Nach Vulkanausbruch 1985 Schwestern aus Kolumbien finden sich nach 34 Jahren wieder

Christine Armario/AP

16.11.2019

Jenifer De La Rosa umarmt ihre wieder gefundene Schwester Angela Rendon.
Jenifer De La Rosa umarmt ihre wieder gefundene Schwester Angela Rendon.
Bild: Fernando Vergara/AP/dpa

Der Ausbruch des kolumbianischen Vulkans Nevado del Ruiz kostete 1985 25'000 Menschen das Leben. Viele mutmasslich verwaiste Kinder wurden zur Adoption freigegeben und wuchsen zum Teil fernab der Heimat auf. Dutzende suchen noch heute nach ihren Wurzeln.

Jenifer de la Rosa war erst ein Jahr alt, als der Vulkan Nevado del Ruiz ausbrach. Eine Schlammlawine begrub eine ganze Stadt in Kolumbien unter sich, 25'000 Menschen kamen ums Leben. Im Chaos nach der Katastrophe 1985 wurde das Baby einem Rot-Kreuz-Mitarbeiter übergeben und schliesslich von einem spanischen Paar adoptiert. Heute arbeitet de la Rosa als Dokumentarfilmerin und geht der Frage nach, die sie schon lange umtreibt: Was ist mit ihrer leiblichen Familie passiert?

Am Donnerstag gab ein genetisches Institut in der Hauptstadt Bogotá bekannt, einen Teil des Rätsels gelöst zu haben: Die Wissenschaftler konnten durch DNA-Tests bestätigen, dass eine noch in Kolumbien lebende Frau De la Rosas Schwester ist. «Ich dachte, das kann nicht wahr sein», sagt de la Rosa. «So etwas kann nur im Film passieren.»

Die Geschichte der verlorenen Schwestern aus der Stadt Armero könnte eine von vielen sein. Etliche Kinder wurden nach dem Vulkanausbruch von ihren Eltern getrennt, aus den Trümmern gerettet und später zu Adoption freigegeben, wenn sich keine Angehörigen gemeldet hatten.

«Es waren tausend verschiedene Gefühle»

Viele adoptionswillige Kolumbianer und Ausländer erhielten eine Genehmigung, manche Kinder wuchsen dann in Frankreich oder den Niederlanden auf. Einige von ihnen kehren nun wie De la Rosa als Erwachsene zurück und suchen nach Antworten. «Es waren tausend verschiedene Gefühle», sagt De la Rosa. «Ich habe mir immer wieder Fragen gestellt.»

Die Reise der Adoptierten führt häufig zuerst zu Francisco González. Er hat bei der Katastrophe selbst seinen Vater und seinen Bruder verloren und es zu seiner Mission gemacht, Familien wieder zusammenzubringen. Seine Stiftung Armando Armero hat Informationen von 478 Menschen gesammelt, die nach Kindern suchen, sowie von 65 Adoptierten, wie er sagt.

«Wir wissen, dass viele Kinder überlebt haben», erzählt er in seinem Haus, wo er alte Zeitungen und einen Stapel Hefter mit Informationen zu den Fällen aufbewahrt. «Sie wurden zu rechtmässigen und zu informellen Adoptionen freigegeben, und es gab keine effiziente staatliche Präsenz.»

Angela Rendon kämpft während einer Pressekonferenz mit den Tränen. 
Angela Rendon kämpft während einer Pressekonferenz mit den Tränen. 
Bild: Keystone/AP/Fernando Vergara

Vorhersehbare Tragödie

Die Ereignisse an jenem Novembertag 1985 waren in vielerlei Hinsicht eine vorhersehbare Tragödie. Armero war aufgrund seiner reichen Baumwollvorkommen als «weisse Stadt» bekannt. Wegen des Vulkans machten sich die Bewohner wenig Sorgen, sie gaben ihm den Spitznamen «Schlafender Löwe». Wissenschaftler warnten seit Monaten vor einer tödlichen Eruption, ein Notfallplan wurde aber nicht vorbereitet.

Als der Nevado del Ruiz ausbrach, schmolz ein Teil seiner Eiskappe. Es entstand eine 15 Meter hohe Schlammlawine, die Bäume aus der Erde riss und ganze Häuser unter sich begrub. Etwa 23'000 der nach anderen Schätzungen 28'000 Einwohner von Armero kamen uns Leben oder wurden vermisst. Auf der anderen Seite des Vulkans waren etwa 2000 Tote und Vermisste zu beklagen.

Der Vulkan Nevado del Ruiz bei einem Ausbruch 2012.
Der Vulkan Nevado del Ruiz bei einem Ausbruch 2012.
Bild: Keystone/AP/Luisa Garcia (Archivbild)

Zum Symbol der Tragödie wurde das Bild eines Kindes, der 13-jährigen Omayra Sánchez, die in einem Schlammloch eingeklemmt war. Nach drei Tagen vergeblicher Rettungsversuche starb das Mädchen.

Fotos geretteter Kinder wurden in Zeitungen veröffentlicht in der Hoffnung, dass ein Verwandter sie findet. Einige von ihnen waren zu jung, um überhaupt ihren Namen sagen zu können. «Etwa acht Monate alt», lautete die Beschreibung zum Foto eines dunkelhaarigen Jungen mit zusammengekniffenen Augen. «Er sagt 'Papa' und 'mehr'.»

Während viele Eltern vermutlich starben, waren andere schwer verletzt, aber am Leben. Gladys Primo lag drei Monate lang im Koma, bevor sie wieder zu Bewusstsein kam und erfuhr, dass ihre kleine Tochter und ihr Sohn verschwunden waren. Bis heute glaubt sie, dass beide noch leben. Im Fernsehen hat sie Aufnahmen von einem kleinen Jungen gesehen, der mit einem Hubschrauber weggebracht wird – sie ist überzeugt, dass es ihr Sohn war.

«Ich weiss, dass sie eines Tages auftauchen werden»

Primo gehört zu Hunderten Menschen, die ihre DNA für Tests abgegeben haben. «Ich weiss, dass sie eines Tages auftauchen werden», sagt sie über ihre Kinder. Wie andere Betroffene beklagt sie, dass die Behörden nie offengelegt hätten, welche Kinder adoptiert wurden.

De la Rosa indes wusste immer, dass sie nach der Katastrophe adoptiert worden war. Als Jugendliche fing sie an, mit dem mutmasslichen Namen ihrer leiblichen Mutter nach dieser zu suchen, zunächst aber ohne Erfolg. Erst später stiess die heute 34-Jährige auf eine Frau aus der Stadt Barrancabermeja, Ángela Rendón, die nach einer Mutter mit dem gleichen Namen suchte.

Beide trafen sich im vergangenen Jahr zum ersten Mal und haben nun Gewissheit, dass sie dieselbe Mutter haben. Die 35-jährige Rendón, Imbissverkäuferin und Mutter zweier Töchter, entdeckte sofort Ähnlichkeiten. De la Rosa dagegen muss sich erst noch an den Gedanken gewöhnen muss, eine Schwester zu haben, wie sie sagt. Sie arbeitet jetzt an einem autobiografischen Dokumentarfilm mit dem Titel «Tochter des Vulkans».


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