ZäsurNew York ist seit dem Lockdown europäischer – und will es bleiben
Von Benno Schwinghammer und Christina Horsten, dpa
20.3.2021 - 16:43
«Die Stadt, die erstmals schläft» wurde New York genannt, als die Metropole quasi von heute auf morgen wegen des Coronavirus dichtmachte. Das Trauma-Jahr wird das Leben verändern – auch zum Besseren.
DPA, Von Benno Schwinghammer und Christina Horsten, dpa
20.03.2021, 16:43
dpa/jka
Über Nacht änderte sich alles. Jeder und jede müsse wegen Covid-19 von nun an zu Hause bleiben, sagte Gouverneur Andrew Cuomo am 20. März 2020. «Das sind die drastischsten Massnahmen, die wir ergreifen könnten.» Zu diesem Zeitpunkt hätte sich niemand in New York vorstellen können, dass die historischen Ausgangsbeschränkungen ein ganzes Jahr Ausnahmezustand nach sich ziehen würden.
Damals zeigten die Ticker der US-Nachrichtensender noch an, dass insgesamt 196 Menschen in den USA am Coronavirus gestorben waren. Nachdem es nun mehr als eine halbe Million Corona-Tote in den Vereinigten Staaten gibt, wird das vergangene Jahr in New York in die Geschichtsbücher eingehen. Viel Leid und Schmerz hat es gegeben, vieles hat sich verändert – aber nicht alles zum Schlechten. Ein Überblick:
1. Die Schere zwischen Arm und Reich
«Corona betrifft alle gleich», hiess es zu Beginn der Pandemie in New York oft – oder: «Wir stecken da alle zusammen drin.» Dass das dann doch nicht so ganz stimmte, wurde schnell klar: Viele reiche New Yorker – unter anderem aus Manhattan – verliessen die Stadt zumindest zeitweise und quartierten sich auf dem Land oder am Strand ein – gemietet oder im Eigentum, auf jeden Fall mit mehr Platz zum Abstand halten.
Währenddessen explodierten die Infektionszahlen in Vierteln wie Queens, der Bronx oder auch Brooklyn mit niedrigeren Durchschnittseinkommen, wo zudem meist eine Mehrheit der Menschen nicht-weiss ist und nicht von zu Hause aus arbeiten kann. Die Pandemie schien die Schere zwischen Arm und Reich zu vergrössern und gleichzeitig die Unterschiede offenzulegen. Aber auch die Hilfsbereitschaft war und bleibt riesig. Zudem sind die Mieten teilweise etwas gesunken – und die Hoffnung ist gestiegen, dass das Offenlegen der Probleme künftig für Veränderungen sorgen könnte.
2. Homeoffice-Kultur
Auch wenn das Leben – und zumindest teilweise der Tourismus – 2021 scheibchenweise nach New York zurückkommt, rechnen viele Firmen und Angestellte damit, noch lange von zu Hause zu arbeiten. Viele Städterinnen und Städter mögen das Homeoffice, und ihre Arbeitgebenden in den Türmen Manhattans haben gemerkt, dass es auch ohne Grossraumbüro-Kontrolle läuft.
Flexiblere Arbeit könnte auch in der Pendler-Metropole New York zum neuen Standard werden. Einige denken weiter: Firmen könnten mit verkleinerten Büros sparen, Arbeitnehmende hätten die Möglichkeit, aus dem Umland – oder sonstwo – zu arbeiten.
3. Outdoor-Dining und Fussgängerzonen
Die New Yorker sind auf den Geschmack des Draussen-Essens gekommen. Viele Strassen in Manhattan oder Brooklyn sind seit Monaten von teils beheizten Aussenterrassen aus Holz gesäumt. Sie sind manchmal bunt angemalt oder mit Blumen verziert und – solange kein Schneesturm über die Stadt hinwegfegt – auch gut besucht.
Einige Bewohnerinnen und Bewohner erinnerte das neue Strassenflair mit verkehrsberuhigten Zonen sogar an Strassenrestaurants in Europa – und es könnte bleiben: «Ich möchte, dass wir dieses Modell übernehmen und es für Jahre und Generationen zu einem Teil des Lebens von New York City machen», sagte Bürgermeister Bill de Blasio.
4. Comeback der Kultur
Die berühmte New Yorker Kulturszene ist von der Pandemie mit am stärksten gebeutelt worden. Bis zu zwei Drittel aller Jobs seien – zumindest vorübergehend – weggefallen, heisst es in Studien. Die Museen waren monatelang geschlossen, die Theater des Broadway machen wohl frühestens im Herbst wieder auf, die Metropolitan Opera sogar erst 2022.
Aber nach einem schwarzen Jahr gibt es nun erste Hoffnungszeichen: Seit kurzem dürfen die Kinos wieder eingeschränkt öffnen, ab April auch erste Theater. Museen kündigen für den Sommer schon neue grosse Ausstellungen an, zudem soll es ein grosses Kulturprogramm unter freiem Himmel geben – und auch davon könnte etwas bleiben.
5. Das liebe Velo
New York, eine Velostadt? Trotz mehr als 2000 Kilometern meist grüner Spuren für Velofahrerinnen und Velofahrer nicht wirklich. Doch auch hier hat die Pandemie für ein Umdenken gesorgt. Velo-Verkäufer kommen mit dem Nachschub nicht hinterher und das Bike-Sharing-Angebot boomt, weil Zehntausende nicht mehr mit der U-Bahn fahren wollen.
Deshalb werden zeitweise auch die über 50'000 Veloabstellplätze im öffentlichen Raum knapp. Die Grossstadt hat versprochen, mehr in die Infrastruktur zu investieren, denn das Velo dürfte in New York auch in der Zukunft seinen Platz behalten.
6. Instagram-Restaurants
Neben den traditionellen Restaurants hat sich in der Pandemie in New York ein weiterer Gastronomie-Zweig entwickelt. Zahlreiche Köchinnen und Bäcker verlagerten sich ins Internet, in sogenannte «Ghost Kitchens». Sie haben kein Ladenlokal, sondern kochen oder backen entweder zu Hause oder in einer speziellen Küche und liefern das Essen dann aus oder lassen es abholen.
Viele konnten sich so den Lebensunterhalt sichern – und manche wurden sogar zu Gastronomie-Stars, wie etwa die 27 Jahre alte Kimberly Camara, deren von ihrer philippinischen Wurzeln geprägte Donuts via Instagram regelmässig innerhalb von Minuten ausverkauft sind.
7. Park auf dem Hudson
In der Pandemie war Platz und Natur gefragt und die New Yorker entdeckten wieder die Liebe zu ihren vielen Parks – ob klein oder gross, ob Central Park, Prospect Park oder Hudson River Park. Nun warten sie alle gespannt auf einen grünen Neuzugang: «Little Island», ein auf Stelzen im Hudson River gebauter und vom Medien-Mogul Barry Diller mit vielen Millionen Dollar finanzierter Park, soll noch «im Frühjahr» öffnen.