihr Leiden lindern? Und immer wieder: Was macht mich weniger hilflos? Antworten wollen sie in einem vierstündigen Crashkurs bekommen.

Letzte Hilfe nennt sich der Ansatz, den Palliativmediziner vor einigen Jahren entwickelt haben. Das vierstündige Seminar soll der Breite der Bevölkerung kompaktes Wissen über einen würdevollen Tod vermitteln. Vor allem soll der Kurs ins Gespräch bringen über ein Thema, das vielen unbehaglich geworden ist.

«Sterben ist keine Krankheit»

Die Analogie zur Ersten Hilfe ist dabei kein Zufall, wie Georg Bollig sagt. Der gelernte Rettungssanitäter und Palliativarzt hatte die Idee für das Konzept: «Was im Notfall zu tun ist, haben viele im Erste-Hilfe-Kurs gelernt. Doch die wenigsten kommen je in so eine Situation. Beim Tod ist es andersherum», erklärt er. Wir verlieren ältere Familienangehörige, Freunde können unheilbar krank werden. «Dann macht es doch nur Sinn, dass wir uns mindestens genauso gut auf die Begleitung von Sterbenden vorbereiten, wie auf das Wiederbeleben eines Menschen in einem Notfall», sagt Bollig.

Alexandra Hieck erklärt bei einem Letzte-Hilfe-Kurs, wie man mit Wattestäbchen den Mund eines todkranken Menschen befeuchtet .
Alexandra Hieck erklärt bei einem Letzte-Hilfe-Kurs, wie man mit Wattestäbchen den Mund eines todkranken Menschen befeuchtet .
Bild: dpa

Gemeinsam mit Kollegen hat er daher die Schulung entwickelt, die an einem halben Tag «das kleine Einmaleins der Sterbebegleitung» lehren soll. «Mir ist es ganz wichtig, dass wir vermitteln, dass Sterben normal ist und keine Krankheit», sagt Bollig. Denn Studien zufolge wollen die meisten Menschen zuhause sterben, doch die wenigsten tun es. Häufiger Grund: Es gibt keine Angehörigen, die sich diese Aufgabe zutrauen. Bollig hofft über einen unverkrampfteren und informierteren Umgang mit dem Sterben, die Angst vor Überforderung zu nehmen.

Diese Furcht wird auch in Dortmund immer wieder von Teilnehmern genannt, die sich für den Kurs angemeldet haben. «Wie jede Geburt ist auch jeder Tod individuell», sagt Jutta Ahring, Kursdozentin und Sozialarbeiterin im Hospiz. Und doch gibt es viel Generelles, über das sie gemeinsam mit Palliativpflegerin Alexandra Hieck aufklären kann.

Anerkennung in der Fachwelt

Die Fachfrauen reden über Rechtliches wie eine Vorsorgevollmacht oder geben praktische Tipps für die oft so belastenden letzten Stunden im Leben eines Menschen. Sie verteilen Wattestäbchen und gefrorene Würfel mit Zitronenwasser oder Tee. Es tue den Sterbenden gut, wenn die Lippen mit Feuchtigkeit benetzt würden und sie geliebte Geschmäcker wahrnehmen könnten. Und manchmal, auch das verschweigen Ahring und Hieck nicht, gelte es einfach, die unsagbar schwere Situation des Sterbens gemeinsam auszuhalten.

Auch in der Fachwelt findet das Konzept Anklang: So zeichnete die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin die Kurse nach ersten Pilotversuchen im Jahr 2015 mit einem Förderpreis aus. «Ein solches Projekt kann dazu dienen, Berührungsängste abzubauen und uns helfen, das Thema Tod und Sterben verständlich zu machen», sagt Prof. Winfried Hardinghaus, Vorsitzender des Deutschen Hospiz- und Palliativverbandes. Zwar lasse sich in den letzten Jahren eine stärkere gesellschaftliche Beschäftigung mit den Themen Sterbebegleitung und Hospizwesen beobachten. «Es gibt aber immer noch Informationsdefizite», sagt Hardinghaus.

Und es gibt einen Wunsch in der Bevölkerung nach einer stärkeren Auseinandersetzung mit den Themen Tod und Sterben: In einer repräsentativen Umfrage 2017 im Auftrag des Verbandes gaben 56 Prozent der Befragten an, die Gesellschaft befasse sich zu wenig damit.

Immer wieder heitere Momente

Auch die rasante Entwicklung in der Letzten Hilfe unterstreicht das: Den ersten Kurs gab Bollig 2015 in Schleswig, von dort aus wächst das Projekt, inzwischen auch international. So werden gerade die Kursmaterialien mit verschiedenen Partnern europaweit in andere Sprachen übersetzt. Im deutschsprachigen Raum haben sich 800 Kursleiter ausbilden lassen. Fast 8000 Teilnehmer konnten sie bisher erreichen. Irgendwann, so Bolligs Vision, sollen Letzte-Hilfe-Kurse flächendeckend eine ähnliche Normalität haben, wie die Notfallhilfe für Jedermann.

Das Portal «Letzte Hilfe» führt auf seiner Internetseite Kurse in allen Regionen Deutschlands auf, hat aber auch Kooperationspartner in der Schweiz wie z.B. die Reformierte Kirche Bülach. Auch Bestattungsunternehmen, Diakonien und Einzelinitiativen halten hierzulande Kurse ab. Deutlich zu unterscheiden ist das Konzept der Letzten Hilfe von Vereinen zur Suizidbegleitung wie Exit und Dignitas.

In Dortmund fühlen sich die Teilnehmer nach vier Stunden intensiver Gespräche, bedrückender Geschichten, aber auch immer wieder heiterer Momente nun besser gerüstet für das Ende ihrer Liebsten. «Da nimmt man etwas fürs Leben mit», sagt ein 64-Jähriger.

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