Bern Prozess um «Kill Erdogan»-Plakat für unbestimmte Zeit unterbrochen

sr, sda

19.1.2022 - 18:13

Das Plakat des Anstosses im März 2017 in der Berner Innenstadt. (Archivbild)
Das Plakat des Anstosses im März 2017 in der Berner Innenstadt. (Archivbild)
Keystone

Der Prozess zum «Kill Erdogan»-Plakat, das 2017 für Aufregung in der Schweiz und der Türkei sorgte, ist am Mittwoch nach zwei Tagen unterbrochen worden. Er wird voraussichtlich Ende Februar/Anfang März mit den Plädoyers fortgesetzt.

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Wann das Urteil eröffnet wird, ist auch noch unklar. Ursprünglich wollte ein Berner Einzelrichter den Prozess in zwei Tagen abwickeln.

Doch wurde dies unmöglich, weil sich der Richter am Dienstag recht viel Zeit nahm, um den Antrag eines Verteidigers auf Ausschluss eines türkischen Journalisten zu beraten. Der Mann wurde schliesslich verwarnt, weil er die Unschuldsvermutung verletzt habe, als er von den vier Beschuldigten als «Terroristen» sprach.

Zudem machten die vier Beschuldigten wahr, was ein «Unterstützungskomitee» im Vorfeld angekündigt hatte: Es gehe darum, den Prozess zum Prozess über die Politik des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan zu machen.

Dementsprechend nahmen die vier am Mittwoch bei ihrer Befragung jede Gelegenheit war, Kritik an Erdogan zu äussern. Der erste Beschuldigte konnte sich längere Zeit dazu äussern. Erst danach klemmte der Gerichtspräsident grundsätzliche Ausführungen der Beschuldigten weitgehend ab.

Zum umstrittenen Plakat sagten die vier hingegen kaum etwas. Einzig einer der Beschuldigten sagte einmal, er habe nicht öffentlich zu Verbrechen oder Gewalttätigkeit aufgefordert. Das ist der Hauptvorwurf an die vier.

Im Saal kam es auch zu einer Schweigeminute zu Ehren des genau vor fünfzehn Jahren von einem türkischen Ultranationalisten erschossenen türkisch-armenischen Journalisten Hrant Dink. Der erste Beschuldigte sagte, er schweige nun eine Minute lang. Mit ihm erhoben sich sämtliche zwölf sogenannte Vertrauenspersonen im Gerichtssaal und eine Minute lang herrschte Stille.

Fachperson sagt: «Unglücklich gewählt»

Das Plakat mit der Aufschrift «Kill Erdogan with his own weapons!» ("Töte oder Tötet Erdogan mit seinen eigenen Waffen!") wurde im März 2017 am Rand einer Kundgebung für Demokratie in der Türkei mitgeführt. Dies acht Monate nach einem gescheiterten Putschversuch und drei Wochen vor einer Volksabstimmung über mehr Macht für den türkischen Präsidenten.

Organisiert wurde die Demonstration von kurdischen Vereinen, der SP und den Grünen sowie weiteren Organisationen. Im Verlauf des Nachmittags stiess zu dieser Hauptkundgebung eine Gruppe von rund 150 Personen, welche sich beim alternativen Berner Kulturzentrum Reitschule besammelt hatten. Sie hatte das umstrittene Plakat bei sich.

Noch am Tag der Kundgebung protestierte die Türkei beim Aussendepartement EDA in Bern und bestellte in Ankara die Schweizer Vize-Botschafterin ein. Es kam auch zu einem Telefongespräch zwischen den beiden Aussenministern. Die Türkei forderte eine Untersuchung, und Erdogan sagte, die Schweiz müsse aufhören, Terrororganisationen zu unterstützen.

Der Richter des Regionalgerichts Bern-Mittelland hörte sich am Mittwoch zum Plakat eine Fachperson in bildnerischer Gestaltung an. Diese Zeugenperson sagte, das Wort «Kill» sei «unglücklich gewählt» und «sehr provokativ». Man müsse aber den Kontext sehen. Es habe sich um eine politische Kundgebung gehandelt.

In diesem Kontext würden häufig provokante und auch metaphorische Botschaften verwendet, etwa «Der Planet brennt» bei Klimademos. Auch müsse man sich fragen, an wen sich die Botschaft richte. «Ich sehe keine Adressaten dafür, Erdogan wirklich umzubringen», so die Zeugenperson.

Medienschaffenden, welche über den Prozess berichten, ist nicht gestattet, das Geschlecht der Personen zu nennen.

Genaue Vorwürfe sind unklar

Im Verlauf des Prozesses blieb letztlich unklar, was genau die vier Beschuldigten mit dem umstrittenen Plakat zu tun haben sollen: Der Strafbefehl, gegen den die vier Einsprache erhoben, so dass es zum Prozess kam, wurde nicht verlesen.

Der Gerichtspräsident las einmal eine Passage aus einem Strafbefehl vor. Demzufolge habe dieser Beschuldigte das Plakat an einem Lautsprecher befestigt und so «zumindest in Kauf genommen», dass die Botschaft des Transparents weiterverbreitet werde. Der Gerichtspräsident sprach von Geldstrafen als möglichen Sanktionen.