Deutschland entscheidet heute Deutschland entscheidet über Diesel-Fahrverbote: Droht uns das auch?

Von Andreas Hoenig und André Jahnke, dpa / Fabienne Rüetschi, Bluewin

21.2.2018

Die Luft in deutschen Ballungsräumen ist schlecht. Seit Jahren werden Grenzwerte für Stickstoffoxide deutlich überschritten - im Fokus stehen Dieselfahrzeuge. Das Bundesverwaltungsgericht prüft in dieser Woche, ob Fahrverbote eine rechtmässige Lösung wären. Auch in der Schweiz sind Diesel-Fahrverbote ein Thema, wenn auch sehr begrenzt. Das hat seine Gründe.

Millionen von Dieselfahrern sollten am Donnerstag nach Leipzig schauen. Denn vor dem Bundesverwaltungsgericht könnte ein wegweisendes Urteil fallen. Ebnet das Gericht den Weg für Diesel-Fahrverbote in Städten, damit die Luft sauberer wird? Fragen und Antworten zur möglichen Entscheidung:

Was ist das Problem?

Seit Jahren werden in vielen Städten Schadstoff-Grenzwerte nicht eingehalten. Dabei geht es um Stickoxide (NOx). Das sind Gase, die in höherer Konzentration giftig sind. Sie können Atemwege und Augen reizen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Lungenprobleme auslösen. Nach aktuellen Zahlen des Umweltbundesamts sank die Belastung zuletzt zwar etwas. Immer noch aber werden die Grenzwerte in knapp 70 Städten überschritten - am stärksten in München, Stuttgart und Köln.

Anders sieht die Situation in der Schweiz aus: Gemäss Touring Club Schweiz (TCS) seien die Grenzüberschreitungen beim NOx in Schweizer Städten nicht vergleichbar mit den Werten in Deutschland. «Die Situation in den deutschen Ballungszentren ist weitaus gravierender», sagt Daniel Graf von TCS Schweiz. Zudem sei der Grenzwert in Deutschland mit 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft höher angesetzt als in der Schweiz, der hier bei 30 Mikrogramm liegt. Würde in der Schweiz derselbe Grenzwert wie in Deutschland gelten, gäbe es in der Schweiz kaum Grenzwertüberschreitungen. «Man darf bei der momentanen Diskussion nicht ausser Acht lassen , dass der Ausstoss der meisten Schadstoffe in der Schweiz in den letzten Jahren stark zurückgegangen ist. Dazu gehört auch das vieldiskutierte NOx», so Graf. 

Konkret: Seit 1980 konnten die Emissionen von Schwefeldioxid (SO2) um 90 Prozent verringert werden und liegen heute unter dem Grenzwert. Die Feinstaub (PM10)-Emissionen haben sich um 50 Prozent reduziert. Der Ausstoss von Stickoxiden (NOx) ist um 60 Prozent zurückgegangen. 

Worum geht es beim Bundesverwaltungsgericht? 

In Deutschland wird darüber verhandelt und möglicherweise bereits am Donnerstag entschieden, ob Fahrverbote für Dieselfahrzeuge in besonders belasteten deutschen Städten ein rechtlich zulässiges Mittel und in die jeweiligen Luftreinhaltepläne aufzunehmen sind. 

Hierzulande wird einzig in der Stadt Genf ein Fahrverbot gewisser Dieselfahrzeuge politisch diskutiert. In der übrigen Schweiz ist das kein Thema. Völlig zurecht, findet der TCS, da wie erwähnt die Situation in deutschen Ballungszentren bezüglich Luftverschmutzung ungleich gravierender ist als in der Schweiz.

In Deutschland beziehen sich die Diskussionen aktuell um die Luftreinhaltepläne von Düsseldorf und Stuttgart. Die zuständigen Verwaltungsgerichte hatten nach einer Klage der DUH die Behörden verpflichtet, ihre Pläne so zu verschärfen, dass Grenzwerte möglichst schnell eingehalten werden.

Das Stuttgarter Gericht nannte Fahrverbote dabei die «effektivste» Massnahme. Der Gesundheitsschutz in der Stadt sei höher zu bewerten als Interessen von Dieselfahrern. Das Düsseldorfer Gericht urteilte, Fahrverbote für Dieselfahrzeuge müssten «ernstlich geprüft» werden.

Welche Auswirkungen hat die Entscheidung des Gerichts? 

Auch wenn das Bundesgericht konkret nur über die beiden Fälle in NRW und Baden-Württemberg verhandelt - die Entscheidung hat eine deutschlandweite Signalwirkung. Vor allem dann, wenn das Gericht zu dem Schluss käme, dass Fahrverbote rechtlich zulässig sind.

Für jede Stadt, in der Grenzwerte überschritten werden, wäre es dann möglich, Fahrverbote für ältere Diesel als Option in den jeweiligen Luftreinhalteplan aufzunehmen - und aus Sicht nicht nur der DUH sind Fahrverbote das effektivste Mittel für saubere Luft. Die DUH hat insgesamt rund 60 Rechtsverfahren eingeleitet.

Fahrverbote wären aber immer eine Einzelfall-Entscheidung und könnten von Stadt zu Stadt unterschiedlich ausfallen. Sie könnten zeitlich auf bestimmte Strecken und Stadtzonen begrenzt sein, in denen die Grenzwerte am stärksten überschritten werden.

Welche Folgen hätten Fahrverbote?  

Sie könnten grosse Auswirkungen haben. In Deutschland gibt es Millionen von Dieselautos. Natürlich würden Fahrverbote in deutschen Städten auch für Schweizer Dieselfahrzeuge gelten. Kommunale Spitzenverbände und die Wirtschaft warnen davor, bei Fahrverboten könnte das städtische Leben lahmgelegt werden. Zum Beispiel könnten Läden in Innenstädten nicht beliefert werden oder Handwerker nicht mehr zu Kunden kommen. Dafür könnte es aber Ausnahmeregelungen geben, wie auch für Fahrzeuge von Polizei, Feuerwehr oder Apotheken. Betroffen wären aber auf jeden Fall zahlreiche Pendler. Fahrverbote hätten ausserdem massive Folgen für die Autohersteller. Die Diesel-Neuzulassungen sind seit Monaten bereits auf Talfahrt, der Antrieb ist aber sehr wichtig für die Autoindustrie. Dieselfahrern drohen starke Wertverluste ihrer Autos.

In der Schweiz betrug der Anteil an Dieselfahrzeugen 2017 rund 30 Prozent. Doch auch ohne drohende Fahrverbote stellen sich Schweizer aktuell wieder lieber Fahrzeuge mit Benzinmotor in die Garage. 2017 gingen die Neuzulassungen auch hierzuland um rund 9 Prozent zurück. 36 Prozent aller neu zugelassenen Fahrzeuge 2017 in der Schweiz waren Diesel. 

Die Politik will Fahrverbote in Deutschland unbedingt vermeiden. Sie hat ein Milliardenprogramm «Saubere Luft» für Kommunen auf den Weg gebracht. Dabei geht es etwa um eine bessere Taktung des ÖPNV oder die Umrüstung von Bussen und Taxen. Mit Software-Updates für Millionen von Fahrzeugen wollen die Hersteller die Emissionen senken. Umweltverbände kritisieren, das reiche nicht aus. Umbauten direkt am Motor wären aus Sicht vieler Experten wirksamer. Die Autoindustrie lehnt dies unter anderem mit Verweis auf hohe Kosten ab. Hält Leipzig Fahrverbote für rechtlich zulässig, steigt der Druck auf Politik und Hersteller, Hardware-Nachrüstungen auf den Weg zu bringen.

Und welche Rolle spielt die  «Blaue Plakette»?

Falls das Bundesverwaltungsgericht den Weg für Fahrverbote ebnet, dürfte sofort eine breite politische Debatte nicht nur über wirksamere Nachrüstungen von Dieselautos einsetzen - sondern auch über die Einführung einer «blauen Plakette». Umweltverbände, aber auch Länder fordern diese seit langem. Damit wären Unterscheidungen möglich - es käme nicht zu pauschalen Fahrverboten für Dieselautos in Stadtgebieten, die stark belastet sind. Die Plakette würden moderne Wagen mit der Abgasnorm Euro 6 bekommen, sie wären von Fahrverboten ausgenommen. Mit einer bundesweiten blauen Plakette könnte ein Flickenteppich vieler unterschiedlicher Regeln verhindert werden.

Die Bundesregierung lehnt eine blaue Plakette bisher ab. Der geschäftsführende Bundesverkehrsminister Christian Schmidt (CSU) sagte, eine solche bedeute «nichts anderes als die kalte Enteignung von Millionen von Diesel-Besitzern». Denn nur wenige Dieselautos erfüllen die neueste Abgasnorm - Millionen andere dagegen nicht. Diese Autofahrer müssten sich dann entweder ein neues Auto kaufen oder ihren Wagen nachrüsten lassen. Kritiker werfen der Regierung vor, auf Zeit zu spielen. In der Autoindustrie selbst dagegen ist die Zustimmung für eine blaue Plakette zuletzt deutlich gestiegen.

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