Breonna Taylor im HerzenUS-Demonstranten schweisst Protest zusammen
AP/toko
4.9.2020
Sie fühlen sich wie eine grosse Familie: Schon seit drei Monaten harren Demonstranten in einem Park der US-Stadt Louisville aus. Sie fordern Gerechtigkeit für die von Polizisten getötete Schwarze Breonna Taylor.
Amber Brown ist Busfahrerin in Louisville — vor dem Morgengrauen hat sie sich ans Steuer gesetzt. Am Ende ihrer Acht-Stunden-Schicht ist sie müde, aber sie denkt nicht daran, nach Hause zu gehen. Stattdessen macht sich Brown auf den Weg zum «Injustice Square» (Platz der Ungerechtigkeit), einem häuserblocklangen Grünstreifen, der noch vor ein paar Monaten ein unauffälliger Park war. Aber jetzt ist er Zentrum des Protests gegen den gewaltsamen Tod der jungen Schwarzen Breonna Taylor im Frühjahr. «Das ist der Ort, an den ich gehöre», sagt Brown, die hier mit einer Gruppe seit drei Monaten täglich ausharrt.
Platz der Ungerechtigkeit
Die Polizei hatte am 13. März in Louisville aufgrund eines Durchsuchungsbefehls die Tür zur Wohnung der 26-jährigen Taylor aufgebrochen, offenbar ohne Vorwarnung und mitten in der Nacht. Danach kam es zu einem Schusswechsel zwischen Taylors Partner und der Polizei. Die junge Notfallsanitäterin wurde von mehreren Kugeln getroffen.
Die Aktion auf dem «Injustice Square» (Platz der Ungerechtigkeit) begann im Zuge der US-weiten Demonstrationen nach dem Tod des Schwarzen George Floyd. Was ihm Ende Mai bei seiner Festnahme in Minneapolis widerfuhr, brachte auch Taylors Schicksal erneut in die Schlagzeilen. Zehntausende Demonstranten in zahlreichen US-Städten forderten Gerechtigkeit für Floyd, Taylor und andere schwarze Opfer von Polizeigewalt.
Die Menschenmenge auf dem Square schrumpfte nach und nach. Nun sind es noch etwa 50 Demonstranten, die weiter täglich kommen: Busfahrer, Geistliche, Beschäftigte in Lebensmittelläden, Rentner. Sie sind mit Tränengas und Pfefferspray bekämpft worden, haben gesehen, wie jemand getötet wurde, und selbst Todesdrohungen erhalten. Einige schrecken nachts auf, gepeinigt von Alpträumen. Aber sie kommen trotzdem jeden Tag, fühlen sich mittlerweile wie eine Familie. Diese Bewegung, so sagen sie, habe ihnen ein Gemeinschaftsgefühl gegeben und ein Ziel, das grösser sei als bislang alle anderen in ihrem Leben.
Die Park-Mutter
Amber Brown hat einen Tisch mit Essenshäppchen und Desinfektionsmittel für die Hände aufgestellt. Sie begrüsst einen Mann, der eines Tages im Park auftauchte und damit anfing, Müll einzusammeln — und das seitdem jeden Tag tut. Sie sagt «Hallo» zu den Frauen, die sich um Tomatenpflanzen rund um ein Taylor-Denkmal kümmern.
Brown hat niemals erwartet, zentrale Figur einer Protestbewegung zu werden. Aber jetzt nennen sie einige «park mom» — die «Park-Mutter», weil sie versucht, anderen bei der Lösung von Problemen zu helfen und sie rügt, wenn sie aus der Reihe tanzen. Wie in vielen anderen Städten hat es auch in Louisville (US-Staat Kentucky) zu Beginn der Proteste Ende Mai Ausschreitungen gegeben. Aber die Parkbesetzung ist in den drei Monaten seitdem zumeist friedlich verlaufen, nur gelegentlich kam es zu Zwischenfällen.
Macht und Furcht
Trotzdem sind die Fenster in den naheliegenden Häuserblöcken mit Brettern vernagelt, und manche betrachten die Demonstranten als Unruhestifter, die das Stadtzentrum zerstören. Aber Brown sieht Macht in der Furcht, die diese Bretter widerspiegeln: Die Protestierenden könnten sozusagen das Herz der Stadt umdrehen, bis sie bekommen würden, was sie wollen. Und das, was Brown will, ist mittlerweile mehr als noch am Anfang des Protests.
Zu Beginn stand die Forderung, die am Tod von Breonna Taylor beteiligten Polizisten müssten vor Gericht gestellt werden. Nun aber reiche Gerechtigkeit für Taylor den Demonstranten nicht mehr, sagt Brown. Sie fordern eine Demontage des Polizeisystems, also die Umverteilung eines grossen Teils des Polizeibudgets in Sozialprogramme, die Verbrechen vorbeugen sollen.
Auch wenn die Forderung die Demonstranten zusammenschweisst, leicht ist ihr Protest nicht. Ende Juni wurden sie Zeugen, wie ein bei ihnen beliebter Fotograf erschossen wurde — von einem Mann, der sich oft im Park aufgehalten hatte, aber dann wegen Fehltritten ausgestossen wurde. Er kam zurück und eröffnete das Feuer. «Park-Mutter» Brown warf sich auf ein Mitglied ihrer Gruppe, um es vor den Kugeln zu schützen. Auch Breonna Taylor sei ein Teil dieser Gruppe, sagt Brown. Ihr Tod macht sie noch immer fassungslos. «Alle diese Probleme gab es schon, bevor Breonna Taylor starb. Warum konnte sie nicht lebend ein Teil dieser Bewegung sein? Anstatt jetzt der Name in unseren Sprechchören zu sein.»